Well Team Times Nr. 283

Wie wandlungsfähig sind wir?

Von am 07.06.2024

Wie wandlungsfähig sind wir?

In einer amerikanischen Studie wurden 13278 Probanden aus 56 Ländern gefragt, ob sie derzeit versuchen ihre Persönlichkeit zu ändern. – Und in fast allen Ländern antworteten etwa 60 Prozent mit ja. Worum es Ihnen genau gehe? Die Teilnehmer gaben an, gelassener, optimistischer und offener sein zu wollen. Offenbar wollten sie Charakterzüge verstärken, von denen sie glauben, dass sie bei ihnen schwach ausgeprägt und gleichzeitig sozial erwünscht seien.

Die Psychologie unterscheidet fünf verschiedene Eigenschaften, die die individuelle Persönlichkeit eines Menschen bestimmen:

  • Wie aufgeschlossen ist man für neue Erfahrungen?
  • Wie gewissenhaft?
  • Wie extrovertiert?
  • Wie gefestigt in seinen Emotionen?
  • Wie gut kommt man mit seinen Mitmenschen zurecht?

Diese Faktoren sind mal stärker, mal weniger stark ausgeprägt. Aus dem Zusammenspiel aller fünf ergibt sich der Charakter. Und der ist keineswegs ein Leben lang derselbe – er wandelt sich im Laufe der Zeit. Schon ab dem jungen Erwachsenenalter wird man, statistisch gesehen, weniger extrovertiert, später geht auch die Offenheit für neue Erfahrungen zurück. Dafür nehmen Zuverlässigkeit und emotionale Stabilität zu.

Man verändert sich also zumindest in Maßen, von ganz allein. Doch läuft dabei nur ein vorgegebenes Programm ab? Oder kann man auch bewusst entscheiden, ein Anderer zu werden?

Gene, Umwelt oder eigene Entscheidung?

Eine Antwort glaubte der US-amerikanische Psychologe Thomas J. Bouchard Ende der 70er Jahre gefunden zu haben, als er die eineiigen Zwillinge Jim Springer und Jim Lewis traf, über die in den Medien berichtet worden war. Die beiden waren schon erwachsene Männer. Wenige Wochen nach ihrer Geburt waren sie von unterschiedlichen Paaren adoptiert worden. Fast 40 Jahre lang hatten sie keinerlei Kontakt zueinander gehabt – und waren dennoch erstaunlich wesensverwandt. Beide hatten eine Ausbildung zum Polizisten gemacht, beide hatten eine Vorliebe für technisches Zeichnen und Holzarbeiten. Beide waren zum zweiten Mal verheiratet. Beide hatten ihrem Sohn denselben Namen gegeben.

Nach seiner eindrucksvollen Begegnung mit den Jim-Zwillingen untersuchte Bouchard weitere getrennt voneinander aufgewachsene Zwillinge. Das Resultat: Die Probanden waren einander fast so ähnlich wie Zwillinge, die im selben Haushalt groß geworden waren. Vor allem beim Intelligenzquotienten zeigten sich Parallelen, aber auch bei den Charakterzügen. Es schien, als bestimme die DNA, wie man durchs Leben geht.

Foto: Matjaz Slanic auf istockphoto

Viele Faktoren prägen den Charakter

Heute weiß man: Die Wahrheit ist weitaus komplizierter. Auch andere Faktoren spielen eine Rolle: das Elternhaus, das soziale Umfeld, die Erfahrungen, die man macht. Möglicherweise kann die Ähnlichkeit zwischen Jim Springer und Jim Lewis schlichtweg dadurch zustande, dass die beiden zwar weit voneinander entfernt, aber unter vergleichbaren Umständen lebten. Wissenschaftler sind sich inzwischen einig, dass ungefähr die Hälfte der Persönlichkeit vom Erbgut geprägt wird. Das heißt, die DNA bestimmt zwar mit, wie zurückhaltend oder draufgängerisch, labil oder stressresistent jemand ist. Aber sie bestimmt es eben nicht allein.

Cornelia Wrzus, Professorin für Psychologische Altersforschung an der Universität Heidelberg, beschreibt das Verhältnis zwischen Charakter und genetischer Ausstattung so: Stellt man sich die Persönlichkeitsentwicklung wie eine Autobahn vor, dann sind die Gene die Leitplanken. Sie begrenzen uns. Wir können aber auf der Linken oder der rechten Spur fahren oder in der Mitte.
Und: Je jünger ein Mensch ist, desto breiter ist die Fahrbahn. Ein Zweijähriger ist in seiner Persönlichkeit stärker vom Leben prägbar als ein Zwanzigjähriger – im Guten wie im Schlechten.

Doch auch als Erwachsener steht man der Frage, welche Erfahrungen man machen, welchen Einflüssen man sich aussetzen will, nicht machtlos gegenüber. Jemand, der sehr chaotisch und unstrukturiert ist, wird vielleicht kein Ordnungsfanatiker – was aber nicht heißt, dass er Aufgaben nicht sorgfältiger und gründlicher erledigen kann.

Jemand, der sehr schüchtern ist, wird wohl niemals Gesprächsrunden dominieren oder auf Partys im Mittelpunkt stehen – was nicht heißt, dass er nicht lernen kann, auf seine Mitmenschen  zuzugehen. Und jemand, der sich leicht stressen lässt, wird niemals ein Abenteurer werden – was nicht heißt, dass er nicht gelassener werden kann.

Wie soll das gehen?

Psychologen nennen drei Faktoren, die beeinflussen, ob jemand es schafft, sich zu ändern:

  • Leidensdruck – so wie jetzt geht es nicht weiter
  • Motivation – das will ich wirklich
  • Ausdauer – ich zieh das durch

Studien haben die psychologische Wirksamkeit einer simplen Methode erwiesen: die Wenn-dann-Regel. Man kann sich also konkrete Ziele setzen. Man kann üben, im Rahmen seiner Möglichkeiten, ein Anderer zu werden. Manchmal, wenn der Leidensdruck sehr groß ist, braucht es auch ein Training oder einen Therapeuten.

Was Hänschen nicht lernt …

lernt Hans nimmermehr.
Einen alten Baum verpflanzt man nicht.
Man kann einen alten Hund keine neuen Tricks beibringen.
Es gibt Redensarten, die alle auf eine Botschaft hinauslaufen:
Ein alter Mensch verändert sich nicht mehr.

Doch diese Botschaft ist offenbar falsch. Cornelia Wrzus führte eine Studie durch: Die Teilnehmer waren junge Menschen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren sowie ältere Personen ab Mitte 60. Insgesamt 170 Probanden, die von Therapeuten durch Rollenspiele dabei unterstützt wurden, gelassener zu sein und schwierige Situationen besser zu meistern. Dabei zeige sich bislang:
Die älteren Personen verändern sich im gleichen Ausmaß, wie die Jungen.

Bei einer Psychotherapie spielt, was den Wandel von Persönlichkeitsmerkmalen betrifft, das Alter der Patienten keine Rolle. Es ist im höheren Alter also absolut möglich, auf der Fahrbahn des Lebens die Spur zu wechseln. Einige Studien deuten sogar darauf hin, dass die Persönlichkeit ab 60 ähnlich wandelbar ist wie im jungen Erwachsenenalter.

Der Anteil der Personen, die sich ändern möchten, wird im Alter zwar kleiner, sagt Cornelia Wrzus, aber die, die es wirklich wollen, schaffen es. Vielleicht liegt es auch an den beiden Eigenschaften, die sich ohnehin im Alter verstärken:
Zuverlässigkeit und Gelassenheit. Selbst im hohen Alter noch kann der Mensch also ein Stück weit ein Anderer werden, wenn er es will.
Vgl. Nadine Ahr, DIE ZEIT, 27.03.2024 (gekürzt und redigiert von Armin Poggendorf, Institut für Teamdynamik, Fulda/ Künzell)

Mario Neumann

Als Autor und Trainer begleite ich Dich durch die abenteuerliche Welt der Projekte. Dafür wurde ich schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationaler Deutscher Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle meine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.