Was tun bei dicker Luft?
Wo Menschen zusammenarbeiten, bleiben Konflikte nicht aus. Doch Streit im Projekt belastet das Arbeitsklima und wirkt sich negativ auf den Projektfortschritt aus. Soll ich in den Konflikt eingreifen? Und wenn ja, auf welche Weise kann ich den Konflikt lösen? Das fragen sich Projektleiter oft, wenn sie erkennen: Zwischen zwei Mitarbeitern herrscht dicke Luft. Und oft sind sie unsicher, wie sie vorgehen sollen.
Anna und Markus arbeiten in einem Softwareentwicklungsprojekt zusammen an der Entwicklung eines neuen Features. Anna ist für die Benutzeroberfläche verantwortlich, während Markus die Backend-Entwicklung verantwortet. Über die technische Umsetzung eines bestimmten Elements geraten beide ins Streiten. Anna befürwortet eine benutzerfreundliche Alternative, während Markus befürchtet, dass diese Lösung zu komplex sei und stattdessen eine andere Methode bevorzugt. Die Diskussion wird zunehmend hitziger, da beide ihre Standpunkte vehement vertreten. Anna fühlt sich missverstanden und wirft Markus vor, nicht auf die Bedürfnisse der Nutzer einzugehen. Markus fühlt sich wiederum angegriffen, weil Anna seine technische Expertise infrage stellt. Die Stimmung sinkt auf den Nullpunkt. Der Streit droht, die weitere Zusammenarbeit im Projekt zu belasten.
Häufig entstehen Konflikte durch unterschiedliche Sichtweisen oder Erwartungen der Teammitglieder. Zusätzlich verstärken Zeitdruck und knappe Ressourcen die Konfliktgefahr, da Stresssituationen schnell zu Frustration führen können. Sobald im Projekt eine angespannte Atmosphäre herrscht, besteht die Gefahr, dass sich die Spannungen verschärfen und das Arbeitsklima leidet. Unbehandelte Konflikte erschweren die Zusammenarbeit, mindern die Motivation der Beteiligten und beeinträchtigen die Produktivität. Zudem besteht das Risiko, dass Missverständnisse und Frustrationen zunehmen, was den Projektfortschritt verzögern kann. Im schlimmsten Fall kann es zu dauerhaften Zerwürfnissen kommen, die sogar zum Scheitern des Projekts führen können.
Bei einem Streit unter Kollegen besteht die größte Gefahr darin, dass sich der Konflikt weiter verschärft und die Zusammenarbeit dauerhaft gestört wird. Dadurch sind Projektverzögerungen und Qualitätsmängel vorprogrammiert. Im schlimmsten Fall droht das Scheitern des Projekts.


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Nicht bei jedem Konflikt intervenieren
Projektleiter sollten nicht bei jedem Konflikt sofort eingreifen, da eine zu frühe oder unnötige Intervention die Eigenverantwortung der Teammitglieder untergräbt und ihnen die Möglichkeit zur Konfliktlösung nimmt. Außerdem kann ein vorschnelles Eingreifen ohne gründliche Analyse die Situation unnötig verschärfen oder gar den Eindruck erwecken, man würde einseitig Partei ergreifen.
Es ist deshalb wichtig, den Konflikt zunächst selbst zu beobachten und zu bewerten, um die Ursachen genau zu verstehen. In manchen Fällen fördert es die Teamdynamik, wenn die Beteiligten lernen, Konflikte eigenständig zu lösen. Ein übermäßiges oder gar vorschnelles Eingreifen durch die Projektleitung würde die Selbstständigkeit des Teams unnötig schwächen. Daher solltest Du als Projektleiter nur dann aktiv werden, wenn der Konflikt das Arbeitsklima erheblich belastet oder die Projektziele gefährdet sind.
Intervenieren – aber wie!?
Manch Hobby-Psychologe behauptet: Wenn die Betroffenen über ihre Gefühle reden, wird alles besser. Das mag für Paarbeziehungen gelten, aber nicht für die meisten Konflikte in Projekten. Würde Markus zu Anna sagen „Du bist eine Egoistin. Du denkst immer nur …“, dann wäre das Tischtuch zwischen den beiden zerschnitten – und eine Lösung des Konflikts würde in weite Ferne rücken.
In einigen Fällen können Projektleiter Konflikte entkräften, indem sie die Abhängigkeiten zwischen den Kontrahenten lösen. Zum Beispiel, indem sie deren Arbeitsgebiete stärker voneinander abgrenzen. Das ist in Projekten aber oft nicht möglich. Dann liegt der Königsweg im Auflösen der Blockaden, die die „Kontrahenten“ am Erreichen ihrer Ziele hindern. Bewährt hat sich, im Rahmen einer Konfliktmoderation gemeinsam nach einem Weg zu suchen, wie beide Seiten ihre Interessen weitestgehend verwirklichen können.
Doch Vorsicht! Als Projektleiter kannst Du nicht jeden Konflikt moderieren. Bist Du emotional beteiligt oder inhaltlich allzu sehr involviert, dann solltest Du eine neutrale Person um die Moderation bitten. Dasselbe gilt, wenn Du eine bestimmte Lösung erwartest – zum Beispiel, wenn Du gewisse übergeordnete Ziele erreichen musst. Steht für Dich beispielsweise im Falle von Anna und Markus die spätere Wartbarkeit der Lösung im Vordergrund, dann ist keine Konfliktmoderation angesagt, sondern eine klare Anweisung. Dann muss Anna zurückstecken, weil die Lösung ihres Kollegen einfach wartungsfreundlicher wäre.
Zustimmung einholen für die Moderation
Nehmen wir an, Du erwägst eine Moderation des Konflikts. Dann solltest Du vorab das Problembewusstsein der Beteiligten klären. Denn zuweilen reagieren Mitarbeiter verwundert, wenn man sie auf den Konflikt anspricht: „Wie kommst Du darauf, dass wir einen Konflikt haben?“ Sie streiten es ab, dass es überhaupt ein Problem gibt und lassen Dich und Deine gut gemeinten Bemühungen einfach ins Leere laufen.
Also solltest Du zunächst klären: Ist den Beteiligten der Konflikt bewusst? Und: Ist ihr Leidensdruck so groß, dass sie bereit sind, Zeit und Energie in eine Lösung zu investieren? Hole erst danach die Zustimmung zur Konfliktmoderation ein. Es ist ratsam, es den Konfliktbeteiligten zu überlassen, sich den Moderator selbst zu suchen. Am besten bietest Du Dich erst als Moderator an, wenn die Kontrahenten Dich darum bitten.
Der Ablauf einer Konfliktmoderation
Erklären Sie den Konfliktparteien, worum es bei der Konfliktmoderation geht: um ein Lösen des Konflikts. Jedoch nicht in der Form, dass wie in einer Therapie alle Emotionen und Erfahrungen in der Vergangenheit aufgearbeitet werden; auch nicht in der Form, dass wie in Betrieben oft üblich, der Konflikt ignoriert oder durch formale Regelungen zugedeckt wird. Nein, die Arbeitsbeziehung soll neu ausgehandelt und so geregelt werden, dass beide Mitarbeiter gut damit leben und ihren Job besser machen können.
Jetzt gilt es zunächst, den Sachverhalt zu klären: „Worum geht es eigentlich?“ Lasse Dich dabei aber auf keine langen Ausführungen oder Schuldzuweisungen ein, sondern unterbreche die Kontrahenten immer wieder mit Zwischenfragen, wie zum Beispiel: „Wann war das?“ Oder: „Warum ist das so wichtig?“ Mit solchen Fragen bringst Du die Mitarbeiter dazu, sachlich zu erzählen, was geschehen ist. Das kann in manchen Fällen sogar dazu führen, dass die Kontrahenten erkennen, dass der Anlass eigentlich zu unwichtig ist, um darüber zu streiten.
Ist der Sachverhalt geklärt, gilt es, nach adäquaten Lösungen zu suchen. Hier ist ein Brainstorming angesagt, schließlich sollen alle Beteiligten zur Lösung beitragen. Ein Brainstorming auch deshalb, weil das Suchen und Sammeln der möglichen Elemente einer Lösung frei von (vorschnellen) Bewertungen erfolgen sollte.
Nach dem Sammeln der Lösungsoptionen können beide Konfliktparteien anhand ihrer Forderungen und Bedürfnisse jene Lösungsvorschläge markieren, die ihnen am ehesten geeignet erscheinen. Nun beginnt das Geben und Nehmen. So könnte Anna Abstriche bei der Benutzerfreundlichkeit akzeptieren, wenn Markus ihr bei der Realisierung bestimmter Funktionen entgegenkommt. Achte als Moderator darauf, dass das Aushandeln ein wirkliches Geben und Nehmen ist. Die Erfahrung zeigt: Oft gehen die so ausgehandelten Lösungen weit über die vorangegangen Streitpunkte hinaus und schaffen so eine echte Win-Win-Situation.
Vergiss nicht, alle getroffenen Absprachen sorgsam zu notieren. Dass beim Aushandeln der künftigen Arbeitsbeziehung auch mal die Emotionen hochkochen und schmerzhafte Erlebnisse aus der Vergangenheit geschildert werden, ist denkbar. Das solltest Du zulassen, damit der Druck aus dem Kessel entweichen kann. Dabei ist aber Fingerspitzengefühl gefragt. Denn emotionale Ausbrüche können auch schnell dazu führen, dass sich der Konflikt wieder aufheizt.
Abschließen und Folgetermin vereinbaren
Die bei Konfliktmoderationen getroffenen Vereinbarungen erscheinen Außenstehenden oft unbedeutend. Für die Beteiligten sind sie aber wichtig, weil Emotionen daran hängen. Folglich muss die Umsetzung der Abmachungen auch nachhaltig sichergestellt werden, damit alte Wunden nicht erneut aufgerissen werden.
Vereinbart werden sollte auch, was geschieht, wenn Absprachen nicht eingehalten werden. Dies müssen keine Sanktionen sein. Eine solche Vereinbarung kann lauten: „Dann sprechen wir uns künftig darauf an – statt den Ärger hinunter zu schlucken.“ Vereinbare aber auf alle Fälle einen gemeinsamen Folgetermin, um zu überprüfen, ob die Absprachen eingehalten wurden und eventuell neue Konfliktpunkte entstanden sind.
Survival-Tipps
- Nicht jeder Konflikt erfordert sofortiges Handeln. Du solltest als Projektleiter nur aktiv werden, wenn der Konflikt das Arbeitsklima belastet oder die Projektziele gefährdet sind.
- Als Projektleiter kannst Du nicht jeden Konflikt moderieren. Bitte eine neutrale Person um die Moderation, wenn Du emotional beteiligt oder inhaltlich allzu sehr involviert bist.
- Kläre zunächst, ob den Beteiligten der Konflikt bewusst ist. Und: Ist ihr Leidensdruck so groß, dass sie bereit sind, Zeit und Energie in eine Lösung zu investieren?
- Erkläre den Konfliktparteien, worum es bei der Konfliktmoderation geht: um ein Lösen des Konflikts – und zwar so, dass beide Mitarbeiter gut damit leben können.
- Höre beide Seiten an, wenn Du als Schlichter oder Moderator ernst genommen werden möchtest. Konzentriere Dich dabei vor allem auf die Klärung des Sachverhalts.
- Achte als Moderator darauf, dass ein wirkliches Geben und Nehmen unter den Kontrahenten stattfindet – nur so kann der Streit auf längere Sicht beigelegt werden.


Mario Neumann
Der Trainer und Autor schreibt seit 2021 in diesem Online-Magazin locker und pragmatisch über Projektmanagement. Für seine Arbeit wurde er schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationalen Deutschen Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle seine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.