Projektleiter dürfen keine Konflikte scheuen
Wer Projekte managt, der muss oft genug die eigene Autorität einsetzen, um überhaupt etwas zu erreichen. Dennoch verlassen sich viele Projektleiter zu stark auf ihr Fachwissen oder methodische Ansätze, anstatt die Führung aktiv zu übernehmen. Wer als Projektleiter nachhaltig erfolgreich sein möchte, muss Macher-Qualitäten zeigen und bereit sein, sich Konflikten zu stellen. Rückgrat ist unerlässlich – das Vermeiden von Auseinandersetzungen führt nicht zum Ziel.
Lisa W. steht ahnungslos am Kaffeeautomaten, als ihr Vorgesetzter sich nähert und sagt: „Gut, dass ich Dich treffe …“ Nur wenige Minuten später hat sie ein neues Projekt am Hacken! – der klassische Überraschungsangriff, der Lisa sofort in die Defensive bringt. In diesem Moment wird ihr nicht bewusst, wie entscheidend diese Situation für den weiteren Verlauf des Projekts ist. Aus Angst, ihren Chef zu verärgern, zögert Lisa, den Projektauftrag kritisch zu hinterfragen. So in die Enge gedrängt, glaubt sie, das Projekt schon irgendwie bewältigen zu können. Dabei wäre es gerade jetzt wichtig gewesen, durch gezieltes Nachfragen und das Einfordern von Bedenkzeit ihre eigene Position zu stärken.
Viele Projektleiter wie Lisa nicken sofort und nehmen den Projektauftrag an. Die wenigsten bitten um Bedenkzeit, um Grundsätzliches zu klären, bevor sie die Verantwortung für ein neues Projekt übernehmen, das sich alsbald als Himmelfahrtskommando herausstellen könnte. Ist das Projekt realistisch machbar? Ist es das richtige Projekt für mich? Motiviert mich die Projektaufgabe? Kann und will ich das Projekt führen? Bin ich überzeugt von dem Projekt? Und stehe ich wirklich hinter dem Projektauftrag? Und welche Unterstützung brauche ich, um überhaupt erfolgreich sein zu können?
Viele Projektleiter weichen systematisch Konflikten und allem „Politischen“ aus. Doch wer sich von Anfang an in die Ecke drängen lässt, hat – bei allem Methodenwissen – nur bedingt Aussicht auf Erfolg.
„Wer glaubt, dass Projektleiter Projekte leiten, glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten“, ist ein beliebter Spruch in der PM-Community. Das mag man ganz witzig finden, aber in jedem Fall hat man plötzlich diese neue Rolle als Projektmanager, gewollt oder ungewollt. Viele technisch gut ausgebildete Projektleiter gehen davon aus, allein gute Fach- und Methodenkompetenz zeichne sie aus, und vermeiden Auseinandersetzungen, die nichts mit der Sache zu tun haben. Dabei ist der Wind in den Projekten längst rauer geworden. Das erfordert vor allem einen professionellen Umgang mit Konflikten.
Doch wenn Projektleiter einen Projektauftrag annehmen, erhalten sie nicht automatisch Führungskompetenz. Sie mögen zwar die Befugnis erhalten, das Projekt zu managen. Ihr Standing, ihre Führungsakzeptanz müssen sie sich hart erarbeiten – manchmal auch erkämpfen – vor allem dem gegenüber, der ihnen den Auftrag erteilt hat.


Foto: Tom Kelley auf istockphoto
Das Standing gegenüber dem Auftraggeber
Ein Auftraggeber, der schnelle Taten und weniger Worte erwartet, wird es zwar sehr entgegen kommen, wenn Du Dich direkt in die Arbeit stürzt. Wenn Du aber zu allem »Ja und Amen« sagst, wird das in der Regel als ein Zeichen von Schwäche oder Gedankenlosigkeit gedeutet – je nach Situation.
Als Projektleiter ist es entscheidend, sich in bestimmten Situationen gegenüber dem Auftraggeber zu behaupten. Beispielsweise bei Änderungen im Projektumfang oder unerwarteten Anforderungen muss der Projektleiter klar kommunizieren, welche Auswirkungen dies auf den Zeitplan und das Budget hat. Auch bei Ressourcenengpässen ist es wichtig, auf die Notwendigkeit zusätzlicher Mittel hinzuweisen, um die Projektziele nicht aus den Augen zu verlieren. In solchen Momenten muss man Rückgrat zeigen, sonst wird ein gescheitertes Projekt letztlich auf Dich selbst zurückfallen als Projektleitung und nicht auf den Auftraggeber.
Dieses Standing gegenüber dem Auftraggeber ist auch wichtig, um das Vertrauen des Auftraggebers zu gewinnen. Dabei darf man als Projektleiter auch keine Konflikte scheuen. Doch man darf die eigenen Vorstellungen auch nicht mit aller Gewalt umsetzen. Gerade im Projektmanagement ist es wichtig, die Balance zwischen Durchsetzen und Nachgeben zu finden.
Besonders schwierig wird es, wenn Du neu in der Rolle bist und daher noch nicht als Projektleiter wahrgenommen und akzeptiert wirst. In solchen Fällen ist die Methode, einfach mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, nicht effektiv. Stattdessen ist es ratsam, alternative Ansätze auszuprobieren, wenn Du Dich in einer ausweglosen Situation befindest.
Gute Projektleiter sind Täter, nicht Opfer
Die Aufgabe eines Projektleiters lässt sich mit wenigen Worten beschreiben: Er ist dafür verantwortlich, das Projektergebnis zu liefern. Wie viel Sprengstoff diese Aussage enthält, wird deutlich, wenn man den Alltag vieler Projektleiter betrachtet.
Im wirklichen Leben entscheidet beispielsweise der Einkäufer, wo Produkte und Materialien für das Projekt hergestellt und eingekauft werden. Und oft genug bestimmen Abteilungsleiter darüber, wann und in welcher Reihenfolge Mitarbeiter ihre Projektaufgaben erledigen. Das Schlimme daran: Die Projektleiter nehmen das selbst dann hin, wenn dadurch der Projekterfolg gefährdet wird.
Wer die Entscheidung des Einkaufs einfach hinnimmt und den Konflikt scheut, der nimmt seine Rolle als Projektleitung nicht ernst. Wobei für die meisten Projektleiter klar sein dürfte, dass sie nicht die Macht haben, um dem Einkäufer einfach etwas zu diktieren. Vielmehr ist ihr Geschick gefragt, trotzdem eine für das Projekt sinnvolle Lösung zu erreichen. Derartige Störfeuer und Konflikte lassen sich meist nur mit viel Verhandlungsgeschick auflösen. Dass es an der notwendigen Weisungsbefugnis fehlt, ein oder andere Mal als bequeme Ausrede genutzt, um den vermeintlich unbequemen Weg nicht gehen zu müssen.
Gelingt es dagegen nicht, Konflikte auf diese Weise zu lösen, ist es nur logisch, das Problem zu eskalieren. Das ist ebenfalls Aufgabe des Projektleiters, denn er ist verantwortlich, das Ergebnis zu liefern. Spätestens in diesem Moment wird klar, warum ein Projekt immer eine übergeordnete Instanz braucht, die in Konfliktfällen für eine Entscheidung sorgt. Das kann entweder ein mächtiger Auftraggeber sein oder ein entsprechend mit Kompetenzen ausgestatteter Lenkungskreis.
Teamleitung versus Fachkompetenz
Teamwork makes the dream work. Klar. So soll es sein. Aber nicht immer bedeutet Teamarbeit auch Erfolg. Jeder hat es schon erlebt, dass auch und gerade in Projektteams Konflikte entstehen – von der kleinen Zankerei bis zum Rieseneklat. Viele Projektmanager sind allerdings überspitzt gesagt auf Harmonie gepolt. Dass Teamarbeit extrem schwierig ist, dass Konflikte vorprogrammiert sind, dass sich Projektleiter ihre Führungsposition im Team geschickt erarbeiten müssen – das blenden sie aus.
Das beginnt meist schon in der ersten Besprechung oder im Kickoff-Workshop. Statt deutlich Grenzen zu ziehen, wird alles ausdiskutiert. Doch gerade bei den Regeln der Zusammenarbeit solltest Du als Projektleiter Grenzen setzen und nicht diskutieren. Hier bist Du gefordert, genau zu formulieren, was Du vom Team und der Zusammenarbeit erwartest. Bei inhaltlichen Fragen oder der Verteilung von Aufgaben kannst Du dagegen den Konsens oder Kompromisse suchen.
Noch schwieriger gestaltet sich die Situation, wenn Projektleiter meinen, sie müssten ihre Autorität aufgrund ihrer Fachexpertise unter Beweis stellen. In solchen Fällen mischen sie sich immer wieder in die Arbeit ihrer Teams ein. Am Ende spielen sie damit die einzelnen Spezialisten an die Wand, und deren Motivation geht verloren. Bei einem Team von fünf Spezialisten lohnt es sich nicht, als Projektleiter den sechsten Spezialisten zu spielen. Wesentlich effizienter ist es, aus der übergeordneten Position heraus den Prozess zu gestalten.
Du bist als Projektleiter die Schnittstelle und der Punkt, an dem die Prozesse des Projekts zusammenlaufen. An genau diesem Punkt laufen aber auch die Menschen auf – und damit die potenziellen Konflikte. Zeit spielt dabei eine wichtige Rolle, denn je länger dort ein Konflikt schwelt oder gar offen ausgetragen wird, desto länger wird er sich negativ auf die Motivation, auf die Produktivität und letztendlich auf den Projekterfolg auswirken.
Wenn Du Dich vor Konflikten drückst, verlierst Du schnell Dein Standing im Team. Nichts vergiftet die Arbeitsatmosphäre in Projekten mehr als schwelende Auseinandersetzungen. Je früher Du einen Konflikt erkennst und zu beseitigen versuchst, desto höher sind die Chancen, dass er sich nicht zu einem ausgewachsenen Eklat entwickelt.
Zwischen allen Stühlen
Viele Projektleiter sehen sich in Projekten als Vermittler zwischen Interessengruppen verstehen. Sofern sie damit im Sinne ihres Projekts arbeiten, ist das nicht zu kritisieren. Gefährlich wird es allerdings, wenn der Projektleiter nur vermittelt und die eigenen Interessen dabei aus dem Blick verliert. Das passiert beispielsweise, wenn zwei Abteilungsleiter mit unterschiedlichen Interessen in das Projekt hineinregieren. Die meisten Projektleiter versuchen es in solchen Fällen, beiden recht zu machen – statt die beiden Abteilungsleiter zu einer Einigung zu zwingen. Genau diese Einigung wäre aber wichtig, deshalb lohnt es sich, in diesen Konflikt reinzugehen.
Ähnlich kompliziert ist die Gemengelage bei Ressourcenkonflikten. Es entstehen zwangsläufig Konflikte, wenn dem Projekt nicht ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen. Doch auch hier weichen viele Projektleiter aus. Sie glauben, mit einer Beschwerde beim Auftraggeber sei das Sache erledigt. Doch weit gefehlt: Ressourcenkonflikte können nur im Kampf entschieden werden. Auch hier gilt es, Position zu beziehen und damit eine gewünschte Wirkung zu erzielen.
Die Regel, man solle nicht zum Chef gehen, wenn man nicht gerufen wurde, gilt im Projektmanagement schon lange nicht mehr. Auch und gerade in Projekten musst Du als Projektleiter offensiv für Dein Projekt werben und darfst den Konflikt nicht scheuen. Ziel muss immer sein, dass Du Deine Handlungsfähigkeit behältst. Geht sie Dir verloren, dann kann das schon das das Todesurteil für Dein Projekt sein.
Survival-Tipps
- Mache Dir bewusst, dass Du in der Rolle als Projektleiter eine Führungsaufgabe hast und es nicht ausreicht, fachlich der Experte zu sein.
- Zeige Standing gegenüber dem Auftraggeber. Das ist wichtig, um das Vertrauen des Auftraggebers zu gewinnen. Dabei darfst Du keine Konflikte scheuen.
- Achte darauf, nicht einfach mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Es ist vielmehr wichtig, eine gute Balance zwischen Durchsetzen und Nachgeben zu finden.
- Nimm Entscheidungen von Dritten im Projekt nicht einfach hin. Zeige vielmehr die Auswirkungen auf und versuche eine für das Projekt sinnvolle Lösung zu erreichen.
- Konzentriere Dich darauf, den Prozess zu gestalten. Bei einem Team von fünf Spezialisten lohnt es sich nicht, als Projektleiter den sechsten Spezialisten zu spielen.
- Denk mal nach: Siehst Du Dich als Kapitän des Schiffs? Ist Dir bewusst, dass Du derjenige bist, der das Thema vorantreiben muss? Falls Du Zweifel hast: Du bist der, der das Sagen hat.


Mario Neumann
Der Trainer und Autor schreibt seit 2021 in diesem Online-Magazin locker und pragmatisch über Projektmanagement. Für seine Arbeit wurde er schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationalen Deutschen Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle seine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.