Kommunikation

Hybride Meetings – gekommen um zu bleiben

Von am 15.04.2024

Ich stelle Menschen gerne Fragen, weil mich ihre Arbeit, ihre Strategien, ihre Standpunkte oder ihre Thesen interessieren. Für meine Kolumne NACHGEFRAGT habe ich das Gespräch mit Andrea Heitmann gesucht. Sie ist überzeugt, dass hybride Meetings so ihre Tücken haben, und diese sollte man kennen. Ich habe bei Andrea Heitmann nachgefragt, wie man hybride Meetings durchführt und alle Teilnehmenden optimal einbindet.

Mario: Homeoffice und Online-Meetings per Zoom, Teams und Co. sind nicht mehr aus dem Projektalltag wegzudenken. Das belegen auch die explodierenden Nutzerzahlen: Hatte Zoom im Dezember 2019 noch 10 Millionen Nutzer, so sind es zwei Jahre später schon stolze 300 Millionen. Andrea, mit Blick auf diese Zahlen sind wir uns doch einig: Es macht keinen Sinn, zurückzukehren zur „alten Normalität“ und alle Mitarbeitenden wieder von 8 bis 17 Uhr ins Büro zu beordern, oder!?

Andrea: Legen wir mal die Karten auf den Tisch. Auf der einen Seite möchten wir unsere Kolleginnen und Kollegen auf einen Kaffeeplausch im Büro treffen und den direkten sozialen Kontakt bei der Arbeit genießen. Gleichzeitig wollen wir nicht zurück in die starre Arbeitsroutine, die wir vor Corona erlebt haben. Wir wünschen uns das Beste aus beiden Welten: eine gute Mischung aus Homeoffice und stationärem Arbeiten in der Firma. Das ist die „neue Normalität“.

Mario: Genau an dieser Stelle sollten wir uns über hybride Meetings unterhalten. Sie sind schließlich ein grundlegender Bestandteil des hybriden Arbeitens …

Andrea: Damit wir von Beginn an vom Gleichen sprechen, am Besten erst einmal eine kleine Definition: Hybride Meetings sind Treffen, an dem ein Teil der Teilnehmer vom Büro aus teilnimmt und ein anderer Teil aus der Ferne – via Zoom, Skype oder Teams. Es mag zwar branchenspezifische Unterschiede geben, aber wer zukünftig erfolgreich sein möchte, für den geht kein Weg am hybriden Arbeiten und damit an hybriden Meetings vorbei.

Mario: Was verändert sich durch hybride Meetings?

Andrea: In hybriden Meetings trifft sich ein Teil der Gruppe gemeinsam im Meetingraum, während ein anderer Teil per Videocall oder Telefon zugeschaltet ist. Daraus ergibt sich eine gewisse Komplexität im Vergleich zu anderen Meeting-Formaten.

Mario: Die da wären?

Andrea: In Präsenzmeetings sitzen die Teilnehmenden zusammen am selben Ort. Es bestehen gleiche Rahmenbedingungen für alle. Im Online-Meeting sitzt jeder allein im Homeoffice oder am Arbeitsplatz. Auch hier bestehen vergleichbare Rahmenbedingungen für alle.

In hybriden Meetings dagegen gibt es mindestens zwei unterschiedliche Zielgruppen: die geschlossene Gruppe vor Ort und diejenigen, die sich online zuschalten. Dabei gelten eben nicht die gleichen Rahmenbedingungen für alle.

Mario: Durch die Pandemie wurde von jetzt auf gleich alles virtuell. Meetings werden oft online abgehalten und sind für Projektleiterinnen und Projektleiter längst zur Routine geworden. Hybride Meetings sind für viele dagegen eine echte Herausforderung …

Andrea: … weil sie es nicht gewohnt sind. Organisatorisch und kognitiv stellen uns solche Konstellationen vor Herausforderungen. Wer sich nur auf die Komplexität hybrider Meetings fokussiert, kommt leicht zu der Frage: Sind sie den Aufwand überhaupt wert? Wer ein hybrides Meeting nur halbherzig organisiert und durchführt, sollte es lieber gleich bleiben lassen.

Titelbild: Charlesdeluvio auf Unsplash / Bild: Andrea Heitmann

Mario: Man macht sie also nicht „einfach so“ und nebenbei?

Andrea: Nein, denn hybride Meetings brauchen Vorbereitung und ein hohes Maß an Aufmerksamkeit. Wer sich keine Gedanken im Vorfeld macht, riskiert schnell ein Ungleichgewicht. Denn: Die physisch Anwesenden können sich wesentlich einfacher untereinander austauschen als die einzeln zugeschalteten Kolleginnen und Kollegen aus dem Homeoffice. Wir nennen die vor Ort Anwesenden „Roomies“ und die einzeln online Zugeschalteten „Zoomies“.

Mario: Wie bekommt man die Roomies und Zoomies unter einen Hut?

Andrea: Die Zoomies benötigen eine andere Aufmerksamkeit und Herangehensweise an die Inhalte als die Roomies. Beide Zielgruppen befinden sich in unterschiedlichen sozialen Kontexten, haben unterschiedliche Bedürfnisse und zeigen unterschiedliche Verhaltens-/Reaktionsweisen. Sie gemeinsam unter einen Hut zu bekommen, ist vergleichbar damit, Essig und Öl zu vereinen. Wenn Du sie einfach zusammenschüttest, wird das nicht funktionieren. Du bekommst keine Einheit – keine Emulsion -, weil die Charakteristika nicht zusammenpassen. Erst, wenn Du weitere Zutaten dazugibst – bei Essig und Öl wäre das Sahne oder Senf -, kannst Du eine Einheit erreichen.

Mario: Was heißt das auf hybride Meetings übertragen?

Andrea: Wenn wir die Zusammenhänge verstehen und bewusst akzeptieren, können wir, durch Zugabe bestimmter Zutaten, z.B. Tools, Methoden, Herangehensweisen etc., beide Seiten miteinander verbinden und für Spaß und Erfolg bei allen Beteiligten sorgen. Denn das Verständnis über die jeweiligen Besonderheiten der beiden Gruppen bildet die Basis für ein gutes hybrides Miteinander.

Mario: Dann lass‘ uns doch mal mit den Roomies beginnen, also der Gruppe vor Ort. Du nennst die Roomies auch das „Wir-Kollektiv“. Warum?

Andrea: Diese Teilnehmenden sehen einander und können soziale Hinweisreize und nonverbale Signale der anderen stärker wahrnehmen als die Zoomies. Sie merken, ob die Kollegin gestresst in den Besprechungsraum hetzt, tiefenentspannt angeschlendert kommt oder fröhlich und energiegeladen in den Raum schneit – und sie können sich entsprechend darauf einstellen. Auch der Gesprächsfluss untereinander ist wesentlich dynamischer: Die Teilnehmenden vor Ort nicken zustimmend, atmen ablehnend aus oder wippen unruhig mit dem Fuß. Dieses nonverbale Feedback nehmen alle anderen im Raum unmittelbar wahr, wenn auch nur unterbewusst. Aber es macht etwas mit ihnen und der Atmosphäre im Raum.

Mario: Das der Gruppenkontext, mit dem wir vertraut sind …

Andrea: Richtig. Wir Menschen kommen schon seit Urzeiten in dieser oder ähnlicher Form zusammen. Vor allem auf nonverbale Signale können wir uns seit unserer Geburt verlassen. Sie haben einen großen Anteil daran, dass Beziehungen und Vertrauen entstehen können. Da kann es schon vorkommen, dass wir im Rausch der Gruppen- und Teamdynamik nicht mehr bemerken, wer sonst noch dem Gespräch beiwohnt.

Mario: Und genau das darf in hybriden Meetings nicht passieren …

Andrea: Absolut. In einem hybriden Meeting haben wir schließlich auch noch die Zoomies, die online zugeschaltet sind. Sie sind eher Einzelkämpfer, isoliert in ihrem Arbeitszimmer daheim oder wo auch immer auf der Welt. Im Besprechungsraum sehen wir die digital Anwesenden nur in einer kleinen Kachel auf dem Bildschirm. Bei den Zoomies sehen wir nicht, mit welchem mentalen Rucksack sie in das Meeting kommen. Wir können ihr nonverbales Verhalten weder sehen noch bewerten.

Mario: Ist das wirklich ein Problem für die anderen?

Andrea: Ja, weil unser Körper immer spricht – auch wenn der Mund nichts sagt. Diese Signale, die uns andere permanent senden, saugen wir unterbewusst wie ein Schwamm auf. Doch im Online-Meeting sehen wir im besten Fall nur den Kopf und maximal einen Teil des Oberkörpers unseres Gegenübers. Im schlechtesten Fall sehen wir nur einen schwarzen Screen mit Namen, weil die Internetverbindung mal wieder zu schlecht ist. In beiden Fällen fehlt uns der 360°-Blick auf die Person.

Mit einem Mal können wir nicht auf das zurückgreifen, was uns eine Einschätzung der Situation ermöglicht und ein Gefühl von Sicherheit gegeben hätte. Wir wissen nicht, ob wir gleich böse angeraunzt werden oder ob uns ein gemütlicher Plausch über persönliche Dinge zu Beginn erwartet. Und das müssen wir herausfinden und antizipieren, indem wir die Zoomies ganz anders abholen als die Roomies.

Mario: Das bedeutet vermutlich, dass wir instinktiv diejenigen Personen bevorzugen, die sich in unserer unmittelbaren Nähe befinden …

Andrea: Es ist tatsächlich ein evolutionärer Teil unseres kognitiven Entscheidungsprozesses, den wir seit Urzeiten als mentale Abkürzung nutzen, um Dinge oder Personen zu bevorzugen, die uns am sichersten und klarsten erscheinen. Allem, was uns unklar, unsicher oder distanziert erscheint, treten wir unterbewusst mit Vorsicht und Zurückhaltung gegenüber und sortieren es in Schubladen.

Mario: Wenn man sich dessen nicht bewusst ist und die Auswirkungen dieses Effekts nicht kennt, kann das hybride Miteinander schnell nach hinten losgehen …

Andrea: Einen Projektleiter kann es unterbewusst zum Denken verleiten, dass sich Mitarbeitende, die sie häufiger im Büro oder im Besprechungsraum sehen, mehr für das Projekt engagieren, eine bessere Arbeit abliefern. Dies wiederum kann dazu führen, dass die Roomies mehr Erfolg im Beruf haben. Das bedeutet im Klartext: Die Personen vor Ort im Büro haben einen klaren Vorteil, denn sie bleiben ihren Vorgesetzten in besserer Erinnerung.

Es liegt also an den Projektleiterinnen und Projektleitern, allen Projektmitarbeitenden dieselbe Aufmerksamkeit zu schenken und dieselben Chancen einzuräumen.

Mario: Was bedeutet das für hybride Meetings?

Andrea: In hybriden Meetings kann dieser Effekt zu einer Verkettung von Fehlannahmen führen. Die Personen im selben Raum finden wir sympathischer als die Zoomies – und halten sie sogar für kompetenter. Andersherum ist es genauso. Obwohl die Zoomies jeweils für sich isoliert sind, sympathisieren sie mehr mit den gleichgesinnten Personen, den anderen Zoomies, als mit der zugeschalteten Gruppe. Denn sie sitzen im selben Boot. Auf der Strecke bleiben das Gemeinschaftsgefühl, des Gefühl für Anerkennung und Wertschätzung sowie das Gefühl für Sicherheit und Geborgenheit – keine gute Nachricht für ein gut funktionierendes Projektteam.

Mario: Im schlimmsten Fall entsteht also eine Zweiklassengesellschaft?  

Andrea: Ja. Wenn wir nicht aufpassen, droht das hybride Meeting von einem effizienten Besprechungsformat zu einer Spaßbremse zu mutieren, die einen Keil zwischen die Beteiligten treibt. Eiszeit macht sich breit – und die imaginäre Jukebox wechselt von „We are family“ zu „Sound of Silence“.

Mario: Liebe Andrea, herzlichen Dank, dass ich bei Dir nachfragen durfte.

Zur Person

Andrea Heitmann ist die Expertin für „digitale Auftrittspower“. Neben einer erfolgreichen Karriere in der Luxushotellerie und diversen Stationen als Trainerin und Ausbilderin in namhaften Unternehmen, hat sie 2018 ihr eigenes Unternehmen in der Schweiz gegründet. In ihrer Rolle als Trainerin und Coach unterstützt sie ihre Kunden dabei, sensibel die rhetorischen Besonderheiten in hybriden und Online-Meetings zu werden. In ihrem Buch „Hybride Meetings“ kann man nachlesen, wie man eine hybride Meetingkultur etabliert, sie organisiert und worauf man in jedem Fall achten sollte.