Ein Anbieter, der zu Dir passt
Die Digitalisierung schreitet voran. Dieser globalen Entwicklung müssen sich alle Fachbereiche eines Unternehmens stellen und ihre Aufgaben künftig mithilfe innovativer Software möglichst effizient, papierlos und natürlich auch mobil erledigen. Damit Software diesem Anspruch gerecht werden kann, ist besondere Sorgfalt bei der Auswahl der Anbieter wichtig. Damit man viel Freude an der neuen Software hat, sollte man gewisse Fehler deshalb unbedingt vermeiden.
Mario L. ist IT-Projektleiter in einem großen, mittelständischen Unternehmen, das sich entschieden hatte, eine digitale Personalakte einzuführen. Die Wahl fiel auf einen Anbieter, der aufgrund seiner Marktpräsenz und eines attraktiven Lizenzmodells empfohlen wurde. Die Entscheidung stellte sich jedoch schon bald als problematisch heraus, da die spezifischen Anforderungen der HR-Abteilung und der IT-Infrastruktur nicht berücksichtigt worden waren. Nach der Implementierung häuften sich Schwierigkeiten: Die Software war nicht benutzerfreundlich, integrierte sich schlecht in bestehende Systeme und erfüllte nicht die datenschutzrechtlichen Vorgaben. Letztlich musste das Unternehmen die Zusammenarbeit mit dem Anbieter beenden und einen neuen Auswahlprozess starten.
Die Auswahl eines passenden Softwareanbieters ist mit zahlreichen Herausforderungen verbunden, die häufig zu suboptimalen Entscheidungen führen können. So hatte Mario L. beispielsweise versäumt, die spezifischen Anforderungen der HR-Abteilung präzise zu erfassen – ein entscheidender Schritt bei der Einführung einer digitalen Personalakte. Dadurch mangelte es an einer fundierten Bedarfsanalyse, was letztlich dazu führte, dass bei der Wahl der neuen Software wesentliche Funktionen nicht berücksichtigt wurden. Zusätzlich kommt oft hinzu, dass die Bedürfnisse der verschiedenen Stakeholder – von den HR-Mitarbeitenden bis zur IT-Abteilung – nicht immer aufeinander abgestimmt sind. Dies führt häufig zu Missverständnissen und unzureichenden Lösungen, die den Erfolg des Projekts gefährden können.
Die Vielzahl an Softwareanbietern und deren unterschiedliche Angebote macht die Auswahl eines passenden Partners zu einer echten Herausforderung. Die Vergleichbarkeit der Systeme wird durch technische Fachbegriffe und Marketingversprechen noch zusätzlich erschwert.
Wo liegt das Problem?
Software soll Probleme lösen, Abläufe leichter handhabbar machen, neue Möglichkeiten eröffnen und sich amortisieren. Damit eine Software diesem Anspruch gerecht werden kann, ist besondere Sorgfalt bei der Auswahl der Anbieter und deren Produkte wichtig. Allerdings wird die Auswahl des passenden Partners angesichts einer steigenden Zahl von Anbietern und von Produkten zunehmend komplexer. Außerdem sind an dem Auswahlprozess in der Regel Stakeholder mit unterschiedlichen Interessen beteiligt, und die Auswahl erfordert Prozess- sowie Softwareexpertise und Einblick in das Marktgeschehen. Wie findet man da den geeigneten Partner und die passende Software?


Foto: Tumisu auf Pixabay
Was brauchen wir eigentlich?
Viele Softwarelösungen beinhalten gute Ideen. Wenn man im Voraus nicht genau weiß, was man will, wird man sich bei der Recherche verzetteln und unnötig Zeit verschwenden. Nutze deshalb lieber die Zeit, um Eure Anforderungen zu definieren:
- Welche Unternehmensbereiche sollen die Software nutzen?
- Welche Probleme möchtet Ihr für welchen Zweck lösen?
- Was sollte sich gegenüber bereits vorhandener Software verbessern?
- Welche Wünsche und Bedarfe möchtet Ihr decken?
Macht Euch klar, welche Funktionen und Eigenschaften die Software erfüllen soll. Wichtige Punkte dabei sind Skalierbarkeit, Benutzerfreundlichkeit und Integration mit bestehenden Systemen.
Um die richtige Software zu finden, sollte ein interdisziplinär besetztes Projektteam – mit Personen aus den verschiedenen Fachbereiten, der IT und weiteren Beteiligten – genau festlegen, welche grundlegenden Anforderungen an die neue Software gestellt werden. Bedarfe und Wünsche der Anwender stehen bei der Erstellung eines Anforderungskataloges im Mittelpunkt. Ebenso wichtig ist das Vorhandensein von Know-how über die Möglichkeiten und Funktionsumfänge moderner Software-Systeme. Nur so können weitere elementare Anforderungen definiert werden. Unterteilt Eure Anforderungen in die Kategorien „muss“, „soll“, „Bonus“. In der Kategorie „muss“, solltet Ihr auf jeden Fall auf Euren Anforderungen bestehen und keine Kompromisse eingehen, ansonsten werdet Ihr keine Freude an der neuen Software haben.
Den Markt sondieren
Bei der Implementierung einer neuen Software greifen viele Unternehmen auf Standardlösungen großer Anbieter zurück. Die Begründungen hierfür liegen häufig in der Zeit- und Kostenersparnis und der Möglichkeit, die Software auszuprobieren. Doch gerade das ist ein großer Fehler vieler (mittelständischer) Unternehmen. Kleinere und spezialisierte Softwareanbieter haben häufig sehr gute Lösungen und zusätzliches Verständnis für lokale Besonderheiten der Branche und die Unternehmensgröße.
Die Fülle von Anbietern und Lösungen im Markt für Software aller Art stellt so manchen IT-Verantwortlichen vor hohe Hürden. Eine Internetrecherche reicht kaum aus, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Der Besuch von Fachmessen oder Informationsveranstaltungen, die Lektüre von Fachmedien oder die Nutzung von Softwareauswahl-Portalen sind dagegen gute Informationsquellen. Zapfe auch Dein Netzwerk an: Eventuell haben eigene Mitarbeiter, bereits vorhandene Dienstleister oder Kollegen aus anderen Unternehmen Tipps und Erfahrungswerte. Alternativ kann man bei der Auswahl infrage kommender Anbieter und Lösungen auf Berater zurückgreifen, weil diese den Markt in der Regel sehr gut kennen und tagtäglich mit Softwareprojekten befasst sind.
Dem Anbieter auf den Zahn fühlen
Sind fünf bis zehn Software-Anbieter ausgewählt, erfolgt die eigentliche Ausschreibung. Die zuvor ermittelten Ansprechpartner der Software-Hersteller erhalten nun den Anforderungskatalog. Zu jeder einzelnen Anforderung sollen die Anbieter mit ihrem Angebot vermerken, ob sie diese erfüllen oder nicht erfüllen. Auf Basis dieser Rückmeldungen werden nach Kosten- und Funktionsgesichtspunkten zwei bis drei Anbieter zu vertiefenden Präsentationen oder Workshops eingeladen, um ihnen auf den Zahn zu fühlen.
Häufig wird der Prozess dadurch verzögert, dass diese Ausschreibungen zu viele oder zu wenig Informationen enthalten. Zu wenig Informationen können dazu führen, dass Ihr eine unvollständige Lösung kauft. Eine zu spezifische Anfrage, die nicht nur Details zu gewünschten Funktionen enthält, sondern auch jede einzelne Ausnahme oder gewünschte Anpassung, kann schnell dazu führen, dass man sich im Auswahlprozess verzettelt. Eine ausgewogene Ausschreibung trägt dazu bei, erfolgreich eine gute Lösung zu finden.
Bei der Durchführung von Angebotspräsentationen verschiedener Software-Anbieter ist es entscheidend, eine strukturierte und zielgerichtete Herangehensweise zu wählen. Zunächst solltet Ihr die spezifischen Anforderungen und Erwartungen klar definieren, um sicherzustellen, dass alle relevanten Aspekte während der Präsentationen angesprochen werden. Darüber hinaus sollte ein interdisziplinäres Team aus verschiedenen Fachabteilungen anwesend sein, um unterschiedliche Perspektiven einzubringen und potenzielle Bedenken frühzeitig zu äußern. Nur wenn der Softwareanbieter Eure Anforderungen erfüllt, kommt er in die nächste Runde.
Viele Nutzer aus den Fachabteilungen hören sich in solchen Angebotspräsentationen an, was ein Verkäufer zu sagen hat und bewerten dann, ob sie das selbst brauchen. Das ist jedoch genau falsch herum. Ihr benötigt etwas. Der Verkäufer wird versuchen, Euch davon abzubringen, wenn seine Software die geforderten Funktionen nicht bieten kann. Vorsicht: Er ist dabei argumentativ im Vorteil, weil er schon öfter neue Software eingeführt hat. Wenn Ihr Euch allerdings im Klaren darüber seid, was Ihr wirklich braucht und das formulieren könnt, dann seid Ihr wieder „auf Kurs“.
Das Lastenheft erarbeiten
In den Präsentationen und Workshops der Software-Anbieter sollten allgemeine Prozesse und konkrete Anwendungsszenarien durchgespielt werden. Hiernach könnt Ihr Euren Anforderungskatalog konkretisieren, also das eigentliche Lastenheft erstellen. Im Lastenheft werden alle erforderlichen Funktionen des neuen Software-Systems und die SOLL-Prozesse detailliert und unmissverständlich festgehalten. Das Lastenheft stellt schließlich die Grundlage für konkrete Angebote der Softwareanbieter dar. Nach der Analyse und Bewertung der eingeholten Angebote erfolgt schließlich die Festlegung auf ein Software-System. Anschließend wird in der Regel ein Vorvertrag unterzeichnet.
Fazit
Die Auswahl des richtigen Software-Anbieters ist für Unternehmen von großer Bedeutung, da sie maßgeblich den Erfolg und die Effizienz interner Prozesse beeinflusst. Eine geeignete Softwarelösung kann die Produktivität steigern, Arbeitsabläufe optimieren und die Zusammenarbeit zwischen Abteilungen verbessern. Falsche Entscheidungen hingegen können zu hohen Kosten, ineffizienten Prozessen und Frustration bei den Mitarbeitenden führen.
Survival-Tipps
- Mache Dir klar, welche Funktionen und Eigenschaften die Software erfüllen soll. Hierfür solltest Du die wesentlichen Anforderungen in den verschiedenen Abteilungen aufnehmen.
- Sondiere den Markt. Recherchiere potenzielle Anbieter. Am besten beziehst Du dabei Dienstleister, Fachkollegen und Mitarbeiter mit ein.
- Werte die eingegangenen Angebote nach dem Budget und dem Erfüllungsgrad Deiner Anforderungen aus. Die interessantesten Anbieter lädst Du dann zur Präsentation ein.
- Reduziere schrittweise die Menge der denkbaren Anbieter. Hierbei helfen Dir Anwendungsfälle, anhand derer Du den Anbietern auf den Zahn fühlen kannst.
- Konkretisiere den Anforderungskatalog und erstelle nun das eigentliche Lastenheft. Darin werden alle erforderlichen Funktionen der Software unmissverständlich festgehalten.
- Beziehe die Mitarbeiter in den Entscheidungsprozess ein, die künftig mit der Software arbeiten sollen. Sehen diese keinen Nutzen in der neuen Software, werden sie nicht damit arbeiten!


Mario Neumann
Der Trainer und Autor schreibt seit 2021 in diesem Online-Magazin locker und pragmatisch über Projektmanagement. Für seine Arbeit wurde er schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationalen Deutschen Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle seine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.