Strategie

Alles zurück auf Anfang

Von am 13.01.2025

Massive Schwierigkeiten im Projekt müssen kein Grund sein, das Vorhaben gleich ganz abzubrechen. Solange die übergeordneten Projektziele weiterhin sinnvoll und lohnend sind, kann ein Reset die richtige Entscheidung sein: eine Überprüfung der Ziele und Vorgehensweise, die Ausarbeitung eines Sanierungsplans – gefolgt von einem Neustart des Projekts.

Erschöpft sinkt Wolfgang M. in seinen Bürostuhl. Er kommt gerade aus einer anstrengende Sitzung des Lenkungsausschusses. Eigentlich müsste die neue App, die sein Team für ein Versicherungsunternehmen entwickelt, längst verfügbar sein. Stattdessen schlägt sich sein Team mit mehr als 400 Bugs herum. Auch die Anbindung an die zentrale Datenbasis will einfach nicht gelingen. Im Lenkungsausschuss hat der Projektleiter nun Farbe bekennen müssen: Die Einführung der App, so musste er einräumen, werde sich voraussichtlich erneut um mehrere Monate hinausschieben. Und das war nicht die erste massive Verzögerung!

Ob im Kleinen oder Großen, ob auf der politischen Bühne oder im Projektalltag – es lässt sich immer wieder dasselbe Muster erkennen: Eine mehr oder weniger gravierende Schwierigkeit taucht auf. An sich wäre die Lage beherrschbar, doch viele Projektleiter reagieren ungeschickt und reden sich immer tiefer ins Verderben. Etwa indem sie nach der Salami-Taktik vorgehen und versuchen, die Probleme klein zu reden. Dabei verheddern sie sich immer mehr in Widersprüche. Scheibchenweise gelangen die Fakten ans Licht, während die Projektkrise fortschreitet und sich das Zeitfenster für einen erfolgreichen Turnaround schließt.

Ein angeschlagenes Projekt erfordert beherztes Handeln. Ziele, Pläne, Vorgehensweise, auch die Besetzung des Projekts stehen zur Disposition. Ihre Aufgabe als Projektleiter ist es, das Heft in die Hand zu nehmen und das Projekt neu aufzusetzen.

Die Bestandsaufnahme

Zunächst gilt es zu entscheiden, ob das Projekt überhaupt weitergeführt werden soll – es geht um die Go- oder No-Go-Entscheidung. Auftraggeber und der Lenkungsausschuss benötigen hierfür eine solide Informationsbasis. Sie wollen wissen: Wo stehen wir? Was brauchen wir?

Für den Projektleiter steht jetzt viel auf dem Spiel. Ihm muss es gelingen, mit seinem Team zügig eine Bestandsaufnahme vorzunehmen, um die notwendigen Informationen präsentieren zu können. Zugleich muss er seinen Auftraggeber davon überzeugen, dass er das Heft in der Hand hält und in der Lage ist, das Projekt aus der Krise zu führen. Das ist keineswegs ein Selbstläufer: In Krisenprojekten neigen Auftraggeber und Management zu der Ansicht, dass die bisherige Projektleitung die Krise mit verschuldet hat und ihr deshalb die Kraft für ein stringentes  Krisenmanagement fehlt. Sie befürchten, der Projektleiter und sein Team könnten eher mit sich selbst beschäftigt sein – und ihnen könnte die erforderliche Distanz fehlen, um Fehler einzugestehen und die Situation richtig zu beurteilen

Foto: Oleg Gamulinskii auf Pixabay

Der Offenbarungseid

Wenn der Projektleiter vor dem Lenkungsausschuss die Ergebnisse der Bestandsaufnahme präsentiert, gleicht das einem Offenbarungseid. Schonungslos legt er offen, wo das Projekt steht. Die Führungsriege ist zwar auf schlechte Nachrichten vorbereitet, doch kann es durchaus sein, dass die Anwesenden schockiert reagieren. Das gilt es in Kauf zu nehmen. Entscheidend ist allein eine solide Entscheidungsgrundlage, auf der Auftraggeber und Lenkungsausschuss entscheiden können, ob das Projekt fortgeführt werden soll.

Auch die aufgelaufenen Kosten spielen bei dieser Entscheidung eine wichtige Rolle. Je mehr bereits in das Projekt investiert wurde, desto weniger dürfte das Management bereit sein, das Projekt ganz aufzugeben und die bisherigen Ergebnisse abzuschreiben.

Entscheiden sich Lenkungsausschuss und Auftraggeber für eine Fortsetzung des Projekts, bedeutet das: Alles zurück auf Anfang. Es macht keinen Sinn, Plänen hinterher zu rennen, die ohnehin nicht mehr einzuhalten sind. Für alle Beteiligten, auch für das Projektumfeld, schlägt nun eine „Stunde Null“: Das Projekt beginnt wieder von vorne.

Der Neustart

Die Sanierung eines Projektes ist ein eigenständiges Projekt – mit allem, was ein Projekt ausmacht. Es beginnt mit der Auftragsvergabe für die Projektsanierung. Wie bei Projekten üblich, trifft der Projektleiter mit dem Auftraggeber eine Vereinbarung, in der die inhaltlichen und terminlichen Ziele sowie das geplante Vorgehen festgehalten sind. Ohne diese erneute Vereinbarung und damit ohne das ausdrückliche Commitment des Aufraggebers ist eine Kehrtwende kaum möglich.

Das Management erwartet schnelle Ergebnisse. Es stehen daher nur wenige Tage zur Verfügung, um gemeinsam mit dem Team ein Sanierungskonzept zu erarbeiten, das die notwendigen Aktivitäten für den Turnaround des Projekts festlegt. Im Allgemeinen mündet das Konzept in einen neuen Basisplan für das Projekt. Hat der Auftraggeber das Konzept freigegeben, beginnt die Umsetzung.

Die Firefighter

Ganz gleich wie das Projekt in die Krise geschlittert ist, ob schleichend oder durch ein unerwartetes Ereignis, das eine Kettenreaktion ausgelöst hat: Als Projektleiter stehst Du jetzt vor der Aufgabe, es wieder auf Kurs zu bringen.

Dazu benötigst Du zu allererst ein schlagkräftiges Team, das es innerhalb kurzer Zeit auf die Beine zu stellen gilt. Der Wechsel von Schlüsselpersonen kann jetzt eine der wichtigsten Maßnahmen sein – denn damit signalisierst Du, dass Du die Krise aktiv angehst. Neue Mitarbeiter müssen sich nicht rechtfertigen, können die anstehenden Themen unvorbelastet anpacken und bringen frischen Wind ins Projekt. Auch das ist oft ein entscheidender Erfolgsfaktor für den Turnaround.

Nicht zuletzt benötigt das Team positive Energie, um den bevorstehenden Kraftakt zu bewältigen. Zeige Deinen Mitarbeitern deshalb Perspektiven auf, strahle Zuversicht aus und gehe selbst mit Tatkraft voran. Lasse die Firefighter in Ruhe ihre Arbeit machen. Schließe die Türen, schirme Deine Mitarbeiter von der Außenwelt ab, damit sie konzentriert an Lösungen zur Bewältigung der Krise arbeiten können.

Die zweite Chance

Der Turnaround ist die zweite Chance, sich als Projektleiter zu bewähren. Spätestens jetzt kommt es auf ein wirklich professionelles Projektmanagement an, schließlich darf das Projekt nicht erneut ins Schleudern geraten. Gelingt das Krisenmanagement, fassen alle Beteiligten wieder Vertrauen – und das Projekt geht wieder in den Normalbetrieb über.

Survival-Tipps

  • Finde heraus, wo Ihr wirklich steht. Bleibe fair und vermeide Schuldzuweisungen. In Krisensituationen hilft nur, mit offenen Karten zu spielen.
  • Setze alles zurück auf Anfang. Begreife die Projektsanierung als neues Projekt: Kläre den Sanierungsauftrag und entwickele einen neuen Plan.
  • Denke daran: Spätestens jetzt ist ein professionelles Projektmanagement angesagt. Dein Projekt darf nicht noch einmal ins Schleudern geraten.
  • Halte Deinen Mitarbeitern den Rücken frei. Sorge dafür, dass Dein Team in Ruhe an der Rettung des Projekts arbeiten kann.
  • Erziele rasch erste Erfolge (Quick Wins). Damit erhöht sich Zuversicht und Motivation im Team. Alle Beteiligten fassen wieder Vertrauen ins Projekt.
  • Denke daran: Es geht nicht um ein perfektes Krisenmanagement, sondern vor allem um die Bereitschaft, in aller Unvollkommenheit den Karren aus dem Dreck zu ziehen.

Mario Neumann

Der Trainer und Autor schreibt seit 2021 in diesem Online-Magazin locker und pragmatisch über Projektmanagement. Für seine Arbeit wurde er schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationalen Deutschen Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle seine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.