Mikropolitik im Projekt
Projekte verlaufen oft quer über Abteilungsgrenzen hinweg und berühren die unterschiedlichsten Interessen. Die Beteiligten agieren daher häufig auch politisch – sie betreiben „Mikropolitik“, um ihren Einfluss geltend zu machen. Als Projektleiter benötigst Du dann taktisches Geschick, um für das Projekt die notwendigen Entscheidungen noch herbeiführen zu können.
„Willkommen in der Welt der Mikropolitik“, kommentiert Marco K. bissig den Zustand seines Projekts. Er verantwortet die Zusammenführung zweier Service-Einheiten des Unternehmens, die bislang weitgehend unabhängig voneinander operiert haben. Eigentlich hatte sein Team das Vorhaben nachvollziehbar geplant und der Vorstand das Projekt einstimmig abgesegnet. Dann jedoch begannen in der Belegschaft heftige Diskussionen, und seitdem gerät das Projekt immer wieder ins Stocken. Widerstand hat sich formiert, in der Kantine und im Pausenraum wird gestritten, WhatsApp-Gruppen haben sich gebildet.
Wenn ein Projekt wie das von Marco K. größere Veränderungen mit sich bringt und viele Interessen berührt, kommt Mikropolitik ins Spiel: Die Betroffenen versuchen, über mikropolitische Maßnahmen den Fortgang des Projekts in ihrem Sinne zu beeinflussen. Besonders kritisch ist die Situation, wenn darin auch höhere Führungsebenen involviert sind, von deren Entscheidungen der Projekterfolg abhängt. Spätestens jetzt musst Du als Projektleiter auch politische Spielregeln kennen und beherrschen. Andernfalls wird es Dir kaum gelingen, die für das Projekt notwendigen Entscheidungen zu bekommen.
Mikropolitik spielt in vielen Projekten eine große Rolle. Als Projektleiter stehst Du vor der Frage, ob es genügt, das Projekt ergebnisorientiert durchzuziehen – oder ob Du Dich auf die machtpolitischen Spiele einlassen musst, um die Projektziele erreichen zu können.
Was ist Mikropolitik?
Der Begriff Mikropolitik ist 1961 erstmals in einem Artikel des englischen Soziologen Tom Burns aufgetaucht und gewann im Kontext von sozialen Systemen in Unternehmen schnell an Bedeutung. Der deutsche Psychologe Oswald Neuberger definiert Mikropolitik als „das Arsenal jener alltäglichen ‚kleinen’ (Mikro-)Techniken, mit denen Macht aufgebaut und eingesetzt wird, um den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern und sich fremder Kontrolle zu entziehen“.
Bezogen auf Projekte heißt das: Mikropolitik umfasst Techniken und Methoden, mit denen die handelnden Personen versuchen, ein Projekt voranzutreiben, zu bremsen oder sogar auszuhebeln.


Foto: piranka auf istockphoto
Erst einmal die Lage sondieren
Wenn wie im Projekt von Marco K. unterschiedliche Interessen aufeinanderstoßen, hilft es meistens nicht weiter, einfach nur die sachlich gebotene Perspektive des Projekts einzunehmen. Da wird heftig diskutiert, man schiebt sich gegenseitig Schuld zu, die Meetings ziehen sich endlos in die Länge – doch für die Belange des Projekts haben die Beteiligten offensichtlich kein Ohr.
Dann gilt es, die Lage zu sondieren: Wer vertritt welche Interessen? Wer kann mit wem? Und wer kann mit wem überhaupt nicht? Bei wem steht gerade etwas auf der Agenda? Wer spielt wen gegeneinander aus?
Eine erfolgversprechende Taktik wählen
Um im Dickicht unterschiedlicher Interessen die notwendigen Projektentscheidungen herbeizuführen, bleibt Dir als Projektleiter letztlich nur die Möglichkeit, ebenfalls mikropolitisch gegenzuhalten. Der Projektmanagement-Experte Olaf Hinz hat hierfür eine „Taktikmatrix“ entwickelt, die dabei hilft, Entscheidungen in der Führungsetage im eigenen Sinne zu lenken. Nimm hierzu den betreffenden Entscheider in den Blick und beantworte folgende Fragen:
- Worauf kommt es dem Entscheider bei der Entscheidung vor allem an?
Jeder Mensch legt bei einer Entscheidung auf bestimmte Aspekte besonders Wert. Die einen stimmen einem Vorschlag nur dann zu, wenn er durch Zahlen, Daten und Fakten ausreichend untermauert ist. Andere achten darauf, dass der Vorschlag mehrheitsfähig ist, und wieder andere stimmen nur zu, wenn der Vorschlag ihren eigenen Interessen (z.B. Macht, Image, Karriere) nicht in die Quere kommt. Achte deshalb darauf, es dem Entscheider möglichst leicht zu machen, Deinem Vorschlag zuzustimmen. - Mit wem kann der Entscheider gut? Mit wem berät er sich?
Manchmal ist es notwendig, „den Ball über Bande zu spielen“, wenn man an den eigentlichen Entscheider nicht direkt herankommt. Fast jeder Entscheider hat in seinem Umfeld Personen, mit denen er sich berät oder deren Meinung er einholt. Finde heraus, wer diese Personen sind. Oft ist es sinnvoll, wenn Du im Vorfeld einer wichtigen Entscheidung das persönliche Gespräch mit ihnen suchst. Stehen diese Personen hinter Deinem Vorschlag, ist das oft schon die halbe Miete. - Was steht gerade auf seiner Agenda? Wie priorisiert der Entscheider?
Führungskräfte in höheren Etagen werden täglich mit einer Vielzahl von Vorschlägen konfrontiert, über die sie entscheiden müssen. Das geschieht meist nach klaren Prioritäten. Versuche zu erfahren, wo die Prioritäten des betreffenden Entscheiders liegen – und richte Deine Vorgehensweise daran aus. - Unter welchen Bedingungen erhalte ich die Zustimmung des Entscheiders?
Bei jeder Entscheidung spielen auch äußere Einflussfaktoren eine wichtige Rolle: Unter welchem Druck steht der Entscheider gerade? Welche Ziele verfolgt er? Inwieweit nutzt ihm die Entscheidung? Im Idealfall kannst Du vermitteln, dass Dein Vorschlag auch in seinem persönlichen Interesse liegt. Das verschafft Dir jede Menge Rückenwind. - Was mag der Entscheider nicht? Was sollte ich tunlichst vermeiden?
Es gibt immer wieder sogenannte „No-Gos“, also Dinge, die du tunlichst vermeiden solltest, wenn Du die Unterstützung eines Entscheiders brauchen. Überlege, was dem Entscheider unangenehm sein könnte. Achte auch auf die informellen Spielregeln in der Führungsetage – etwa darauf, wer welche Information als erstes bekommt.
Wenn Du als Projektleiter die Interessen der relevanten Entscheider in dieser Weise ermittelst, kannst Du Deine Beziehung zu ihnen bewusst und zielgenau gestalten – und stärkst gleichzeitig Deine Position und Deinen Einfluss im Unternehmen.
Survival-Tipps
- Mikropolitik lässt sich nicht vermeiden. Halte dagegen – unabhängig davon, ob im Umfeld negative oder positive Effekte überwiegen.
- Vermeide es, Dich als Einzelkämpfer aufzureiben. Nutze Verbündete, die Dir – gewollt oder ungewollt – helfen, das Projekt voranzutreiben.
- Schmiede Bündnisse, insbesondere wenn Rivalitäten und Konflikte das Projekt beherrschen. Tu Dich mit anderen zusammen, um Blockaden zu verhindern.
- Bringe Beeinflusser ins Spiel, die große Macht auf die Akzeptanz und das Verhalten der betroffenen Mitarbeiter haben.
- Beeinflusse diese Personen so, dass sie die Kernbotschaft des Projekts positiv in die Organisation hineintragen – informell und mit ihren eigenen Worten.
- Entziehe Intrigen den Nährboden und weise Unruhestifter in die Schranken – notfalls mit Unterstützung der Führungskräfte.


Mario Neumann
Als Autor und Trainer begleite ich Dich durch die abenteuerliche Welt der Projekte. Dafür wurde ich schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationaler Deutscher Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle meine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.