Alle ziehen an einem Strang
Der Projekterfolg hängt entscheidend davon ab, wie sich die Zusammenarbeit im Team entwickelt. Nur: Eine Ansammlung von Einzelkämpfern macht noch längst kein High Performance Team aus. Bis ein Projektteam optimal zusammenarbeitet, ist es oft ein langer Weg.
Mit viel Elan hat Katharina B. mit ihrem Projektteam das neue Großprojekt in Angriff genommen. Erste Anzeichen, dass einzelne Teammitglieder einander beargwöhnen, schlägt sie in den Wind. „Das wird sich mit der Zeit schon geben“, denkt sie. Doch schon nach wenigen Wochen eskalieren die vermeintlich harmlosen Dispute. Anstatt fair miteinander um Lösungen zu ringen, verlegen sich einige Mitarbeiter auf Grabenkämpfe. Andere nutzen die Gunst der Stunde, um eigene Ziele zu verfolgen. Katharina B. ist verzweifelt.
Selbstverständlich soll ein Projektleiter Vollgas geben, wenn er mit seinem Projekt startet. Dabei darf er aber nicht nur die fachlichen Themen vorantreiben. Noch wichtiger ist es, sich um die Performance seines Teams zu kümmern: Die Gruppenmitglieder müssen zueinanderfinden, und das Team insgesamt sollte möglichst schnell seine volle Leistungsfähigkeit erreichen. Wer als Projektleiter diese Teamentwicklung vernachlässigt, läuft Gefahr, das Schicksal von Katharina B. zu erleiden: Die Mitarbeiter arbeiten gegeneinander, anstatt an einem Strang zu ziehen – das Projekt gerät ins Chaos.
Gutes Teamwork ist kein Selbstläufer. Worauf es ankommt, lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Teamentwicklung. Ziel ist es, die Leistungsfähigkeit des Teams voll zur Entfaltung zu bringen. Als Projektleiter sollte man sich hierzu bereits Gedanken machen, bevor das Team im Kick-off zum ersten Mal zusammenkommt.
In vier Stufen zum High Performance Team
Es gibt eine Reihe von Modellen, die sich mit Teamentwicklung befassen. Das wohl bekannteste stammt vom amerikanischen Psychologen Bruce W. Tuckman. Es unterscheidet vier Entwicklungsstufen eines Teams: Forming, Storming, Norming und Performing. Das Modell geht davon aus, dass ein Team eine gewisse Zeit benötigt, bis sich die einzelnen Mitglieder aufeinander eingespielt und zueinander Vertrauen gewonnen haben. Hierbei durchläuft die Gruppe die genannten vier Entwicklungsstufen – und erst nach der vierten Stufe ist ein wirklich effektives Teamwork möglich.
Für einen Projektleiter ist es nützlich, die vier Phasen zu kennen. Die Unterscheidung hilft ihm, zur richtigen Zeit die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, um sein Team von Stufe zu Stufe zur vollen Leistungsfähigkeit zu führen.
Forming – Das Team lernt sich kennen
In der ersten Entwicklungsphase, dem Forming, lernen sich die Teammitglieder kennen. Man kann noch nicht wirklich von einem Team sprechen – eher von einer Ansammlung von Einzelkämpfern. Gespannte Erwartung, aber auch Bedenken, Vorsicht, Angst und Unsicherheit prägen die Stimmung im Team. Keiner weiß so recht, was auf ihn zukommt und wie er die Teamkollegen zu nehmen hat. Allen Beteiligten geht es erst einmal darum, die Mitstreiter kennenzulernen und sich mit dem Projekt vertraut zu machen.
Als Projektleiter solltest Du in dieser Phase das gegenseitige Kennenlernen fördern, damit die Teammitglieder zueinander Vertrauen fassen. Gib dem Team Orientierung, indem Du die Mitglieder über Projektziele und Projektaufgaben informierst und klare Strukturen für die Zusammenarbeit aufzeigst. Denke daran: Die Startphase bildet das Fundament, auf dem die weitere Zusammenarbeit im Team aufbaut. Von ihrem Gelingen hängt der Projekterfolg maßgeblich ab.
Storming – Das Team probt den Aufstand
Unerfahrene Projektleiter erwischt es kalt, wenn die scheinbare Harmonie der ersten Phase plötzlich umschlägt. Die Anfangseuphorie verfliegt, Schwachstellen und Unzulänglichkeiten im Projekt offenbaren sich – das Team befindet sich in der Storming-Phase. Unweigerlich entstehen Diskussionen; Meinungsverschiedenheiten treten zutage, Interessengegensätze brechen auf, das Team probt den Aufstand. Dass es jetzt zu Reibereien kommt, ist absolut normal. Jedes größere Projektteam durchläuft diese Entwicklungsstufe.
Lass Dich als Projektleiter nicht irritieren. Sieh diese stürmische Phase als ein gutes Zeichen. Außerdem kann das aufziehende Gewitter eine reinigende Wirkung entfalten. Wichtig ist, dass Du als Projektleiter präsent bist und Dein Team erfolgreich durch die kritischen Wochen bringst. Achte vor allem darauf, dass Du die Zügel in der Hand behältst, denn mitunter richtet sich der Unmut auch gegen Dich als Projektleiter.
Norming – Die Spielregeln werden gesetzt
Ist das Schlimmste überstanden und die Wogen haben sich etwas geglättet, beginnt eine konstruktive Entwicklungsstufe: das Norming. Häufig öffnet die Storming-Phase den Beteiligten die Augen: Sie erkennen, dass Regeln und Normen für eine konstruktive Zusammenarbeit notwendig sind. Zudem fördern erste Fortschritte im Projekt den Teamgeist. Langsam stellt sich ein Wir-Gefühl ein.
Deine Aufgabe als Projektleiter ist es, diesen Prozess zu steuern. Vereinbare mit Deinem Team verbindliche Regeln für die Zusammenarbeit. Achte darauf, dass die Flexibilität im Team nicht verloren geht: Manchmal neigen Teams in dieser Phase dazu, sich übermäßig selbst zu regulieren.
Performing – Das Team entfaltet Höchstleistung
Nun ist es so weit: Das Team startet durch, die Norming-Phase geht in die Performing-Phase über. Die personellen Probleme sind gelöst, die Rollen verteilt. Jedes Mitglied kennt seinen Platz im Team und seine Aufgabe. Alle arbeiten weitgehend reibungslos zusammen und sind daran interessiert, gemeinsam die Projektziele zu erreichen. Als Projektleiter kannst Du Dein Team nun weitestgehend sich selbst überlassen. Du musst nur noch gelegentlich korrigierend eingreifen.
Gewiss, das Modell vereinfacht das nicht immer einfache Zusammenspiel von Menschen in Projektteams. Auch suggeriert es durch seine vier Entwicklungsstufen eine Art Automatismus, den es in der Realität so nicht gibt. Tatsächlich dauern die Phasen oft unterschiedlich lange; sie können sich auch wiederholen, wenn sich die Aufgabenstellung ändert oder neue Mitarbeiter zum Team stoßen. Genauso wenig kann man davon ausgehen, dann ein Team immer die nächste Stufe erreicht – oft genug bleiben Teams in ihrer Entwicklung stecken.
Survival-Tipps
- Sorge für Zielklarheit, denn ein Team braucht Ziele, die von allen Teammitgliedern getragen werden. Ansonsten läuft jeder in eine andere Richtung.
- Sorge für klare Strukturen. Kläre Rollen und Aufgaben im Team, denn unklare Verantwortlichkeiten führen zwangsläufig zu Reibungsverlusten.
- Denke daran: Störungen haben Vorrang. Nichts behindert die Teamarbeit so sehr wie ungelöste Probleme und Konflikte.
- Ermutige Deine Teammitglieder, sich gegenseitig zu unterstützen. Ein Team kann nur dann sein Potenzial ausschöpfen, wenn Probleme gemeinsam gelöst werden.
- Mach‘ Deinem Team klar, dass jedes Mitglied Verantwortung für das gemeinsame Projektergebnis trägt – und sorge dafür, dass es keine »Eigenbrötler« gibt.
Mario Neumann
Als Experte für Projektmanagement weiß ich, dass die Selbstorganisation in agilen Teams längst kein Selbstläufer ist. In meinen Seminaren „High Performance Teams“ und „Handwerkszeug für Scrum Master“ geht es um einfache Werkzeuge, mit denen sich die Teamentwicklung forcieren lässt. Alle meine Seminare findest Du auf marioneumann.com/seminare.