Plötzlich Krieg!?
Das Robbers-Cave-Experiment markiert einen bahnbrechenden Meilenstein in der Konfliktforschung. Der Versuchsort: Ein Ferienlager. Die Teilnehmer: 22 Jungen im Alter von 10-12 Jahren. Der Aufbau: zwei Gruppen, die in Wettbewerben gegeneinander antreten. Das Ergebnis: Nach wenigen Tagen sind sie verfeindet. Das Experiment verdeutlicht eindrucksvoll, wie rasch Feindseligkeiten zwischen Gruppen entstehen können.
Als die elf Jungen aus Oklahoma City am 11. Juni 1954 in den Bus zum abgelegenen Robbers Cave State Park stiegen, wussten sie nicht, dass sie Teil eines Experiments werden würden, dass die Konfliktforschung nachhaltig beeinflusste. Alles schien zunächst normal in dem dreiwöchigen Ferienlager: Die Jungen bezogen ihre Hütte, spielten Verstecken, gingen Schwimmen, erkundeten das Gelände. Dass am nächsten Tag an einer anderen Ecke des Geländes unbemerkt elf weitere Jungen in eine Hütte zogen, blieb ihnen lange verborgen. Sie konnten auch nicht ahnen, dass die Lagerleiter Wissenschaftler waren, die alles, was in den nächsten drei Wochen zwischen den Gruppen geschah, im Geheimen aufzeichneten.
Eine Woche nach Ankunft hatten sich beide Gruppen einen Namen gegeben – Klapperschlangen und Adler. Außerdem hatten sich stabile innere Hierarchien herausgebildet und typische Verhaltensmuster. Nun zündeten die Konfliktforscher Phase zwei ihres Experiments: Sie heizten die Rivalität zwischen den beiden Gruppen an. Dazu initiierten sie 15 sportliche Wettbewerbe, darunter Tauziehen, Baseball oder eine Schatzsuche. Zudem manipulierten die Forscher die Ergebnisse und stachelten so die Feindseligkeiten zusätzlich an. Es kam, was kommen musste: Der innere Zusammenhalt der Teams wuchs, dafür richteten sich ihre Aggressionen zunehmend gegen die anderen. Sie wurden herabgesetzt und bekämpft.
Der Konflikt zwischen den beiden Gruppen eskalierte schließlich dramatisch. Schnell kam es zu einer Veränderung der Jungen von harmlosen Teilnehmern zu aggressiven Rivalen. Prügeleien, Flaggenverbrennungen und Überfälle waren die erschreckenden Höhepunkte.
Die Eskalationsdynamik von Konflikten
Der Leiter dieses als Ferienlager getarnten Experiments war Prof. Muzafer Sherif, Professor an der University of Oklahoma. Für den Sozialpsychologen war klar, dass Konkurrenz und der Kampf um begrenzte Ressourcen Konflikte schüren. Er wollte die Gruppen zuerst zu Feinden machen und dann das Unmögliche vollbringen: heillos zerstrittene Jungen miteinander versöhnen.
Spannungen aufzubauen, schien der einfachste Teil des Experiments zu sein. Doch Prof. Sherif musste aufpassen. Einen ähnlichen Versuch hatte er im Jahr zuvor abbrechen müssen: Weil die Manipulationen der Lagerleitung zu offensichtlich waren, richtete sich der Ärger der Gruppen plötzlich nicht mehr gegeneinander, sondern gegen die Erwachsenen.
Das Ausmaß der Feindseligkeiten überraschte selbst Prof. Sherif. Es begann damit, dass sich die Teams gegenseitig beschimpften: „Stinker“ oder „Memmen“ gehörten dabei noch zu den harmloseren Schimpfwörtern. Am Abend des zweiten Tages verbrannten die Adler die auf dem Spielfeld zurückgelassene Fahne der Klapperschlangen. Die Wissenschaftler um Prof. Sherif mussten die Missstimmung gar nicht künstlich anfachen, das erledigten die Jungen von nun an selbst.
Der Gegenschlag ließ auch nicht lange auf sich warten: Schon am nächsten Abend überfielen die Klapperschlangen die Hütte der Adler, rissen Vorhänge herunter und drehten Betten um. Dabei eroberten sie eine Bluejeans des Anführers der Adler, die sie am nächsten Tag als Fahne mit sich trugen. Einen Tag danach machten sich die Adler mit Baseballschlägern bewaffnet auf zur Hütte der Klapperschlangen, die sich zu dieser Zeit glücklicherweise an einem anderen Ort aufhielten.
Das Ende der Feindseligkeiten
Nun stand der schwierigste Teil des Experiments an: Prof. Sherif plante, die Jungen wieder zu versöhnen. Seine Strategie sah vor, dass die beiden Gruppen in der letzten Phase des Experiments vor eine Aufgabe gestellt wurden, die von einer Gruppe alleine nicht bewältigt werden konnte.
Zuerst ließ Professor Sherif heimlich ein Rohr blockieren, das das Lager mit Trinkwasser versorgte. Als die Jungen den Wassermangel bemerkten, erklärten ihnen die Lagerleiter, dass die Leitung auf der ganzen Länge zwischen dem Lagergelände und dem Wasserreservoir abgesucht und repariert werden müsse – selbst wenn alle sich daran beteiligen, war das eine Mammutaufgabe für die Jungen. Als die Jugendlichen einsahen, dass sie gemeinsam mit der anderen Gruppe handeln mussten, verringerte sich die Rivalität und es kam zu keinen neuen Feindseligkeiten. Sie liehen sich sogar gegenseitig Werkzeug aus. Sobald aber das Wasser wieder lief, flammte die alte Feindschaft rasch wieder auf – und das gemeinsame Abendessen endete in einem Tumult.
Es folgten weitere Maßnahmen, bei denen die beiden Gruppen aufeinander angewiesen waren. Schließlich organisierte Professor Sherif einen gemeinsamen Zeltausflug und sorgte absichtlich dafür, dass der Lastwagen mit den Nahrungsmitteln umkippte. Als die beiden rivalisierenden Gruppen das Unglück entdeckten, erkannten sie, dass sie nur durch gemeinsame Anstrengungen das Problem lösen konnten. Auch beim Aufstellen der Zelte waren die beiden Gruppen aufeinander angewiesen, weil die Lagerleitung die Campingausrüstung bewusst durcheinandergebracht hatte. Und es funktionierte – die Jungen fanden wieder zueinander. Das gemeinsame Bewältigen von Problemen führte zum Abbau der Feindseligkeiten und schließlich zur Versöhnung der beiden Gruppen.
Ein Meilenstein in der Konfliktforschung
Die Ergebnisse des Robbers Cave Experimentes sind als Meilenstein in die Konfliktforschung eingegangen. Das Experiment bietet wichtige Einsichten in die Entstehung von Gruppenkonflikten und Vorurteilen. Es verdeutlicht, wie schnell und intensiv Feindseligkeiten zwischen Gruppen entstehen können, selbst unter normalerweise friedlichen Bedingungen. Durch das Robbers Cave Experiment können wir tiefer in die menschliche Natur eintauchen und verstehen, wie Gruppenkonflikte entstehen und wie sie möglicherweise überwunden werden können.
Das Robbers Cave Experiment ist ein faszinierendes Beispiel dafür, wie psychologische Experimente dazu beitragen können, grundlegende Aspekte des menschlichen Verhaltens zu erforschen und zu verstehen. Letztendlich können wir aus diesem Experiment lernen, wie wichtig es ist, die Mechanismen von Gruppendynamik zu verstehen, um Konflikte zu verhindern oder zu lösen.
Survival-Tipps
- Entwickele in Deinem Projekt Strategien zur Förderung des gegenseitigen Verständnisses und der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Gruppen.
- Beachte, dass jede Gruppe binnen kurzer Zeit ihre eigenen Rituale, Sozialstrukturen und Werte bildet – kurz: ihre eigene Kultur. Sorge deshalb für eine positive Projektkultur.
- Achte darauf, dass diese Unterschiede in der Kultur nicht zu Feindseligkeiten zwischen den Gruppen führen.
- Bedenke, dass es selbst innerhalb eines Projektes oft genug mehrere Teams gibt, die untereinander konkurrieren. Das kann bisweilen zu einem echten Problem werden.
- Ein bisschen Wettbewerb ist gesund und fördert Ideen. Achte aber darauf, dass daraus keine Feindseligkeiten entstehen, das kann ein Projekt empfindlich stören.
Anhaltende Feindseligkeiten lassen sich am besten durch gemeinsame Ziele überwinden. Erinnere die Konfliktparteien daran, dass Ihr ein gemeinsames Projektziel verfolgt.
Mario Neumann
Als Experte für Projektmanagement befassen wir uns in meinen Seminaren immer auch mit der Dynamik in Teams. Wer als Projektleiter erfolgreich sein will, dem muss es gelingen, die Zusammenarbeit im Team zu fördern. Das genau lernst Du in meinem Seminar „High Perforamnce Teams“. Einen Überblick über meine Seminarprogramme findest Du auf
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