Choleriker, Tyrannen und Narzissten
„Ein Mal, ein einziges Mal möchte ich erleben, dass etwas funktioniert“, schallt es aus dem Besprechungsraum. Die Mitarbeiter in der Nähe recken neugierig die Hälse. Ihrem Chef ist wohl mal wieder der Kragen geplatzt, weil andere offenbar „nicht bis drei“ zählen können: „Wie kann man nur so bescheuert sein!?“ Grund für den neuerlichen Ausraster ist eine Besprechung mit Alexandra, die als Projektleiterin das derzeit wichtigste Kundenprojekt verantwortet. Sie hatte ihrem Chef von Problemen in der Mechanik der Anlage berichtet, die den vereinbarten Liefertermin in Frage stellen könnten.
Projektleiter haben es nicht leicht, wenn der Auftraggeber ein Choleriker ist. Denn Choleriker sind jähzornig, flippen bei jeder Gelegenheit aus und scheuen sich auch nicht davor, den Projektleiter vor versammelter Mannschaft zu erniedrigen, wenn die Dinge nicht so laufen, wie sie sich das vorgestellt haben. Alexandra hat deshalb lange Zeit versucht, den Konflikten mit ihrem Chef aus dem Weg zu gehen. Aber mittlerweile ist es für sie und ihr Projekt zu einer echten Belastung geworden, weil sie alles runtergeschluckt hat.
Es dem Choleriker immer recht machen wollen – kurzfristig mag das vielleicht helfen, um Konflikten aus dem Weg zu gehen und einzelnen Wutausbrüchen sogar vorzubeugen. Auf lange Sicht schadet es aber mehr als es nützt, wenn Du Dich immer nur hinten anstellst.
Gute Seiten, schlechte Seiten
Auch wenn uns sicher schnell einige cholerische Eigenschaften und Verhaltensweisen einfallen: Den einen typischen Choleriker gibt es nicht. Das fängt schon beim Geschlecht an. Während viele davon ausgehen, dass nur Männer cholerische Züge haben, beschränken sich die entsprechenden Eigenschaften und Verhaltensweisen nicht auf ein bestimmtes Geschlecht – auch Frauen können cholerisch sein. Außerdem können ganz verschiedene Auslöser zu Wutausbrüchen führen. Gemeinsam ist allen Auslösern aber, dass es sich meist um Kleinigkeiten handelt.
Das Gute daran ist: Choleriker sind nicht per se schlechte Menschen. Ganz im Gegenteil: In „normalen“ Situationen können diese Menschen durchaus gesellig, witzig und charmant sein. Selbst hinter dem aufbrausenden Verhalten verbergen sich positive Züge. So sind Choleriker oft auch enorm leidenschaftlich in dem, was sie tun. Sie verfügen über viel Energie, sind begeisterungsfähig und mitreißend. Sie gelten auch als sehr willensstark und motiviert, Dinge anzupacken und Leistung zu bringen. Alles Eigenschaften, die man auch mit Führungskräften verbindet. Das mag eine Erklärung dafür sein, warum gerade der Typus des Cholerikers in der Führungsetage überproportional häufig anzutreffen ist und deshalb gerade Projektleitern oft das Leben schwer macht.
Zügig in die Schranken verweisen
Das Schwierige im Umgang mit Cholerikern ist sicherlich auch, dass sie oft wichtige Stakeholder des Projekts sind. Gerade dann wiegt es besonders schwer, wenn er oder sie im Affekt wieder einmal verbal entgleist und beleidigend wird.
Deshalb solltest Du Choleriker möglichst rasch in die Schranken verweisen. Denn langfristig sind solche Wutanfälle extrem kräftezehrend für das gesamte Projekt. Und ohne Veto wird der Choleriker von alleine niemals damit aufhören. Außerdem fällt es in einer derart angespannten Atmosphäre schwer, engagiert und mit Freude für das Projekt zu arbeiten. Soll heißen, dass die Kollegen ihren Dienst im Projekt nur noch nach Vorschrift verrichten, in der ständigen Hoffnung, dass bald Feierabend ist.
Dabei ist es wichtig, dass Du selbstbewusst auftrittst und Dich nicht einschüchtern lässt. Versuche unabhängig davon, wie Du Dich gerade innerlich fühlst, zumindest nach Außen Stärke zu demonstrieren: „Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass Sie über die Terminverzögerungen verärgert sind. Sie haben aber nicht das Recht, mich anzubrüllen!“
Erwarte aber keine Entschuldigung, für einen Choleriker als Rechthaber und Besserwisser ist das nahezu unmöglich. Ihr Gegenüber soll aber wissen, dass er keinen Freifahrtschein hat, ähnliche Wutanfälle zu wiederholen.
Choleriker sind lauter, aber nicht mächtiger
Choleriker in Rage sind gnadenlos. Da werden Killerphrasen herausgehauen, was das Zeug hält. Die meisten Menschen neigen dazu, sich zurückzuziehen. Sie versuchen, den Kontakt mit dem aufbrausenden Stakeholder weitestgehend zu meiden.
Allerdings ist Wegducken keine gute Strategie. Viele Choleriker sind Machtmenschen, und die neigen beim kleinsten Anzeichen von Schwäche dazu, erbarmungslos zuzuschlagen. Projektleiter, die wie Alexandra lieber den Kopf einziehen, haben eigentlich schon verloren. Ihr hitzköpfiger Chef wird durch ihr Verhalten nur noch mehr angestachelt – er fühlt sich ja bestätigt. Und warum sollte er beim nächsten Mal nicht genauso reagieren?
Die Lösung kann also schlechterdings sein, den Choleriker einfach gewähren und ungestraft wüten zu lassen. Es ist wichtig, dass Du Dich nicht einschüchtern lässt – Choleriker sind zwar lauter, aber nicht unbedingt mächtiger. Denn wie sagt schon ein altes Sprichwort: „Getroffene Hunde bellen.“ Das bedeutet nichts anderes, als dass der aufbrausende Stakeholer etwas will, ein Anliegen hat. Mit anderen Worten, er will etwas von Dir. Nicht Du von ihm.
Alexandra berichtet Ihrem Chef zwar von Problemen in der Mechanik der Anlage, der wahre Grund für den Wutausbruch ihres Chefs dürfte aber ein unangenehmes Gespräch mit dem Kunden sein, das ihm droht, wenn sich daraus wirklich ein Lieferverzug ergeben sollte. Außerdem würde es nicht lange dauern, bis auch die Geschäftsführung „Wind“ davon bekäme – Also: Letztlich will er etwas von seiner Projektleiterin. Sie soll etwas tun, damit ihm der „Gang nach Canossa“ erspart bleibt. Fragt sich also, wer in dieser angespannten Situation der Mächtigere ist.
Notfalls den Raum verlassen
Wenn wir das aufbrausende Verhalten von bestimmten Menschen kenn, dann überrascht uns ein neuerlicher Wutausbruch nicht mehr. Doch wenn uns die verbale Attacke völlig unvorbereitet trifft, sind wir in der Regel zu perplex, um spontan und souverän darauf zu reagieren. In diesem Fall kann der Rückzug eine durchaus sinnvolle Taktik sein. Nur sollte unser Rückzug nicht wie eine Flucht, sondern besser wie ein souveräner Abgang wirken: „Okay. So möchte ich das Gespräch nicht fortsetzen. Ich werde jetzt den Raum verlassen. Wir können unser Gespräch gerne fortsetzen, wenn Sie sich beruhigt haben. Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie so weit sind.“ Dann machst Du auf dem Absatz kehrt und verlässt ohne weitere Worte den Raum.
Das gibt Deinem Gegenüber die Möglichkeit, über sein aufbrausendes Verhalten nachzudenken. Und er kann das Gespräch fortsetzen, wenn er sich wieder beruhigt hat. Außerdem hast Du ihm zu verstehen gegeben, dass er den nächsten Schritt machen muss, um auf Dich zuzugehen.
Fazit
Der Umgang mit Cholerikern ist immer schwierig und eine Belastung. Cholerikern selbst ist oft gar nicht bewusst, was sie mit ihrer Verhaltensweise das Projekt gefährden. Deshalb ist es wichtig, den oftmals überforderten Menschen hinter dem Schreihals zu sehen. Zugegeben, Empathie aufzubringen ist sehr schwierig, wenn man gerade verbal attackiert oder beleidigt wird. Es hilft aber, um souverän mit der Situation umzugehen.
Survival-Tipps
- Lass‘ Dich nicht einschüchtern. Bleibe standhaft und verlange nach einer Erklärung. Zeige Dich nach einem Wutanfall auf keinen Fall entmutigt.
- Verkneife Dir gut gemeinte Ratschläge. Tipps wie „Jetzt entspann dich doch mal!” mögen zwar nett gemeint sein, verstärken den Wutausbruch aber meist noch.
- Steige bloß nicht inhaltlich ein. Du magst zwar in der Sache recht haben, aber gegen einen Choleriker kommst Du argumentativ nicht an – jedenfalls nicht während eines Wutausbruchs.
- Versuche es mit Wertschätzung. Notiere Dir einige Dinge, die Du an Deinem gegenüber aufrichtig schätzt. Das kann helfen, auch mal einen Wutausbruch auszuhalten.
- In Momenten der Wut lassen sich keine Probleme lösen. Auch wenn es schwer fällt und Du Dich am liebsten wehren willst, kann es helfen, den Raum zu verlassen.
- Trotzdem gilt: Wenn Du Dich permanent unwohl fühlst, ständig Angst hast oder nichts mehr funktioniert, dann musst Du Konsequenzen ziehen. Das kann bedeuten, dass Du das Projekt abgibst oder Deinen Arbeitsplatz wechselst.
Mario Neumann
Als Autor und Trainer begleite ich Dich durch die abenteuerliche Welt der Projekte. Dafür wurde ich schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationaler Deutscher Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle meine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.