Strategie

Es ist immer Tag 1

Von am 07.07.2025

In Zeiten der Krise sind kreative Lösungen gefragt! Insbesondere in Projektkrisen müssen Projektmanager zahlreiche Herausforderungen meistern, um die Situation wieder in den Griff zu bekommen. Spätestens jetzt sind neue Ansätze und Ideen dringend erforderlich. Die „Day 1“-Philosophie von Jeff Bezos hat im Projektmanagement, insbesondere im Krisenmanagement, weitreichende Implikationen.

Mark S. geriet mit seinem Softwareentwicklungsprojekt unvermittelt in eine veritable Krise, als unerwartete technische Probleme auftraten, die den ohnehin schon engen Zeitplan erheblich gefährdeten. Statt schnell zu reagieren und alternative Lösungswege zu prüfen, zögerte Mark, die dafür notwendigen Entscheidungen zu treffen. In den folgenden Tagen und Wochen reihte sich ein Krisentreffen an das nächste. Doch am Ende fehlte es an klaren Anweisungen und entschlossenen Maßnahmen. Die Unfähigkeit aller Beteiligten, zügig zu handeln, führte zwangsläufig dazu, dass sich die Probleme weiter verschärften: Verzögerungen häuften sich, Deadlines wurden gerissen, die Aufwände und Kosten explodierten während gleichzeitig die Motivation im Team schwand.

In einer Projektkrise ist eine spezielle Mentalität gefragt, um die Situation wieder in den Griff zu bekommen. Es hilft nicht, verzweifelt an den ursprünglichen Plänen festzuhalten – die sind in aller Regel längst nicht mehr zu halten. Stattdessen ist Flexibilität gefragt. Das Projektteam muss schnell auf Veränderungen reagieren und alternative Lösungswege finden. Mark müsste sein Team ermutigen, neue Dinge auszuprobieren und aus Fehlern zu lernen, um den Weg aus der Krise zu finden. Dazu braucht es eine gehörige Portion Resilienz – schließlich sind Rückschläge in einer Krisensituation vorprogrammiert. Diese Rückschläge gilt es, als Lernchancen zu sehen und die Motivation aufrechtzuerhalten, auch wenn die Situation schwierig ist.

Die große Gefahr für das Projekt besteht darin, dass Projektleiter durch mangelnde Flexibilität und fehlende Resilienz die Projektkrise nur noch verschärfen. Nur mit einer konsequenten Ziel- und Zweckorientierung fördert man das kreative Denken und die Suche nach praktikablen Lösungen.

Die „Day 1“ Philosophie von Jeff Bezos

Die Botschaft „Every Day is Day One“, stammt von einem Jahresbriefe an die Aktionäre aus dem Jahr 1997. Sie besagt, dass Unternehmen stets in einem „Tag 1“-Zustand bleiben sollten, was bedeutet, dass sie sich kontinuierlich wie ein Start-up verhalten müssen – innovativ, agil und kundenorientiert. Bezos warnt vor der Gefahr des „Tag 2“, der mit Stagnation, Bürokratie und Verlust der Kundenfokussierung einhergeht.

Bezos’ berühmte Maxime erinnert daran, dass erfolgreiche Unternehmen nie in Routinen verharren und starr an ihren Plänen festhalten dürfen. Um diese „Day 1“-Philosophie zu leben, ermutigt Bezos seine Mitarbeiter, Risiken einzugehen und aus Fehlern zu lernen. Diese Denkweise fördert eine Kultur des Experimentierens und der kontinuierlichen Verbesserung. Diese „Day 1“-Philosophie hat im Projektmanagement, insbesondere im Krisenmanagement, weitreichende Implikationen.

Sie betont die Notwendigkeit, stets kundenorientiert zu handeln und die Bedürfnisse der Endkunden in den Mittelpunkt aller Entscheidungen zu stellen. In Krisensituationen ist Agilität entscheidend; Teams müssen schnell reagieren und ihre Strategien anpassen können. Zudem fördert diese Philosophie eine Kultur, in der Risiken eingegangen werden, um kreative bzw. praktikable Lösungen zu finden. Fehler werden dabei als Lernchancen betrachtet, was das Vertrauen im Team stärkt und zur kontinuierlichen Verbesserung beiträgt.

Foto: ANIRUDH auf Unsplash

Tipp 1: Konzentriere Dich auf den Kunden

Bezos schreibt, dass sich ein Unternehmen auf viele Dinge konzentrieren kann, darunter Produkte, Technologie, Geschäftsmodell und anderes mehr. Aber der beste Weg, um das zu schützen, was er „Day 1 Vitality“ nennt, besteht darin, sich obsessiv auf die Kunden auszurichten. Für einen Projektleiter in einem Krisenprojekt bedeutet es eine klare Orientierung und Priorisierung.

In schwierigen Situationen ist es leicht, den Blick für das Wesentliche zu verlieren. Die unzähligen Krisentreffen sorgen schnell dafür, dass sich alle Beteiligten in internen Problemen verstricken.  Die Fokussierung auf den Kunden kann dem Projektleiter helfen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Indem er seine eigenen Entscheidungen und Maßnahmen konsequent an den Bedürfnissen und Erwartungen der Kunden ausrichtet, sorgt er dafür, dass keine Ressourcen mehr in unwichtige Details fließen oder Lösungen entwickelt werden, die in der aktuellen Situation keinen Mehrwert bieten. Stattdessen fördert diese Haltung eine lösungsorientierte Denkweise, bei der schnelle Anpassungen vorgenommen werden, um den Kundennutzen zu maximieren. Das stärkt nicht nur das Vertrauen der Kunden in das Projektteam, sondern motiviert auch die Mitarbeitenden, gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten.

Tipp 2: Zeige Dich experimentierfreudig

In einer Krisensituation sind herkömmliche Lösungsansätze oft nicht mehr ausreichend, und starre Vorgehensweisen können das Problem eher verschärfen als beseitigen. Häufig sind es die Experimentierfreude und der Mut einzelner Mitarbeiter, die zu neuen Ideen führen und letztlich den Weg aus der Krise ebnen. Ein Projektleiter muss daher in schwierigen Zeiten sein Team dazu ermutigen, innovative Methoden, Strategien und Ansätze auszuprobieren, um praktikable Lösungen zu entwickeln. Diese Offenheit für Experimente setzt eine Kultur des Lernens aus Fehlern voraus, bei der Scheitern nicht als Versagen, sondern als Chance zur Verbesserung gesehen wird – eine Haltung, die in unsicheren Situationen überlebenswichtig ist. Durch das Testen kleinerer Experimente kann das Team wertvolle Erkenntnisse gewinnen, Risiken besser einschätzen und flexibel auf Herausforderungen reagieren. Dieser Ansatz ermöglicht es dem Projekt, sich kontinuierlich zu stabilisieren und neue Wege zu beschreiten, um die Krise erfolgreich zu bewältigen.

Tipp 3: Treffe zügig Entscheidungen

Jeff Bezos ist der Überzeugung, dass Tag-2-Unternehmen zwar auch gute Entscheidungen treffen, aber sie haben das Problem, dass sie dabei zu langsam sind. Seiner Ansicht nach haben Start-up’s im Vergleich mit großen Unternehmen, keine Probleme, qualitativ hochwertige Entscheidungen mit hoher Geschwindigkeit zu treffen.

In einer Projektkrise ist Zeit ein kritischer Faktor, da Verzögerungen den Schaden meist weiter vergrößern. Schnelle Entscheidungen ermöglichen es dem Team, flexibel auf Veränderungen zu reagieren, Ressourcen effizient einzusetzen und Unsicherheiten zu minimieren. Dabei ist es wichtig, trotz Druck und unvollständiger Informationen pragmatisch vorzugehen, um Handlungsfähigkeit zu bewahren. Das fördert eine Kultur des Verantwortungsbewusstseins und der Eigeninitiative, bei der nicht auf perfekte Lösungen gewartet wird, sondern schnelle Maßnahmen ergriffen werden.

Bezos beherzigt dabei eine weitere wichtige Regel: Disagree and commit. Menschen können anderer Meinung sein, aber sobald eine Entscheidung getroffen ist, muss sich jeder dazu verpflichten. Dies spart Zeit und man versucht nicht, sich gegenseitig zu überzeugen.

Tipp 4: Sorge für schnelle Ergebnisse

Bezos meint, dass es beim Wachstum eines Unternehmens darauf ankommt, Ergebnisse zu erzielen, anstatt sich nur zu überlegen, ob der Prozess korrekt befolgt wurde: „Es lohnt sich immer zu fragen, ob wir den Prozess dominieren oder ob der Prozess uns dominiert.“

In einer Krisensituation ist es entscheidend, rasch messbare Erfolge zu erzielen, um das Vertrauen der Stakeholder zu erhalten und die Situation unter Kontrolle zu bringen. Dies erfordert eine Priorisierung der wichtigsten Maßnahmen. Und: Die beschlossenen Maßnahmen müssen schnell umgesetzt werden. Quick-Wins steigern nicht nur die Motivation der Teammitglieder, sondern können auch die schlechte Stimmung im Umfeld des Projekts wieder aufhellen.

Ist es wirklich immer Tag 1?

Während Amazon längst kein Start-up mehr in einer Garage ist, hat Jeff Bezos alles daran gesetzt, diese Mentalität der Gründertage so gut wie möglich zu erhalten. Sein Ziel ist es, einen wirksamen Schutz gegen die Selbstzufriedenheit zu etablieren: „Every Day is Day One“. Er schafft damit eine Kultur, in der die Ergebnisse der Vergangenheit keinen zukünftigen Erfolg garantieren. Daher ist es aus seiner Sicht überlebenswichtig, die Extrameile zu gehen und den Mut zur Veränderung mitzubringen. Übertragen auf Projekte gilt es, Projektziele und -abläufe kritisch zu hinterfragen, flexibel und schnell zu reagieren sowie veraltete Strukturen aufzubrechen. Eine Projektkrise meistert man nur, wenn jeder neue Tag ein Tag 1 ist!

Survival-Tipps

  • Ermutige Dein Team zu einer „Day 1“-Philosophie. Sorge dafür, dass Dein innovativ denkt, flexibel handelt und stets den Kundenfokus im Auge behält.
  • Zeige Dich flexibel. Es ist wichtig, schnell auf Veränderungen zu reagieren und alternative Wege zu finden, anstatt starr an ursprünglichen Plänen festzuhalten.
  • Ermutige Deine Projektmitarbeiter, neue Dinge auszuprobieren und aus Fehlern zu lernen. Nur so lassen sich praktikable Lösungen finden.
  • Warte bei Entscheidungen nicht darauf, bis Du alles weißt. Dann wärst Du viel zu langsam. Die meisten Entscheidungen benötigen nur etwa 70% der Informationen.
  • In Krisenprojekten ist es wichtig Ergebnisse zu erzielen, anstatt sich nur zu überlegen, ob der Prozess korrekt befolgt wurde. Lass‘ Dich also nicht von den Prozessen dominieren.
  • Sorge dafür, dass rasch messbare Erfolge erzielt werden, um das Vertrauen der Stakeholder zu erhalten und die Situation unter Kontrolle zu bringen.

Mario Neumann

Der Trainer und Autor schreibt seit 2021 in diesem Online-Magazin locker und pragmatisch über Projektmanagement. Für seine Arbeit wurde er schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationalen Deutschen Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle seine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.