Der Vorab-Check
Manche Projekte entscheiden sich bereits lange vor dem ersten Terminplan, der Kick-off-Agenda oder dem formalen Projektstart. Fehlt die notwendige Vorklärung, bleiben potenzielle Probleme oft unentdeckt und können später zu erheblichen Schwierigkeiten führen. Wie Du ein Projekt schon im Vorfeld mit gezielten Fragen zuverlässig „abklopfen“ kannst, erfährst Du in diesem Beitrag.
Mark G. leitet ein mittelgroßes IT-Projekt, das den Aufbau einer neuen Softwarelösung für einen Industriekunden vorsieht. Der Projektstart verläuft zunächst geräuschlos, doch Mark verlässt sich zu stark auf die vom Vertrieb festgelegten Kundenanforderungen. Diese sind jedoch zu allgemein formuliert, und auch der Zeitplan baut auf vorschnell geschätzten Aufwänden auf. Kurz darauf melden die Stakeholder des Kunden unterschiedliche Prioritäten. Auch die Entwickler stoßen auf widersprüchliche Anforderungen. Es wird deutlich, dass zentrale Fragen vor Beginn des Projekts nicht diskutiert wurden. Das rächt sich nun: Mark erkennt, wie viel Zeit und Ressourcen hätten eingespart werden können, wenn der Start konsequent vorbereitet worden wäre.
In den wenigsten Unternehmen beginnt ein Projekt wirklich sorgfältig strukturiert und durchdacht. Häufig wird es auf Zuruf gestartet und man „wurschtelt“ sich durch. Fakt ist: Der Projektstart beeinflusst maßgeblich den weiteren Verlauf. Mit etwas Glück und einigen Umwegen gelingt es Projektleitern wie Mark zwar, das Ruder herumzureißen und ein chaotisch gestartetes Vorhaben halbwegs erfolgreich abzuschließen. Doch wozu ein unnötiges Risiko eingehen? Bereits mit wenigen gezielten Fragen lassen sich Ruhe und Ordnung in die oft holprige Startphase bringen. So wird der Grundstein für klare Ziele, Anforderungen und Entscheidungskorridore gelegt.
Der Projektstart entscheidet maßgeblich über den Erfolg des Vorhabens. Eine schlechte Vorbereitung rächt sich. Sie führt oft zu Fehlentscheidungen und verschwendet unnötig Ressourcen – und verursacht nicht selten teure Nachbesserungen.
Foto: Panya Mingthaisong auf iStockphoto
Es ist ganz normal, wenn wichtige Aspekte des Vorhabens am Anfang noch unklar sind. Nach einem kurzen Gespräch zwischen Tür und Angel verfügt man bestenfalls über ein ungefähres Bild. Nimm Dir also die Zeit und setze Dich nochmal einmal in Ruhe – und gut vorbereitet – mit Deinem Auftraggeber zusammen.
Diese Vorabklärung dient der Konkretisierung der Projektidee, der Bewertung des Potenzials des Projekts und der Verbesserung der Zusammenarbeit. Ziel ist es, durch eine initiale Bewertung Planungssicherheit zu schaffen, Risiken frühzeitig zu erkennen und kostspielige spätere Änderungen zu vermeiden.
Die Vorabklärung liefert die Grundlagen für die Projektplanung und klärt in manchen Fällen, ob ein Vorhaben weitergeführt wird. Fast immer hilft ein Innehalten, um mit den passenden Fragen Orientierung in der hektischen Startphase zu geben. Genau dabei unterstützen dich die 7 wichtigsten Fragen. Setze gedanklich ein Häkchen, sobald du sie durchdacht bzw. beantwortet hast.
Welche Motivation steckt hinter dem Projekt?
Zuerst gilt es, Motivationen, Beweggründe und den Zweck des Vorhabens zu erfassen. Jeder Projektleiter sollte Treiber, Nutzen und strategische Bedeutung seines Projekts erkennen. Dadurch lassen sich Erwartungen klären, Einschätzungen fundieren und Prioritäten sinnvoll festlegen:
Was ist Sinn und Zweck des Projekts?
Vor welchem Hintergrund erfolgt der Projektauftrag?
Welches Ziel wird mit dem Projekt verfolgt?
Was verspricht sich der Auftraggeber von dem Projekt?
Wie dringend ist das Projekt? Was passiert, wenn nichts passiert?
Wer ist von dem Vorhaben betroffen?
Im nächsten Schritt gilt es zu ermitteln, wer direkt oder indirekt vom Vorhaben betroffen ist und welche Bedürfnisse, Erwartungen sowie Barrieren auftreten. Nur so lässt sich Nutzen konkretisieren, die Kommunikation abstimmen und Stakeholder sinnvoll einbinden.:
Wer ist der Auftraggeber? Wer ist außerdem beteiligt?
Wer ist vom Projekt betroffen? Inwiefern?
Wem nützt ein erfolgreicher Projektabschluss?
Wer wird das Projektergebnis nutzen bzw. einsetzen?
Wer hat ggf. kein Interesse an einem Projekterfolg?
Was konkret soll getan werden – und was nicht?
Darüber hinaus gilt es, Inhalte und zu erzielende Ergebnisse eindeutig abzustecken. Es sollte geklärt werden, was konkret erreicht werden soll und welche Arbeiten explizit ausgeschlossen bleiben. Dadurch lassen sich Umfang, Abgrenzungen, Messgrößen und Erfolgskriterien festlegen, Verantwortlichkeiten zuordnen und Missverständnisse vermeiden:
Welche Projektergebnisse sollen erreicht werden?
Was soll am Ende entstehen? Was soll geliefert werden?
Welche Aufgabenpakete sind zu erfüllen, um das Ziel zu erreichen?
Welche Leistungen sind zu erbringen? Welche nicht?
Welche grundlegenden Anforderungen gibt es ans Projekt?
Woran erkennen wir, dass das Projekt ein Erfolg ist?
Darüber hinaus ist es hilfreich, klare Kriterien zu definieren, anhand derer der Projekterfolg objektiv beurteilt werden kann. So erkennst du frühzeitig, welche Ergebnisse messbar sind, welche Qualitätsstandards gelten und welche Meilensteine erreicht werden müssen:
Welche grundlegenden Vorgaben/Rahmenbedingungen gibt es?
Was genau ist erreicht, wenn das Ziel erfüllt ist?
Woran macht der Auftraggeber fest, dass der Auftrag erledigt wurde?
Wann gilt das Projekt als erfolgreich? Woran kann man das erkennen?
Was sollte keinesfalls passieren?
Welche Spielräume haben wir – und welche nicht?
Die Klärung der Spielräume schafft klare Rahmenbedingungen, innerhalb derer das Projekt flexibel agieren kann. So erkennen wir früh, welche Anpassungen möglich sind und wo eindeutige Grenzen zu ziehen sind, damit Kosten, Termine und Qualität nicht aus dem Ruder laufen:
Welche Vorgaben (Zeit, Kosten) sind fix? Wo gibt es noch Spielräume?
Welche Ressourcen (Budget, Personal) sind festgelegt?
Welche Abhängigkeiten zu externen Partnern oder Vorgaben bestehen?
Welche Qualitätsstandards und Messgrößen sind verbindlich?
- Welche Entscheidungen können wir selbst treffen – und welche nicht?
Was könnte das Projekt in eine Schieflage bringen?
Durch eine systematische Risikoanalyse lassen sich potenzielle Ursachen einer Schieflage frühzeitig erkennen und gezielte Gegenmaßnahmen festlegen. So kannst Du Zeitpläne, Budgets und die Qualität der Ergebnisse besser schützen und Unsicherheiten reduzieren:
Welche Faktoren könnten Zeitpläne, Budget oder Ressourcen gefährden?
Welche externen Einflüsse könnten kritisch werden?
Was hat bei ähnlichen Projekten nicht funktioniert?
Welche Annahmen könnten sich als falsch herausstellen?
- Welche Frühwarnindikatoren deuten auf Schwierigkeiten hin?
Was steht uns wirklich zur Verfügung?
Es sollte klar feststehen, welche Mittel tatsächlich vorhanden sind. Das verhindert vor allem lästige Überschreitungen von Zeitplänen und Budgets. Durch Transparenz bei Personal, Finanzen, Material und externen Partnern lassen sich Engpässe früh erkennen und Gegenmaßnahmen gezielt planen:
Welche personellen Ressourcen stehen uns zur Verfügung?
Welche finanziellen Mittel und Budgets existieren, einschließlich Notfallreserven?
Welche materiellen Ressourcen sind vorhanden oder beschaffbar?
Welche externen Ressourcen (Berater, Partner, Zulieferer) sind verfügbar?
Welche Kompetenzen fehlen intern und wie lässt sich das kompensieren?
Was tun, wenn der Auftraggeber kneift?
Natürlich gibt es auch Fälle, in denen der Auftraggeber ablehnend reagiert und versucht, sich einer Auftragsklärung zu entziehen. Möglicherweise reagiert er genervt auf Dein „Sicherheitsbedürfnis“ oder zeigt sich ungehalten über die „unnötige Verzögerung“, die eine sorgfältige Auftragsklärung mit sich bringt.
Wenn sich Dein Auftraggeber einer sorgfältigen Auftragsklärung entzieht, ist das ein deutliches Warnsignal. Es kann entweder bedeuten, dass Dein Auftraggeber selbst (noch) nicht genau weiß, was er mit dem Projekt eigentlich bezwecken will. Oder er legt sich prinzipiell nicht gerne fest, weil er damit ja auch eine gewisse Verantwortung übernehmen würde. Beides kann Dich früher oder später in ernsthafte Schwierigkeiten bringen.
Survival-Tipps
- Mache Dir klar, dass Du mit Deinem Projekt Neuland betrittst. Widme Dich deshalb der Auftragsklärung mit einer besonderen Sorgfalt.
- Sorge für einen klaren Projektauftrag und klare Projektziele. Je schneller Du diese Klarheit herbeiführst, desto erfolgreicher wird Dein Projekt.
- Errate die Ziele Deines Auftraggebers nicht, sondern frage gezielt nach. Beginne das Projekt nicht ohne die notwendige Zielklarheit.
- Bleibe hartnäckig und entlocke Deinem Auftraggeber seine Prioritäten. Gib Dich erst zufrieden, wenn zumindest Größenordnungen für Termine und Kosten auf dem Tisch liegen.
- Mache keine vorschnellen Versprechungen, die Du später nicht einhalten kannst. Auch wenn die Kosten- und Terminvorstellungen utopisch sind, halte Dich besser erst einmal zurück.
- Formuliere den Projektauftrag schriftlich, und lass Dir diese „Projektskizze“ vom Auftraggeber und gegebenenfalls von anderen Entscheidungsträgern bestätigen.
Mario Neumann
Der Trainer und Autor schreibt seit 2021 in diesem Online-Magazin locker und pragmatisch über Projektmanagement. Für seine Arbeit wurde er schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationalen Deutschen Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle seine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.