Ein ständiges Auf und Ab
Wenn ein Projekt große Veränderungen mit sich bringt, löst es bei den betroffenen Mitarbeitern ein Wechselbad der Gefühle aus. Ein Modell des Wirtschaftswissenschaftlers Prof. Richard K. Streich kann eine wertvolle Hilfe sein, um die Betroffenen erfolgreich durch den Veränderungsprozess zu geleiten. Es beschreibt sieben von Emotionen geprägte Stufen, die ein Mitarbeiter im Verlauf eines Change-Projekts durchlebt.
„Vollmundig wird angekündigt, halbherzig beschlossen und kopflos gemacht!“ Mit diesen Worten kommentiert Stefan F. die Ereignisse der letzten Monate. Er muss zusehen, wie die anfängliche Zustimmung im Management schwindet und das Zukunftsprojekt, das er als Projektleiter erfolgreich umsetzen wollte, zerredet wird. Kaum jemand spricht noch von seinem überzeugenden Konzept und seiner aufwändigen Planung. Stattdessen dominieren unter Mitarbeitern und Kollegen Ängste und Sorgen, gegen die keine Argumente helfen.
Bei großen Projekten, die in etablierte Strukturen und Prozesse eingreifen, schlagen die Emotionen hoch. Wer als Projektleiter in dieser Situation die Gefühlslage der betroffenen Führungskräfte und Mitarbeiter nicht ausreichend beachtet, riskiert den Erfolg des Projekts. Das belegen zahlreiche Erfahrungsberichte.
Im Verlauf eines Veränderungsprozesses durchleben die Betroffenen eine emotionale Achterbahn, die Du als Projektleiter kennen solltest.
Sieben Phasen eines Veränderungsprojekts
Folgt man dem Modell von Richard K. Streich, durchläuft jeder Mitarbeiter in einer Umbruchsituation sieben Phasen – eben jene emotionale Achterbahn, die von Schock und Ablehnung über Akzeptanz bis zur überzeugten Übernahme der Veränderung reicht. Das Modell stammt aus den späten 1990er Jahren, hat aber nichts von seiner Gültigkeit verloren. Die Kenntnis der sieben Phasen bietet nach wie vor eine wertvolle Hilfe, die betroffenen Mitarbeiter auf die Reise mitzunehmen und durch den Veränderungsprozess zu geleiten.
Schock: „Das darf doch nicht wahr sein …“
Wird ein Mitarbeiter mit der bevorstehenden Veränderung konfrontiert, reagiert er in den meisten Fällen überrascht und schockiert. Unverständnis und Angst vor der neuen Situation führen dazu, dass seine Motivation in dieser Schock-Phase in den Keller rutscht. Das ist nachvollziehbar – schließlich hat man ihm deutlich gemacht, dass seine bisherigen Arbeits- und Verhaltensweisen in der neuen Situation nicht mehr gefragt sind.
Ablehnung: „Das stimmt nicht …“
Dem Schock folgt die Phase der Ablehnung. Die Betroffenen wehren sich gegen die Veränderung: Die angekündigten Maßnahmen seien vollkommen überflüssig! Vor allem Mitarbeiter, die routiniert mit alten Prozessen gearbeitet haben, schließen sich im Widerstand zusammen und machen gegen die Veränderungen mobil. Oft steht hinter dieser vehementen Ablehnung die Angst, das vertraute Arbeitsumfeld zu verlieren.


Quelle: "Projekt-Kompass"
Einsicht: „Vielleicht doch …“
Nach einer gewissen Zeit erkennt der Mitarbeiter, dass seine ablehnende Haltung nicht den gewünschten Erfolg bringt. Sein Widerstand erlahmt, nun dämmert die Einsicht: Die angekündigten Maßnahmen sind offenbar unausweichlich. „Vielleicht sind die Veränderungen doch notwendig“, nimmt er resignierend zur Kenntnis. Die Einsicht in die Notwendigkeit der Veränderung ist jedoch noch weit entfernt von der Bereitschaft, die eigenen Verhaltensweisen zu ändern.
Akzeptanz: „Es stimmt eigentlich …“
Der Mitarbeiter durchlebt den emotionalen Tiefpunkt (siehe Abbildung) – und fängt an, die Veränderung zu akzeptieren. „Das Projekt schreitet nach Plan voran“, erkennt er, „weiterer Widerstand ist zwecklos.“ Nun ist er bereit, den entscheidenden Schritt zu machen: Er verlässt seine gewohnten Verhaltensweisen und lässt sich auf das Neue ein.
Lernen: „Mal versuchen …“
Es folgt eine Phase des Lernens und Versuchens. Der Mitarbeiter entwickelt eine gewisse Neugier auf das, was bevorsteht. Er tastet sich voran, begeht auch Fehler und erleidet Rückschläge – was er aber insgesamt als Erfahrungsgewinn bewertet.
Erkenntnis: „Es geht ja tatsächlich …“
Nun setzt ein Erkenntnisprozess ein: Die Veränderungen sind eigentlich gar nicht so schlecht! Das Projekt erzielt mittlerweile erste sichtbare Erfolge – und immer mehr Mitarbeiter erkennen, dass die Veränderungen Positives bewirken. Sie fangen an, den Prozess mitzutragen und erweitern so auch ihre Fähigkeiten.
Integration: „Es ist selbstverständlich …“
Es folgt der krönende Abschluss eines erfolgreichen Veränderungsprozesses: Die Mitarbeiter übernehmen die neuen Handlungs- und Verhaltensweisen vollständig in ihren Arbeitsalltag. Die neuen Abläufe werden selbstverständlich – und damit erreicht auch das Projektteam erfolgreich sein Ziel.
Survival-Tipps
- Zeige Verständnis im ersten Moment des Schocks. Bleibe im Gespräch mit den Mitarbeitern – und sorge dafür, dass auch die Führungskräfte das tun.
- Bleibe konsequent, wenn die Mitarbeiter beginnen, die Veränderung abzulehnen. Es darf kein Zweifel aufkommen, dass die geplanten Maßnahmen notwendig sind.
- Fördere aktiv die Auseinandersetzung mit der Veränderung, wenn die Mitarbeiter erkennen, dass die Veränderung unausweichlich und vielleicht sogar notwendig ist.
- Betätige Dich als „Trauerbegleiter“, wenn die Mitarbeiter Abschied von Altbekanntem nehmen müssen. Unterstütze diesen Prozess durch Gesprächsangebote.
- Hilf den Mitarbeitern dabei, sich in der neuen Umgebung zurecht zu finden. Ermutige sie, Neues auszuprobieren und rechne mit Rückschlägen.
- Sprich Lob und Anerkennung aus, wenn die Mitarbeiter den Veränderungsprozess abgeschlossen und die Neuerungen erfolgreich in den Alltag integriert haben


Mario Neumann
Als Autor und Trainer begleite ich Dich durch die abenteuerliche Welt der Projekte. Dafür wurde ich schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationaler Deutscher Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle meine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.