Strategie

Achtung, Denkfallen!

Von am 25.11.2024

Wenn Projektleiter schwierige, ja bisweilen sogar krisenhafte Situationen durchleben, sind sie je nach Persönlichkeitsstruktur in besonderem Maße anfällig für sogenannte Denkfallen. Denkfallen sind gefährliche Sackgassen auf dem Weg zur Problemlösung. Man gerät in sie, wenn man sich zu sehr auf seine gedanklichen „Autopiloten“ verlässt. Und das Schadpotenzial dieser Denkfallen kann unter Umständen immens sein.

Roland F. kann es nicht fassen. Bei der Implementierung eines neuen Systems wurden Daten vom Altsystem auf das neue IT-System migriert und anschließend Kundenbriefe verschickt. Etwas ging dabei schief und hunderte Kunden bekamen sensible Daten von anderen Kunden. Kurz darauf steht die Presse vor der Firmenzentrale und möchte Antworten vom Management. Was für eine Katastrophe! – Roland ist verzweifelt: »Ich werde meinen Job verlieren und keinen neuen mehr finden. Wir werden das Haus verkaufen müssen. Ich kann meinen Kindern das Studium nicht mehr finanzieren. Ich werde ein Niemand sein.« Innerhalb kürzester Zeit macht Roland durch Verzerrung und Übertreibung aus einem lösbaren Problem eine unbezwingbare Lebenskrise.

Katastrophisieren ist eine Tendenz, sich das schlimmstmögliche Szenario auszumalen. Menschen, die katastrophisieren, stellen sich in jeder Situation den schlimmsten möglichen Ausgang vor, auch wenn dieser sehr unwahrscheinlich ist. Gegenbeweise für seine Annahme, das Projekt sei nicht mehr zu retten, blendet Roland konsequent aus. Alles wird schlimmstmöglich enden: Der winzige Hautfleck ist ein Melanom, der Streit mit der Ehefrau das Ende der Beziehung, eine schwierige Situation im Projekt das Ende der Karriere. Stimmt alles nicht – und das ist rational auch klar. Wer aber – wie Roland – aus dieser Denkfalle nicht allein herausfindet, der braucht Hilfestellung von außen. Oder er muss an etwas anderes denken: schon ein minimales Umdenken würde reichen, um seinen Fokus zu verlagern.

Das Schadpotenzial von kognitiven Verzerrungen und Generalisierungen ist immens, denn sie machen eine ohnehin schon schwierige Situation unerträglich. Denkfallen sind quasi das Gift im eigenen Kopf.

Wer kennt das nicht? Es passiert etwas Unvorhergesehenes, es läuft etwas schief, es stößt uns etwas zu – wir ärgern uns, sind traurig oder frustriert und denken: „Warum muss mir das gerade passieren? Warum wendet sich alles immer gegen mich?“ Und plötzlich sehen wir alles schwarz: Wir fangen an, all die Widrigkeiten im Leben aufzuzählen und geraten in einen regelrechten Strudel voller negativer Gedanken. Im Folgenden findest Du fünf der am häufigsten im Zusammenhang mit Projekten auftretenden Denkfallen (die auch häufig gemeinsam auftreten):

Foto: Peter H auf Pixabay

Denkfalle 1: Übergeneralisieren

»Ich bin einfach nicht zum Projektmanager geboren. Ich war von Anfang an eine Fehlbesetzung und habe es nur nicht erkannt. In Wirklichkeit hatte ich nie das Zeug dazu.« – Bei dieser Denkfalle wird ein allumfassender Schluss aufgrund eines einzelnen Ereignisses gezogen. Es wird also fälschlicherweise von einer einzelnen, umschriebenen Projektsituation auf das große Ganze verallgemeinert. Durch undifferenzierte Betrachtung wird der Problemzustand zum Standard erklärt.

Wenn Menschen übergeneralisieren, ziehen sie eine Schlussfolgerung aufgrund von wenigen Erlebnissen. Aus einem Einzelfall wird dabei eine allgemeine Regel oder ein Muster, das auf alle ähnlichen Ereignisse übertragen wird. Wenn das Dein Problem ist, solltest Du Dir vor Augen führen, dass übermäßige Verallgemeinerungen oftmals jeglicher Beweise entbehren und somit die Tatsachen verzerren. Versuche, dir vor Augen zu führen, dass es sich um eine einzige Situation handelt und du bereits viele Projektsituationen gemeistert hast, ohne dass Du gleich auf ganzer Linie gescheitert wärst.

Denkfalle 2: Negatives maximieren

»Schon wieder versagt! Mein Vater hatte doch recht damit, dass ich es nie zu etwas bringen würde. Was nützen da die Gehaltserhöhung und die außergewöhnliche Belobigung durch den Chef nach dem letzten Projekt? In Wirklichkeit hab ich es nicht drauf.« – Sind die alten Selbstzweifel durch eine Projektkrise erst mal aktiviert, übernehmen sie gerne das Kommando. Schlagartig treten bisherige Erfolge in den Hintergrund, und es kommen nur noch Misserfolge ins Gedächtnis.

Wer sich ausschließlich mit negativen Aspekten beschäftigt, ist schnell vom Schlimmsten überzeugt. Wenn das Dein Problem ist, solltest Du Buch führen über positives Feedback: Notieren Dir, wenn Du ein Ziel erreicht hast und speichere positive E-Mails, Tweets oder Nachrichten. Schau sie Dir an, wenn Du überfordert bist oder an Dir zweifelst.

Denkfalle 3: Emotionale Beweisführung

»Ich fühle mich sehr angespannt und nervös. Die Leute im Lenkungsausschuss werden das bestimmt sofort merken und mich dann für unglaubwürdig und unsympathisch halten.« Auch diese Denkfalle stellt einen Trugschluss dar, da man auch trotz Angst und Aufregung gute Leistungen erbringen und Sympathien wecken kann.

Unter großem Stress verschwimmen allerdings Emotionen und Kognitionen. Wir handeln und entscheiden dann vermehrt irrational, d. h. basierend auf Emotionen. Wenn das Dein Problem ist, solltest Du Dir klar machen, dass Emotionen nicht die Realität widerspiegeln, sondern alte Gedanken und Glaubenssätze. Um dieser Denkfalle zu entkommen, hilft Dir ein Gespräch mit Außenstehenden, die den Wahrheitsgehalt von emotionalen Gedanken checken können.

Denkfalle 4: Locus of Control

»Schuld an allem sind nur die Projektziele, die vom neuen Vorstand ausgegeben wurden. Die sind von vorne bis hinten Quatsch. Ich habe gar keine andere Wahl, als dagegen anzurennen.« Wer so denkt, macht es sich vielleicht ein bisschen zu leicht. Einerseits ist es bequem, andererseits — und das ist der große Nachteil bei dieser Denkfalle — verliert man den Blick für die eigenen Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten.

In dieser Opferhaltung ist es schwer bis unmöglich, die eigene Mitverantwortung an den Geschehnissen sowie die Handlungsoptionen, um sich aus der Misere herauszuarbeiten, realistisch einzuschätzen. Der Knackpunkt liegt bei dieser Denkfalle darin, dass Ihr nicht das Maß aller Dinge seid. Manchmal ist es auch gut, sich vor Augen zu führen: Andere Menschen haben andere Regeln, die für sie vielleicht genauso gut und wertvoll sind.

Denkfalle 5: Alles-oder-Nichts-Denken

»Entweder das Projekt wird ein voller Erfolg oder ich habe total versagt«. Die Wirklichkeit ist in der Regel deutlich differenzierter, als es diese Denkfalle nahelegt. Für eine Person, die deraret schwarz-weiß denkt, kann schon ein kleines Missverständnis mit der Partnerin als Zeichen dafür gesehen werden, dass die gesamte Beziehung zum Scheitern verurteilt ist, wobei die vielen Jahre des gemeinsamen Glücks völlig ignoriert werden.

Alles-oder-nichts-Denker betonen die negative Seite einer Situation, anstatt sie insgesamt zu betrachten. Das lässt sich ändern, wenn das Wort „oder“ durch das Wort „und“ ersetzt wird: etwas hat positive UND negative Seiten. Das Projekt ist gut UND mies gelaufen. Wenn Du das nicht hinbekommst, solltest Du Dich an einen vertrauten Menschen wenden, der hilft, die Graustufen einer Situation zu entdecken.

Die gute Nachricht ist: Gelingt es Dir erst einmal, Dich im Sinne des Barons von Münchhausen selbst aus dem emotionalen Sumpf dieser Denkfallen herauszuziehen, dann werden kritische Projektsituationen in aller Regel auch gut verarbeitet und führen zu persönlichem Wachstum.

Survival-Tipps

  • Wenn Du Dich das nächste Mal in einer schwierigen Situation befindest, denke daran, dass es nicht das Ereignis selbst ist, sondern Deine Gedanken darüber, die Dir Unbehagen bereiten.
  • Wenn Du einen negativen Gedanken bemerkst, frage Dich, ob es Belege gibt, die diese Wahrnehmung bestätigen oder widerlegen
  • Grundsätzlich gilt: Setze Dich mit Deinen negativen Gedanken und Deiner Angst auseinander! Frage Dich: Was genau bereitet mir Sorgen?
  • Suche Dir einen Sparringspartner, der Dich mit seinen Erfahrungen und seinem Wissen unterstützt. Dieser sollte sich nicht leicht mit Deiner ersten Antwort zufriedengeben.
  • Bedenke: Ein „Rückfall“ ist kein Zeichen von Schwäche, sondern kann zum Zeichen von Stärke werden, wenn Du Dich von ihm nicht ermutigen lässt.
  • Selbstmitleid schwächt! – Wenn Du Dir selbst positiver begegnest, fühlst Du Dich besser, denkst klarer – und entrinnst üblen Denkfallen.

Mario Neumann

Als Autor und Trainer begleite ich Dich durch die abenteuerliche Welt der Projekte. Dafür wurde ich schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationalen Deutschen Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle meine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.