Mission Impossible – bis in den Tod?
Explodierende Budgets, Terminchaos, handfeste Konflikte – so manches Projekt entpuppt sich als wahre Mission Impossible. Als Projektleiter erkennst Du als erster die Unmöglichkeit des Vorhabens. Du blickst in den Abgrund und spürst: Dieses Projekt wird mehr und mehr zum Albtraum. Höchste Zeit für eine Strategie, aus der Sache einigermaßen heil herauszukommen.
Es sollte ein bahnbrechendes Produkt werden, 20 Prozent günstiger als das Vorgängermodell. „Mit dieser Technologie werden wir den Markt revolutionieren“, verkündete der Geschäftsführer. Magdalena M., die das Projekt leiten sollte, war sich da nicht so sicher. Nach einer ersten Prüfung erschienen ihr weder Kosten noch Termine realistisch angesetzt. Auf ihre Bedenken wollte jedoch niemand hören.
Zwei Jahre später hat sich das Bild gewandelt. Kaum jemand im Unternehmen glaubt noch an den Projekterfolg. Bis auf den Geschäftsführer: Der hält den Pleitegeier, der über dem Projekt kreist, noch immer für einen stolzen Adler im Aufwind.
Der Fall ist keine Ausnahme. Immer wieder stürzen sich Unternehmen in – realistisch betrachtet – aussichtslose Projekte. Je verheißungsvoller das Vorhaben, desto blauäugiger scheinen die Beteiligten zu sein. Die anfängliche Euphorie (nicht zu verwechseln mit gesunder Motivation!) verleitet dazu, kollektiv bei Rot über die Ampel fahren: Da werden unrealistische Ziele angepeilt, unhaltbare Termine verfolgt, sämtliche Risiken ignoriert. Wunschdenken verdrängt Realitätssinn.
Geblendet von Euphorie werden immer wieder unrealistische Projekte aufgelegt. Wenigstens einer sollte dann einen kühlen Kopf bewahren: der Projektleiter. An ihm liegt es jetzt, Argumente zu sammeln und die Diskussion zu versachlichen, um so ein Fiasko noch zu verhindern.
Augen zu und durch
Wunschdenken ist ein trügerischer Antrieb. Der Plan ist unrealistisch? Niemals, das darf nicht sein! Das Projekt ist so einmalig, verspricht einen so großen Nutzen – da bleibt kein Platz für Bedenken. Unter solchen Umständen ein Projekt mit einem konsequenten „Nein“ abzulehnen, fällt sehr schwer. Viele Projektleiter verschließen deshalb lieber die Augen vor der Realität und übernehmen das Projekt auch dann, wenn die Vorgaben völlig unrealistisch sind. „Augen zu und durch“, lautet ihre Devise. Das Problem ist in diesen Fällen dann weniger das Projekt selbst als der fehlende Mut des Projektleiters, die Dinge rechtzeitig beim Namen zu nennen und sich gegenüber der Führungsetage durchzusetzen.
Ein Fass ohne Boden
Die meisten Unternehmen neigen dazu, den Aufwand an Zeit, Geld und Personal zu unterschätzen, den ein größeres Projekt erfordert. Sie wollen nicht wahrhaben, dass sie im Projektverlauf spätestens bei der technischen Umsetzung mit Problemen rechnen müssen, die zusätzliche Ressourcen verschlingen. Wenn sich die Verantwortlichen dann noch von Euphorie und übertriebenem Optimismus leiten lassen, kann man fast sicher vorhersagen: Dieses Projekt gerät zu einem Fass ohne Boden!
Wenn Du als Projektleiter bei einem solchen Projekt zuwartest, bis Du die Pflichten- und Leistungshefte erhältst und mit der Umsetzung beginnst, stehst Du meistens schon auf verlorenem Posten. Andererseits wäre es auch falsch, die Übernahme der Projektleitung sofort abzulehnen: Selbst wenn Du beim ersten Blick auf den Projektauftrag erkennst, dass Du ein wahres Himmelfahrtskommando übernehmen sollst und dem Auftraggeber am liebsten ein zorniges „Nein!“ entgegenwerfen würdest – beherrsche Dich! Jetzt gleich das Projekt abzulehnen, wäre der falsche Zeitpunkt. Noch fehlen Dir die Argumente, um Deine Haltung zu begründen. Für Deinen Auftraggeber wäre es ein Leichtes, Deine Bedenken abzutun: „Ach was, Sie werden das schon hinbekommen!“ Und schon hätte er Dich fest an Deinen Projektleiter-Schleudersitz gekettet.
Der harte Schritt, „Nein“ zu sagen
Manche Topmanager verhalten sich nach dem Motto „es kann nicht sein, was nicht sein darf“. Sie wollen einfach nicht akzeptieren, dass ein Projekt mit unrealistischen Vorgaben aufgelegt ist oder womöglich schon aus dem Ruder zu laufen droht. Einer solchen Haltung ist nur schwer beizukommen. Sich nun – selbst als sehr erfahrener Projektleiter – nur auf sein Bauchgefühl zu berufen, dürfte den Auftraggeber kaum daran hindern, die „Mission Impossible“ durchzudrücken.
Doch wie reagieren? Generell hat sich die Regel bewährt, das „Nein“ mit einem „Ja“ zu etwas Größerem zu verbinden. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Die Mitglieder der Widerstandsgruppe Weiße Rose schafften es, Nein zu Hitler zu sagen, weil sie Ja zur Menschlichkeit sagten. Übertragen auf Deine Situation als Projektleiter heißt das, dass Du ein klares Nein zu einer krassen Fehlplanung glaubwürdig vertreten kannst, wenn Du damit ein starkes Ja zu persönlichen Werten verbindest, zum Beispiel Zuverlässigkeit und Termintreue.
Das setzt natürlich voraus, über ein stabiles Wertesystem zu verfügen. Wenn Du weißt, was Dir wichtig ist, kommt Dir das Nein so bestimmt über die Lippen, dass Widerspruch nur noch schwer möglich ist. Viel leichter manipulierbar ist hingegen, wer keinen klaren Werten folgt.
Kein „Nein“ ohne Zahlen, Daten und Fakten
Um mit einem Nein gegenüber dem Management bestehen zu können, benötigst Du Zahlen, Daten und Fakten. Du musst belegen und nachvollziehbar darstellen, warum dieses Projekt zum Scheitern verurteilt ist. Entscheidend ist es deshalb, das Gespräch sorgfältig vorzubereiten.
Versammle hierzu einige ausgewiesene Experten und besprecht gemeinsam die Situation. Schätze möglichst präzise Aufwand, Kosten und Zeiten für das Projekt ab, erarbeite einen ersten groben Projektplan und führe eine detaillierte Risikoanalyse durch.
So vorbereitet kannst Du selbstbewusst vor Deinen Auftraggeber treten. Achte jedoch darauf, keine verbrannte Erde zu hinterlassen – bekanntlich sieht man sich immer zweimal im Leben. Bewahre deshalb einen kühlen Kopf und gehe bei Deinem Nein behutsam vor. Legee nicht nur dar, warum das Projekt zu scheitern droht, sondern beschreibe auch die Bedingungen, unter denen sich das Vorhaben Deiner Ansicht nach erfolgreich umsetzen ließe. Sollte der Auftraggeber das Projekt weiterhin unbedingt durchziehen wollen, besteht nun immerhin die Chance, dass er auf Deine Bedingungen eingeht.
Wenn Deine Ausführungen und Argumente erfolglos bleiben und der Auftraggeber weiterhin unverändert am Projekt festhält, bleibt Dir noch eine wichtige Vorkehrung zu treffen: Vereinbare klare Ausstiegskriterien. Nur so kannst Du das Projekt noch stoppen, wenn die geschätzten Zeit- und Kostenaufwände später tatsächlich aus dem Ruder laufen.
Survival-Tipps
- Sammle Argumente. Versuche, anhand von Zahlen, Daten und Fakten klar zu belegen, wie hoch der wirkliche Aufwand an Zeit, Geld und Personal sein wird.
- Konkretisiere Deine Schätzgrundlage und ziehe Experten zu Rate, um Aufwand, Kosten und Zeiten realistisch abschätzen zu können.
- Nutze geeignete Schätzmethoden, um zu realistischen Ergebnissen zu gelangen. Unterscheide dabei zwischen optimistischen, realistischen und pessimistischen Zahlen.
- Umgehe die Optimismusfalle, indem Du durch umfangreiche Tests die Machbarkeit überprüfst. Ein Proof of Concept bewahrt Dich später vor bösen Überraschungen.
- Lege fest, unter welchen Bedingungen ein Projekt notfalls gestoppt wird. So lässt sich der Schaden für das Unternehmen in Grenzen halten.
- Auch wenn Du als Nein-Sager zunächst keinen Orden bekommst: Auf längere Sicht gewinnst Du durch Charakterstärke den Respekt Deiner Vorgesetzten.
Mario Neumann
Als Autor und Trainer begleite ich Dich durch die abenteuerliche Welt der Projekte. Dafür wurde ich schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationaler Deutscher Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle meine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.