Wüste, Hölle oder Arktis
Der Umgang mit Emotionen gehört nicht zu den klassischen Themen des Projektmanagements. Doch spätestens wenn ein Projekt in eine Krise gerät, wird klar: Die Gefühlslage im Projektteam kann über Erfolg und Misserfolg des Turnarounds entscheiden. Als Projektleiter stehen Sie deshalb vor der Aufgabe, die Emotionen richtig einzuschätzen und die Handlungsfähigkeit des Projektteams sicherzustellen.
Wenn Pia S. im Projekt-Meeting ihren Blick schweifen lässt, blickt er in resignierte Gesichter. Seit die desolate Lage des Projekts klar geworden ist, sind Zuversicht und Teamgeist verschwunden. Das Projektteam wirkt wie gelähmt. Keine Vorwürfe, keine Beschuldigungen. »Wenn es die gäbe, wäre wenigstens Leben in der Bude«, denkt die junge Projektleiterin. Doch ihr Team wirkt teilnahmslos, fast so, als habe es mit sich und der Welt abgeschlossen. Klar ist Pia S. jedenfalls: »So werden wir die Projektkrise sicher nicht bewältigen.«
Emotional gesehen geht Pia mit ihrem Team durch eine Art Wüste. Das Projekt wirkt wie abgestorben. Die Ziele scheinen in unerreichbare Ferne gerückt, Resignation macht sich breit. Möglich wären in einer solchen Situation aber auch andere Stimmungslagen, die nicht weniger destruktiv wirken. In manchen Fällen gerät das Projekt zur »Hölle«, weil sich die miese Stimmung hochschaukelt. Oder es passiert das Gegenteil: Der Umgang im Team wird kalt und frostig wie die Arktis.
Eine Projektkrise kann in hohem Maße negative Emotionen im Projektteam auslösen. Aufgabe des Projektleiters ist es, die Stimmungslage richtig einzuschätzen, um so den »emotionalen Turnaround« zu schaffen.
Die schlechte Nachricht vorweg: Es gibt kein Schema F, nach dem man jetzt vorgehen kann. Jede Krisensituation hat ihren eigenen Charakter und kann sich deshalb unterschiedlich auswirken. Dennoch kann man feststellen, dass sich in Krisensituationen wiederkehrende Stimmungsmuster zeigen.
Stimmungsmuster 1: Der Projektsumpf
Das Stimmungsmuster „Projektsumpf“ beschreibt eine Situation, in der ein Team in Stagnation gefangen ist. Die Mitglieder fühlen sich frustriert und demotiviert, da Fortschritte im Projekt ausbleiben und die Arbeit monoton erscheint. Diese Situation entsteht häufig durch unklare Ziele, übermäßige Bürokratie oder fehlende Ressourcen. Die Teammitglieder fühlen sich frustriert und demotiviert, was zu einem Rückgang der Produktivität führt. Kreative Ideen bleiben aus, da die Angst vor Misserfolg oder Ablehnung überwiegt. Die Kommunikation innerhalb des Teams kann leiden; Missverständnisse und Unsicherheiten nehmen zu, was das Vertrauen untereinander schwächt.
Um mit dem Projektsumpf umzugehen, sollten Projektleiter zunächst eine offene Kommunikationskultur fördern. Regelmäßige Meetings zur Reflexion des aktuellen Stands helfen, Probleme frühzeitig zu identifizieren. Zielorientierte Workshops können wichtige Impulse geben und die Motivation steigern. Zudem ist es wichtig, Erfolge – auch kleine – zu feiern, um das Team zu ermutigen. Durch klare Zielsetzungen und die Förderung von Eigenverantwortung kann das Team wieder in Bewegung kommen.
Stimmungsmuster 2: Der Hexenkessel
Das Stimmungsmuster „Hexenkessel“ beschreibt eine chaotische und überfordernde Teamdynamik, in der Emotionen hochkochen und Konflikte an der Tagesordnung sind. In einem solchen Umfeld fühlen sich Teammitglieder oft gestresst und unsicher, da unterschiedliche Meinungen und Spannungen unkontrolliert aufeinanderprallen. Meist hat sich die Situation über Wochen und Monate hinweg hochgeschaukelt, die Beteiligten sind entsprechend „aufgeheizt“ und „geladen“.
In einer derart vergifteten Atmosphäre leiden zwangsläufig die Zusammenarbeit und Kommunikation. Zudem wird jede Kreativität im Keim erstickt, weil die Angst vor Konfrontationen oder negativen Reaktionen die Bereitschaft zur offenen Diskussion hemmt.
Um mit dem Hexenkessel umzugehen, ist es wichtig, frühzeitig einzugreifen. Projektleiter sollten eine klare Struktur schaffen, um den Austausch zu fördern und Konflikte konstruktiv zu lösen. Regelmäßige Teambesprechungen bieten einen idealen Rahmen, um Probleme offen anzusprechen und Missverständnisse auszuräumen. Zudem können gezielte Teambuilding-Aktivitäten helfen, das Vertrauen untereinander zu stärken und die Beziehungen wieder zu verbessern. Durch gezielte Interventionen kann ein Projektteam Schritt-für-Schritt aus der aufgeheizten Stimmung herausgeführt werden und wieder produktiv zusammenarbeiten.
Stimmungsmuster 3: Die Eiszeit
Während im „Hexenkessel“ die Emotionen hoch kochen, ist in einer „Eiszeit“ der Umgang mit Kollegen und anderen Stakeholdern im Projekt eher frostig, die Teammitglieder begegnen einander mit emotionaler Distanz. In einer derart unterkühlten Atmosphäre fühlen sich die Projektmitglieder oft isoliert und ungehört, was zu einem Rückgang der Motivation und ihres Engagements führt. Entscheidungen werden oft nur zögerlich getroffen, da das Vertrauen untereinander fehlt. Kreative Ideen bleiben aus, da die Angst vor Ablehnung oder Kritik die Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit im Projekt hemmt oder sich auf das Nötigste beschränkt. Diese Kälte kann sich auch auf die Produktivität auswirken, da Teammitglieder immer weniger bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.
Um mit der „Eiszeit“ umzugehen, sollten Projektleiter aktiv Brücken bauen. Regelmäßige Einzelgespräche können helfen, individuelle Anliegen zu klären und ein Gefühl von Wertschätzung zu vermitteln. Offene Diskussionsrunden können einen sicheren Raum für Feedback und Ideen bieten. Durch diese oder andere gezielte Maßnahmen kann das Eis langsam schmelzen und eine produktive Zusammenarbeit wiederhergestellt werden.
Stimmungsmuster 4: Das Jammertal
Befindet sich ein Projektteam im „Jammertal“, dann ist die Stimmung niedergedrückt und die Beteiligten sind resigniert. Jegliche Freude an der Arbeit und der Glaube an die gemeinsame Sache sind verloren gegangen. Jeder kleine Misserfolg, jede auftretende Schwierigkeit treibt das Team tiefer in die Depression – und ihren Projektleiter gleich mit. Häufig setzt sich in solchen Situationen eine negative Erwartungshaltung in den Köpfen fest, die als „selbsterfüllende Prophezeigung“ gleich noch weitere Misserfolge nach sich zieht.
In dieser Atmosphäre von Pessimismus und Frustration neigen die Mitglieder dazu, sich auf Probleme zu konzentrieren und negative Erfahrungen zu teilen, was zu einer Abwärtsspirale führt. Die ständige Klage über Schwierigkeiten und Missstände kann das Engagement und die Motivation erheblich mindern. Teammitglieder fühlen sich oft entmutigt und verlieren den Glauben an positive Veränderungen, was die Zusammenarbeit weiter erschwert.
Um mit dem „Jammertal“ umzugehen, ist es wichtig, eine positive Wende einzuleiten. Projektleiter sollten aktiv zuhören und Verständnis für die Sorgen des Teams zeigen, gleichzeitig aber auch einen konstruktiven Dialog fördern. Regelmäßige Reflexionsmeetings können helfen, Probleme systematisch anzugehen und Lösungen dafür zu entwickeln. Es ist entscheidend, den Fokus auf Erfolge – auch kleine – zu lenken und diese zu feiern, um das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit wiederherzustellen.
Survival-Tipps
- Stabilisiere das Projekt, damit sich die Lage etwas beruhigen kann. Am wichtigsten sind vertrauensbildende Maßnahmen, um ein Gefühl der Sicherheit wiederzugewinnen.
- Stelle die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit wieder her, wenn Emotionen hochschlagen und die Teamarbeit lähmen. Ein Neustart kann da Wunder wirken.
- Stärke das Wir-Gefühl im Team. Andenfalls kann die Projektkrise das Klima im Team vergiften und so einen erfolgreichen Neustart verhindern.
- Überzeuge das Projektumfeld vom Neustart. So entsteht auch von außen ein positiver, nach vorne gerichteter Spirit, der das Projektteam zusätzlich motiviert.
- Überlege, ob es sinnvoll ist, einen Außenstehenden mit der Aufgabe des Neustarts zu betrauen – eine Person, die unbelastet an das Projekt herangehen kann.
- Achte immer auf die aktuelle Stimmungslage im Projekt. Oft lässt sich so eine heraufziehende Projektkrise frühzeitig erkennen – und Du kannst die Krise noch abwenden.
Mario Neumann
Als Autor und Trainer begleite ich Dich durch die abenteuerliche Welt der Projekte. Dafür wurde ich schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationalen Deutschen Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle meine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.