Einsteiger

Die Kunst zu delegieren

Von am 21.07.2025

Die Arbeitspakete sind klar definiert, doch das Projekt läuft nicht rund: Die Mitarbeiter versäumen Termine oder liefern fehlerhafte Ergebnisse ab. Die Gründe dafür können verschieden sein, aber in vielen Fällen hat sich der Projektleiter den Schlamassel selbst eingebrockt: durch unprofessionelles Delegieren.

Anette F. leitet in einem Software-Konzern ein großes Entwicklungsprojekt. Der Projekt-Coach, der sie begleitet, macht schon nach wenigen Tagen eine interessante Beobachtung: Immer wenn die Projektleiterin ein Arbeitspaket an einen Mitarbeiter delegiert, klingt das so, als würde sie ihn um einen Gefallen bitten. Darauf angesprochen, rechtfertigt sich Anette F., dass sie doch gar nicht die Position habe, einem Mitarbeiter Anweisungen zu geben: „Ich bin doch nur eine Kollegin.“

Wie Anette F. scheuen sich viele Projektleiter davor, eine Aufgabe klar und verbindlich zu delegieren. Stattdessen bitten sie ihre „Kollegen“ um einen „Gefallen“ – mit der Folge, dass wichtige Aufgaben liegenblieben: Wenn ein Projektleiter einen Kollegen um einen Gefallen bittet, sagt dieser zwar in aller Regel zu. Warum auch nicht? Aber es stört ihn auch nicht weiter, wenn er die Aufgabe nicht rechtzeitig erledigen kann. Es war ja nur ein Gefallen! Vielleicht verspürt er für kurze Zeit ein schlechtes Gewissen. Fakt ist jedoch, dass er sich mit einem kurzen „Tut mir leid!“ der Verantwortung entledigt hat.

Wer als Projektleiter eine „Kultur der Gefälligkeiten“ pflegt, kann schnell mächtig unter Druck geraten. Er ist für das Projekt verantwortlich, weiß aber nicht, ob die Aufgabenpakete zuverlässig erledigt werden. Entscheidend ist es deshalb, professionell zu delegieren.

Alles eine Frage der Haltung

Delegieren ist zunächst eine Frage der Haltung und des Selbstverständnisses. Es gilt, Bedenken und Befürchtungen abzuschütteln. Man muss delegieren wollen. Der Projektleiter muss aber auch delegieren dürfen und können.

Mit dem „Wollen“ ist das bei Projektleitern oft so eine Sache. Ein Blick in den Projektalltag verrät, dass sich Projektleiter beim Delegieren oft selbst im Wege stehen. Sie sind überzeugt, die Aufgabe selbst am besten zu lösen, haben Angst davor, der Mitarbeiter könnte Fehler machen, oder fürchten, die Kontrolle über das Projekt zu verlieren – um nur einige Gründe zu nennen.

Was legitimiert mich, Aufgaben zu delegieren?

Das Thema „Dürfen“ ist dagegen eine Frage der Projektkultur im Unternehmen. Die Rolle des Projektleiters sollte mit ausreichend legitimer Macht ausstattet sein, so dass alle Projektbeteiligten wissen: Der Projektleiter besitzt die Befugnis, Arbeitspakete zu verteilen und Aufgaben zu delegieren. Existiert diese Regelung nicht, müssen Sie sich notfalls auf eigene Initiative die notwendige Macht organisieren und sich die entsprechenden Befugnisse von der Führungsetage geben lassen.

Die Kunst, Aufgaben klar und deutlich zu delegieren

  • Sinn und Zweck der Aufgabe
    Viele halten es für unnötig, ihre Mitarbeiter oder Kollegen darüber zu informieren, warum eine Aufgabe erledigt werden soll. Wer aber Sinn und Zweck einer Aufgabe versteht, tut sich viel leichter, sie zu erledigen. Zeige dem Mitarbeiter den Gesamtkontext auf, in dem die Aufgabe steht.
  • Klare Formulierung der Aufgabe
    Der Erfolg des Delegierens hängt davon ab, dass der Mitarbeiter die Aufgabe verstanden hat. Formulieren Sie die Arbeitsaufgabe so konkret und eindeutig wie möglich – und versichere Dich durch Rückfragen, dass der Mitarbeiter Dich richtig verstanden hat. Was für Dich klar ist, muss es für den anderen noch lange nicht sein.
  • Klare Formulierung des Ziels
    Eine Aufgabenbeschreibung beinhaltet in der Regel noch keine konkrete Zielformulierung. Für den Erfolg ist es entscheidend, neben der Aufgabe auch das Ziel klar zu formulieren. In der Praxis ist das leider nicht so selbstverständlich, wie es sich anhört. Wer aber das Ziel kennt, kann es leichter erreichen.
  • Einholen der Zustimmung
    Definiere nicht nur die Aufgabe und das Ziel, sondern hole Dir auch die Zustimmung des Mitarbeiters ein. Prüfe, ob der Mitarbeiter wirklich bereit ist, das Arbeitspaket zu erledigen.
  • Abklären der Vorgehensweise
    Kläre die Vorgehensweise mit dem Mitarbeiter, auch wenn er die Verantwortung dafür trägt. Das ist aus zwei Gründen sinnvoll: Zum einen erkennst Du, ob der Mitarbeiter weiß, wie er das Ziel erreichen will – und zum anderen erfährst Du, ob die Ideen Deines Mitarbeiters grundlegend von Deinen Vorstellungen abweichen.
  • Treffen einer Vereinbarung
    Lege am Ende des Gesprächs dar, auf welche Punkte Du Dich geeinigt hast. Lasse Dir am Besten auch gleich eine Terminzusage geben.

Wer als Projektleiter bereits unter Druck steht, tut sich schwer, Aufgaben klar und eindeutig zu delegieren. Es fehlt schlicht die Zeit, darüber nachzudenken, was wem delegiert werden kann. Deshalb empfiehlt es sich, das Vorhaben früh zu durchdenken und die Arbeitspakete rechtzeitig zu schnüren.

Survival-Tipps

  • Mache Dir klar, dass Du als Projektleiter eine Führungsfunktion übernimmst – und dass hierzu auch die verbindliche Delegation von Aufgaben zählt.
  • Bereite die Delegation wichtiger Arbeitsaufträge sorgfältig vor. Formuliere Aufgabe und Ziel präzise, und wähle den geeigneten Mitarbeiter aus.
  • Vergiss nicht, der Mitarbeiter kann nur das ausführen, was Du ihm gesagt, nicht aber, was Du Dir dabei gedacht hast!
  • Übertrage dem Mitarbeiter gleichzeitig mit der Aufgabe oder Tätigkeit die zu ihrer Ausführung erforderlichen Entscheidungs- und Weisungsbefugnisse.
  • Bedenke: Delegieren ist mehr als nur eine Arbeitsanweisung zu geben. Es bedeutet immer auch, ein Stück Kontrolle abzugeben.
  • Gib dem Mitarbeiter die Gewissheit, dass Du ihn mit Rat und Tat unterstützen wirst, falls er bei der Ausführung der Aufgabe in Schwierigkeiten gerät.

Mario Neumann

Als Autor und Trainer begleite ich Dich durch die abenteuerliche Welt der Projekte. Dafür wurde ich schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationaler Deutscher Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle meine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.