Well Team Times Nr. 249

Wertesysteme gegenseitig anerkennen

Von am 16.08.2021

Die Teamdynamiker tauschen sich immer wieder über ihre Werte aus, um mit gutem Gewissen die bestmögliche Leitung und Begleitung anbieten zu können. Worauf kommt es ihnen bei der Leitung von Trainings und Workshops wirklich an? In der Trainerszene gibt es eine ausgedehnte und engagierte Wertediskussion.
Die Teamdynamiker werden ihre Werte kennen, leben, entdecken, verinnerlichen, verwirklichen, vertreten, verteidigen, vermitteln, schützen, stützen, erhalten, wahren, bewahren, hinterfragen, überdenken, reflektieren.

Werte sind zunächst etwas Abstraktes, es sind nur Wörter, die eine grundsätzliche Haltung benennen. Erst wenn sich die Teammitglieder freiwillig und selbstbestimmt damit verbinden und Verantwortung dafür übernehmen, entfalten die Werte ihre Wirksamkeit in den Ergebnissen. Werte sind handlungsgerichtet, sonst bleiben sie auf der Ebene der Sonntagsreden und Absichtserklärungen.

Gelebte Werte verleihen einer Organisation, Institution oder einem Team Charakter und Identität. Sie strahlen von innen nach außen und schaffen Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit. Es wird spürbar und erlebbar, wofür man gemeinsam steht. Werte sind den Zielen vorgelagert, das heißt, sie sind bereits in den Köpfen und Herzen der Mitglieder verinnerlicht. Sie bündeln und konzentrieren die Energien und Schaffenskräfte. Nach innen wirkt sich die Werteorientierung vor allem auf die Kultur in der Kommunikation und Interaktion der Mitglieder aus. Gelebte und reflektierte Werte aktivieren die Potenziale und die Freude an der gemeinsamen Leistung.

Foto: Matjaz Slanic auf istockphoto

Werte in Balance bringen

Innerhalb eines Wertesystems gedeiht ein Wertepluralismus, den es zu bewahren gilt. Werte stehen aber oft in Konkurrenz zueinander und verursachen einen Wertekonflikt, mit dem die Beteiligten dann umgehen müssen. Werte überzubewerten, sie in Reinkultur zu wahren und unerbittlich zu verteidigen heißt, dogmatisch zu werden. Um Werte zu halten und nach diesen zu leben, braucht es in bestimmten Situationen die Freiheit, gerade diese Werte zu relativieren. Da bleibt man menschlich und gibt sich „nicht päpstlicher als der Papst“. So muss eine Wertebalance immer wieder neu hergestellt werden. Das fördert die menschliche Reife: Man lernt die Besinnung auf Werte mit Verantwortungsgefühl für das größere Ganze. Eine Entwicklung der Werte in einem Team oder Unternehmen ist immer gekoppelt mit einer persönlichen Entwicklung der Teammitglieder.

Werte oder Wunschvorstellungen

Eine noch so gründliche Diskussion über Werte reicht nicht aus. Der Austausch und das inhaltliche Definieren der Begriffe ist nur ein Anfang. Niedergeschriebene Werte ohne ein entsprechendes Verhalten ist wertloses Papier. Entscheidend ist, wie die Teammitglieder handeln. Werte müssen sich immer in Handlungen ausdrücken. Das Verhalten des Einzelnen sollte stets den gemeinsam gewollten Werten entsprechen. Das Aufdecken und Bewusstwerden von intuitiv gelebten Werten ist ein kognitiver Prozess. Dabei sollte hinterfragt werden, was da wirklich vertreten und verteidigt wird und ob man sich nicht im Raum der Wunschvorstellungen bewegt. Das Einführen eines Wertesystems in einem Team oder Unternehmen – ein Wertemanagement – ist ein hoch komplexer Prozess mit schönen, motivierenden, kreativen und produktiven, aber auch plötzlich kritischen Momenten. Langfristig überwiegen aber eindeutig die förderlichen Aspekte, wenn sich ein Team oder ein Unternehmen zusammensetzt und sein Wertesystem reflektiert und revidiert. ap

Hervorgehobene und vernachlässigte Werte

Ein Wertesystem umfasst die Gesamtheit der Ideale, Leitbilder, Vorbilder, Wünsche und Hoffnungen sowie das religiöse und weltanschauliche Bekenntnis. Die Wertesysteme sind zwischen den Kulturen, Religionen und Gesellschaftsschichten unterschiedlich. Innerhalb einer Gesellschaft sind sie oft konträr und in den Zeiten nicht stabil, sie wandeln sich. Die höheren Werte der Menschen sind sehr vielfältig. Das eigene Wertesystem verleitet einen Menschen dazu, die ihm gleichgültigen Aspekte der und Vorstellungen zu vernachlässigen, dagegen die ihn stark positiv oder negativ berührenden Aspekte hervorzuheben. Im Zuge des gegenwärtig stattfindenden Wertewandels werden handlungsleitende Werte in ihrer Bedeutung zurückgestuft, andere Teile des Wertesystems nehmen dann ihren Rang ein. So wurden beispielsweise die ursprünglich hochgehaltenen „Tugenden“ in unserer Gesellschaft durch „Selbstentfaltung“ zurückgedrängt.

Der Teamdynamiker muss die Werte und Werthaltungen seiner Teilnehmer erkennen und anerkennen, und er muss sich seiner eigenen Werte bewusst sein. Zu folgenden Werten sollte er auf jeden Fall eine Meinung haben:

Aufgeschlossenheit, Aufrichtigkeit, Ausgeglichenheit, Authentizität, Begeisterungsfähigkeit, Bescheidenheit, Beständigkeit, Beweglichkeit, Diplomatie, Disziplin, Ehrlichkeit, Einfachheit, Einfühlsamkeit, Ernsthaftigkeit, Einsatz, Fleiß, Flexibilität, Freundlichkeit, Freundschaft, Friede, Geborgenheit, Gelassenheit, Gerechtigkeit, Großherzigkeit, Güte, Harmonie, Humor, Initiative, Klarheit, Kompetenz, Kreativität, Spontaneität, Lebensfreude, Leichtigkeit, Leidenschaft, Leistung, Liebe, Menschlichkeit, Mut, Neugier, Offenheit, Optimismus, Produktivität, Pflichtbewusstsein, Pünktlichkeit, Ruhe, Schönheit, Sicherheit, Sensibilität, Solidarität, Spiritualität, Stabilität, Sympathie, Treue, Vernunft, Verbindlichkeit, Verschwiegenheit, Vertrauen, Verständnis, Vielseitigkeit, Wertschätzung, Weitsicht, Zuneigung, Zuverlässigkeit.

Jeder setzt Akzente

Jeder hat sein eigenes Werte- und Verhaltenssystem, das er von seiner Familie, seinen Lehrern, Ausbildern und seinen Freunden übernommen hat. Und dann haben die eigenen Lebenserfahrungen noch einen Akzent gesetzt. Und jeder meint, das Seinige sei das Richtige. Sein Gewissen  richtet sich nach dem, was er in den prägenden Phasen seines Lebens gelernt und erfahren hat. Dieses Gewissen sagt aber überhaupt nichts über das Richtige, sondern nur über das in seinem Herkunfts-und Wirkungsbereich bisher Gültige. Wenn jetzt zwei „Richtige“ zusammengeraten, gibt es eine Diskussion. Am Anfang eines Teambildungsprozesses gibt es einen Kampf, der meist unterschwellig, manchmal offen ausgetragen wird und bei dem es darum geht, wer sein Wertesystem gegen das des anderen durchsetzt. Es gibt dann einen Durchsetzungsfähigeren, und der andere zieht sich zurück. Der Durchsetzungsfähigere hat zwar gewonnen, doch er hat den anderen verloren. Ein Durchsetzer sieht meist nicht, dass das System des anderen die gleiche Berechtigung hat.

Eine Lösung gelingt, wenn man miteinander spricht und gegenseitig das System des anderen nachvollzieht und anerkennt. Daraufhin suchen die beiden einen Weg, wo beides auf einer höheren Ebene kreativ zu einer Einheit wird, so dass sich jeder mit diesem neuen, umfassenderen  Wertesystem gut fühlt. Das ist in der Regel mehr, als wenn einer seine Werte durchgesetzt hat.
Insbesondere der Teamdynamiker muss die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der von den Teilnehmern mitgebrachten Werte erkennen und anerkennen. Vgl. Neuhauser 1999, 120 f.

Andere Werturteile akzeptieren

„Ich bin eher ein analytischer Mensch, denke aber leidenschaftlich über Gesellschaftspolitik nach. Gerne akzeptiere ich auch andere Werturteile. Von mir werden Sie nicht erleben, dass ich andere beleidige, nur weil wir konträre Werturteile fällen. Es geht um das Wertefundament, die Struktur unserer Meinungen und Haltungen. Das Interesse an solchen weltanschaulichen Fragen hat mich auch als junge Frau in die Politik gebracht.“
Kristina Schröder, Familienministerin, in DIE WELT, 21.04.2012

Mario Neumann

Als Autor und Trainer begleite ich Dich durch die abenteuerliche Welt der Projekte. Dafür wurde ich schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationaler Deutscher Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle meine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.