Wer dominiert hier?
Die Dominanz des Trainers / der Trainerin
Dominant ist jemand, der die Situation prägt, der den Ton angibt. Wer den Ton angibt, braucht einen, der mitsingt, am besten einen ganzen Chor. Wer beim Training im team-dynamischen Kreis in die Mitte geht, gibt von dort aus den Ton an. Dominanz ist sowohl ein soziales Verhalten als auch ein emotionaler Zustand und kann sowohl positiv als auch negativ wirksam sein.
Autorität oder Nervensäge?
- Wer Autorität besitzt, kann zum Wohle des größeren Ganzen dominieren
- Wer nur zugunsten des eigenen Image dominiert, ist eine Nervensäge
Bei der Team-und Projektarbeit ist es gut, wenn man in jeder Arbeitskonstellation jemanden hat, der den Ton angibt, sei es, weil er sachkundig ist, sei es, weil er Vertrauen genießt. Die Rollen können wechseln, müssen aber klar sein. Ärger und Streit entstehen immer dann, wenn die Rollenverteilung nicht klar ist. Wer kann wem sagen, was Trumpf ist, was gespielt wird, wie gearbeitet wird? Wer kann wen loben, tadeln oder korrigieren? Der Schaden von unbewusster Dominanz kann groß sein, da man nicht wahrnimmt, ob man wirklich etwas für das Team tut, und nicht merkt, wenn man lediglich die anderen nervt. Unbewusste Dominanz ist ein häufig unerkannter Grund für ausbleibenden Erfolg. Eine Nervensäge wird von einer Gruppe eher abgelehnt.
Dominanter Charakterzug
Menschen aus helfenden und heilenden, lehrenden und leitenden Berufen brauchen einen gewissen dominanten Charakterzug. Dieser Charakter sollte ihnen bewusst sein und sie sollten ihn bewusst auch kontrollieren können. Das ändert nichts daran, dass sie zugleich sensibel und empathisch sein sollten. Dominanz darf sich niemals in Arroganz äußern. Wer arrogant daherkommt, überschätzt sich, wirkt anmaßend, hochmütig, dünkelhaft, überheblich, selbstherrlich. Oft redet er auch abfällig über andere. Menschen mit Minderwertigkeitskomplexen wirken arrogant, wenn sie Selbstbewusstsein und Kompetenz demonstrieren wollen. Arrogantes Auftreten gilt unter Trainern, Beratern und Führungskräften als Todsünde.
Wer dominiert im Workshop?
Wem steht in einem team-dynamischen Workshop eine dominante Rolle zu? Eine wichtige Frage, zu der es auch eine eindeutige Antwort gibt: Dem, der gerade der Gebende ist. Dem, der als Quelle gesehen wird, aus der die anderen gerne schöpfen: Weisheit, Wissen, Witz, Information, Motivation, Führung, Heilung oder Hilfe. Der Trainer ist dazu da, für die Dauer des Trainings eine dominante Rolle zu übernehmen. Er sollte sich von niemandem dominieren lassen. Auch wenn er einmal den Ahnungslosen spielt, auch wenn er den Teilnehmer, der sich in der Mitte präsentiert, gewähren lässt, er behält die Fäden in der Hand.
Eine fein abgestimmte, von Verantwortung und Einfühlung begleitete Dominanz gehört zur Ausstattung eines Trainers. Er darf sich bei seiner Moderation auch gern einmal zurücknehmen, also bewusst auf seine Dominanz verzichten.
Viele Trainer verderben den Brei
In einem team-dynamischen Workshop versammeln sich viele Trainer, Trainerinnen, Coaches und andere Teilnehmer mit sozialkommunikativen Berufen. Sie wollen sich weiterbilden, also lernen. Sie sind hier keine Dirigenten, spielen aber im Orchester. Sie befreien sich von der dominanten Rolle, die sie in ihrem Beruf ausfüllen. Sie werden sich aber an die Hinweise zum Workshop erinnern:
Nimm Einfluss auf das Geschehen!
Du bist für dich selbst verantwortlich, nicht für die anderen. Aber du kannst das Geschehen in jedem Augenblick beeinflussen. Dein Einfluss hängt ab vom Wechselspiel zwischen dir und den anderen. Dabei hast du nicht die Oberhand und kannst nicht immer alles in den Griff bekommen. Deine bisherigen Errungenschaften zählen nicht im Trainingsteam, du fängst ohne Platzvorteil an.
Man kann zwei Fälle unterscheiden, in denen Teilnehmer in ihrer Trainer-Mentalität oder ihrer Führungsrolle gefangen sind und – ohne dass es ihnen bewusst ist – über Gebühr dominant werden:
(1) Ein Teilnehmer dominiert die Gruppe, nimmt sich zu viel Raum, hinterfragt, kommentiert oder prägt das Geschehen übermäßig. Da funktioniert die Strategie „Wer fragt, der führt“. Die Gruppe wird sich das nicht lange bieten lassen. Sie wird sich daran abarbeiten. Wertvolle Zeit geht verloren. Die Zeit ist in einem Workshop eine knappe Ressource, die sinnvoll und gerecht verteilt werden muss.
(2) Ein Teilnehmer dominiert den Trainer, durchkreuzt dessen Souveränität und Konzept. Das kann sich auf den Verlauf des Trainings markant auswirken. Hier gibt es einen schleichenden Übergang von der nervenden Dominanz zur Attacke. Einem Teilnehmer, der sich dominant oder provokativ verhält, sollte der Trainer gewachsen sein. Wenn allerdings jemand mit diesem Verhalten nicht nachlässt, tut das auch der Gruppe nicht gut, denn sie verliert die Orientierung, der Gruppenprozess zerfleddert. Es gibt nicht viele Möglichkeiten, mit einem Teilnehmer umzugehen, der unangemessen dominant auftritt, aus dem dominanten Zustand nicht herausfindet und damit den Prozess zum Nachteil der Gruppe beherrscht. Denkbar wäre:
- Der Trainer unterbricht das Training durch eine Pause, um die Souveränität über den Prozess wiederzuerlangen.
- Der Trainer überlässt die Leitung zwischenzeitlich seinem Co-Trainer, damit dieser die Situation neu fokussiert.
- Der Trainer kann den Teilnehmer hinauskomplimentieren, etwa indem er ihn bittet, an einer anderen, für ihn besser passenden Weiterbildung teilzunehmen.
Trainerplatz zu vergeben
Im Rahmen einer klugen Moderation gibt es eine bewährte Intervention: Der Trainer überträgt dem dominanten Teilnehmer probeweise die Leitung und bietet ihm dafür den Trainerplatz an – ein unerwarteter Perspektivwechsel. Die Dynamik im Team bekommt einen ganz neuen Akzent. Die Rollenverteilung versteht sich spielerisch und dauert meist nur kurze Zeit, etwa bis der Teilnehmer in der Trainerrolle nicht mehr weiterweiß oder die Gruppe ihren Trainer wiederhaben will. Das wird dann gewiss ein Dämpfer für das unangemessene Dominanzgebaren sein.
Der Trainer ist auch ein Teilnehmer
Der Trainer hat nicht nur die gebende, leitende, moderierende Funktion, die er mit seinem persönlichen Stil ausfüllt, er ist auch jemand, der sich als Mensch einbringt und etwas mitnimmt, jenseits von seiner Funktion. Als Mensch gibt er sich offen, spontan, transparent, kann sich irren und ist auch verwundbar. Da gibt es keinen Unterschied zwischen dem leitenden und dem teilnehmenden Teamdynamiker, denn der Leiter nimmt auch teil, und der Teilnehmer kann auch den Prozess beeinflussen. Trainer wie Teilnehmer begegnen sich auf der menschlichen Ebene und auf „Augenhöhe“.
Der Trainer hat eine ambivalente, eine doppelte Rolle. Er ist einerseits Teil des Trainingsteams, Teil des team-dynamischen Prozesses. Er ist andererseits auch ein Außenstehender, denn er braucht den Blick auf das Team von außen. Er sollte unabhängig sein, nicht verstrickt in die inneren Angelegenheiten des Teams. Er ist also zugleich „in“ und „out“.
Mario Neumann
Als Autor und Trainer begleite ich Dich durch die abenteuerliche Welt der Projekte. Dafür wurde ich schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationaler Deutscher Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle meine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.