Well Team Times Nr. 259

Was ist Gruppendynamik?

Von am 13.06.2022

Der Begriff bezeichnet die Kräfte (griech.: dynamis), die in Gruppen entstehen und von Gruppen auf deren Mitglieder ausgeübt werden.

Der Ausdruck „Gruppendynamik“ wurde schon 1936 von dem US-amerikanischen Psychologen Kurt Lewin (Research Center for Group Dynamics) geprägt, der damals nachweisen konnte, dass die Besprechung eines Themas in Gruppen mit anschließender Beschlussfassung ein noch wirksameres Mittel ist, Einstellungen zu verändern, als der Vortrag eines anerkannten Fachmanns.

Themen und Fragestellungen

in der Gruppendynamik sind unter anderem:

  • Wie entstehen Gruppen?
  • Welche Phasen gibt es in der Entwicklung einer Gruppe?
  • Was hält eine Gruppe zusammen? (Gruppenkohäsion)
  • Wie verteilen sich die Rollen in der Gruppe?
  • Unter welchen Bedingungen bilden sich Untergruppen?
  • Was schafft Zusammenhalt zwischen feindlichen Untergruppen?
  • Inwiefern ist die Übereinstimmung einer Gruppe ein Druckmittel auf ein einzelnes Gruppenmitglied, das eine abweichende Ansicht
    hat? (Gruppendruck)
  • Wie wirken verschiedene Führungsstile in Gruppen?
  • Wovon hängt die persönliche Beteiligung eines Gruppenmitglieds ab?
  • Wovon hängt ab, ob die Gruppe ein einzelnes Gruppenmitglied sozial unterstützt?
  • Wie entstehen die normativen Standards der Gruppe? (Gruppennorm)

Die gruppendynamische Begegnung

Bei der Gruppendynamik kann man beobachten und erfahren, wie unterschiedliche Bedürfnisse und Werthaltungen miteinander umgehen und in Einklang gebracht werden können. Eine Gruppe findet ohne den Druck einer Autorität von außen, aus der reinen Begegnung von Mensch zu Mensch zur Anerkennung der Unterschiede und kann sich dann, aus dieser Anerkennung heraus, auf ein gemeinsames Handeln einigen, das allen Beteiligten gleichermaßen gerecht wird.

Zwischen Gruppendynamik und Teamdynamik gibt es einige Gemeinsamkeiten. In der Angewandten Teamdynamik kommt allerdings eine spezielle, systemisch und proxemisch fundierte Form der Begegnung zum Einsatz. Die Zielsetzungen sind auch andere. Mit den Unterschieden beschäftigt sich das Projekt Teamdynamik an der Hochschule Fulda.

Foto: Matjaz Slanic auf istockphoto

Das gruppendynamische Training

lässt bewusst eine Verunsicherung durch Unübersichtlichkeit und komplexe Situationen zu, die ein alltägliches Gruppenerleben sehr belasten würden – und die ja auch tatsächlich am Arbeitsplatz, in Freizeitgruppen und in der Politik oft das Vorankommen behindern. Die Teilnehmer können am Beispiel der Trainingsgruppe herausfinden, wie sich die Sozialstruktur in einer Gruppe von Individuen bildet, wie die Wahrheit und der Weg gefunden, wie die Entscheidungen getroffen werden. Die Teilnehmer erforschen, wodurch die Konsens-und Arbeitsfähigkeit behindert wird und was man unternehmen kann, um sie zu verbessern.

Hingegen vermittelt die Teamdynamik den Teilnehmern einen festen Rahmen und Sicherheit. Bei ihr nutzt man von Anfang an beziehungsfördernde, integrative Interaktionsformen.

Positionen in der Gruppendynamik

Unter dem Gesichtspunkt der Rangdynamik gibt es in jeder Gruppe vier Positionen, die nicht immer alle besetzt sein müssen. Je größer die Gruppe, desto wahrscheinlicher ist aber eine Besetzung aller Positionen, wobei es die meisten Gammas gibt:

  • Alpha: Der Anführer ist derjenige, dem die anderen folgen. Er hält diese Position kraft seiner Dominanz oder Autorität, in jedem Fall durch Initiative.
  • Beta: Der Experte unterstützt den Alpha und hilft ihm in seiner Stellung zu bleiben. Dies kann er aus Gruppenverständnis tun, aber auch aufgrund seines fachlichen Know-hows, mit dem er der Zielorientierung zuträgt. Diese Position muss nicht besetzt sein. Beta kann auch eine Position zwischen Alpha und Omega einnehmen, er kann in beide Positionen gehen sowie diese auch verbinden.
  • Gamma: Das Gruppenmitglied lässt sich vom Alpha leiten. Es gibt keine Richtung vor, sondern folgt. Es kann mehrere oder viele Gammas geben.
  • Omega: Er ist der Gegenspieler, der Alpha werden kann – oder von diesem gezähmt in seiner Position gehalten wird. Manchmal wird Omega auch zum Sündenbock oder auch Bauernopfer, wenn er aus dem Team beitet, könnte Omega den Streit suchen.

„G“ ist der Gegner der Gruppe, der eben auch das Ziel der Gruppe sein kann. Dann steht „G“ für Goal. Hier muss man das Modell weiterdenken und in die aktuelle Zeit übersetzen, in der es Teams gibt, die auf eine Zielerreichung orientiert sind.
In jedem Fall: „G“ bündelt die Kraft der Gruppe und zieht sie in eine Richtung. „G“ kann also integrieren, aber auch für Differenzierung – etwa der Kompetenzen – sorgen, wenn diese Differenzierung beim Erreichen von „G“ hilfreich ist. „G“ kann demnach genauso das andere Team sein, das die Gruppe mit ihren Leistungen schlagen kann, wie die Zielerreichung. Beides läuft auf dasselbe hinaus: „G“ führt dazu, dass man sich anstrengt und seine Kräfte bündelt, ob dagegen oder dafür.
Vgl. https://teamworksgmbh.de/rangdynamik-warum-alphas-betas-brauchen-und-omegas-eigentlich-nuetzlich-sind (abgerufen 06.04.2022)

Reflexion der Prozesse

Das Setting des gruppendynamischen Trainings ist leider in Deutschland in den 70er Jahren „verbrannt“ worden, weil es mit allerhand ideologischem Ballast befrachtet und missbraucht wurde. Es bietet aber einen unvergleichlichen Lernraum, um die Selbstorganisation sozialer Systeme zu studieren und sich gleichzeitig experimentell in seiner eigenen sozialen Wirksamkeit zu erfahren. Ich persönlich halte die Teilnahme an solchen Trainings für einen unverzichtbaren Bestandteil der Professionalisierung von Trainern, Beratern und Führungskräften.
Fritz B. Simon, Professor für Führung und Organisation, Universität Witten/ Herdecke

Gruppendynamik und Gruppentherapie

Die Gruppendynamik initiiert bei den Teilnehmern Verhaltensänderungen. Deshalb haben auch verschiedene Therapeuten die Gruppendynamik in der Psychotherapie eingesetzt.

Gruppentherapie ist die Bezeichnung für eine Reihe von therapeutischen Ansätzen, bei denen die Patienten unter Anleitung eines Therapeuten in kleinen Gruppen zusammentreffen und den sozialen Kontakt für ihre Therapie nutzen.

Eine besondere Methode der Gruppentherapie ist das „Psychodrama“ (oder „Soziodrama“), in dessen Verlauf frei gewählte Rollen übernommen und gespielt werden. Aus der spielerischen Interaktion ermittelt der Therapeut die Symptome. Die Gruppenteilnehmer bekommen dabei Bewusstsein über ihre Licht-und Schattenseiten und erproben im Rollenspiel mit Unterstützung der Gruppe ein neues Verhalten.

Mario Neumann

Als Autor und Trainer begleite ich Dich durch die abenteuerliche Welt der Projekte. Dafür wurde ich schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationaler Deutscher Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle meine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.