Kommunikation

Nachgefragt – bei Frank Triebler

Von am 19.05.2023

Ich stelle Menschen gerne Fragen, weil mich ihre Arbeit, ihre Strategien, ihre Standpunkte oder ihre Thesen interessieren. Für meine Kolumne NACHGEFRAGT habe ich das Gespräch mit Frank Triebler gesucht. Er ist überzeugt, dass man in Großprojekten auch mal mit harten Bandagen kämpfen muss. Ich habe Frank Triebler gefragt, ob man Claim Management auch einfach erklären und auf den Punkt bringen kann.

Mario: „Claims abstecken“ – dieses geflügelte Sprichwort kennt man aus der Zeit des Goldrausches Ende des 19. Jahrhunderts in Alaska. Dort wurden haufenweise Markierungspfähle eingerammt. Das Gesetz besagte nämlich, dass 60 Tage zwischen dem Einrammen der Pfähle und dem Registrieren vergehen durften, und unterdessen war ein Claim unantastbar. Auch heute, in modernen Projekten, ist es notwendig, Claims abzustecken. Frank, ich nehme an, dass Du Deine Ansprüche weder mit Hacke und Schaufel einforderst, noch wirst Du sie mit Gewehr oder Pistole abwehren, oder!?

Frank: Nein, sicher nicht. Aber trotzdem wird in Großprojekten oft mit harten Bandagen gekämpft. Ein solches Großprojekt erfolgreich ins Ziel zu bringen, ist heutzutage ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Organisationen. Unternehmen, die dies beherrschen, sichern sich Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz. Wir wissen aber auch nicht erst seit der Hamburger Elbphilharmonie oder dem Berliner Flughafen, dass solche Großprojekte anfällig sind für Schwierigkeiten. Man könnte auch sagen: Sie sind anfällig für Änderungen und somit für enorme Mehrkosten. Das größte Problem hierbei ist wie immer, dass sich die Unternehmen am Projektanfang nicht genug Zeit nehmen, um die Projektziele zu definieren und damit die Projektgrundlagen festzuschreiben. Ein gutes Konfigurationsmanagement ist eine wichtige Grundlage, um im Projektverlauf überhaupt Claims durchsetzen zu können.

Mario: In deinen eigenen Projekten sind Änderungen im Projektablauf also nichts Ungewöhnliches. Damit diese Abweichungen möglichst effizient gesteuert werden können und nicht zu Konflikten mit Vertragspartnern führen, gibt es das Claim Management. Kannst Du mal erklären, was man unter Claim Management versteht?

Frank: Unter einem Claim versteht man die Forderung eines Projektpartners, die sich in Folge einer Abweichung vom ursprünglichen Projektauftrag ergibt – das sollte im Konfigurationsmanagement definiert und hoffentlich auch im Vertrag fixiert sein. Abweichungen kann es bei vereinbarten Terminen, kalkulierten Kosten oder den zu erbringenden Ergebnissen geben.

Hält sich ein Projektpartner also nicht an die vertraglichen Vereinbarungen, kommt das Claim Management zum Einsatz. Es bezeichnet die Reaktion auf Abweichungen vom Vertrag und deren Auswirkungen. Werden beispielsweise Fristen nicht eingehalten, werden Claims – also Forderungen – an den Vertragspartner gestellt. Ziel ist es, Nachforderungen an den Projektpartner zu stellen, wenn dieser vom Vertrag abweicht. Oder auch umgekehrt: Verluste zu minimieren, die durch nachträgliche Ansprüche des Projektpartners entstehen können.

Foto: Frank Triebler

Mario: Claim Management klingt oft sehr theoretisch. Kannst Du das trotzdem mal an einem konkreten Beispiel erläutern?

Angenommen, ich verantworte als Projektleiter den Bau eines neuen Büro-Gebäudes. Wir sind soweit fertig, dass mit dem Innenausbau begonnen werden kann. Vorher müssen jedoch die Fenster eingesetzt werden. Diese werden vom Fensterbauer zwar rechtzeitig geliefert, doch beim Einbau stellen wir fest, dass falsch gemessen wurde und einige Fenster nicht passen. Da die Fenster eine Spezialanfertigung sind, dauert es einige Wochen, bis die passenden Fenster eingebaut werden können. Der Fensterbauer weicht hier von seinem Terminplan ab. Er schafft durch diesen Vorgang eine Claim-Möglichkeit für mich. Die Begründung hierzu ist folgende: Er verzögert  den Innenausbau um einige Wochen – mit erheblichen Folgen: Materialien für den Innenausbau müssen zwischengelagert werden und die Handwerker können erst zu einem späteren Zeitpunkt beginnen. Ich setze zusätzliche Arbeitskräfte ein, um den Fertigstellungstermin nicht zu gefährden. Ich bin zuversichtlich, dass ich die Mehrkosten dem Fensterbauer in Rechnung stellen kann.

Jetzt beginnt das Claim Management. Ich stelle wegen des Terminverzugs Nachforderungen an den Fensterbauer, weil ich ungern auf den Mehrkosten sitzenbleiben möchte. Der Fensterbauer weigert sich jedoch, den Mehraufwand zu bezahlen, weil er abstreitet, für die Fehler bei der Vermessung verantwortlich zu sein. Deshalb kommt es zum Claim Management zwischen mir und dem Fensterbauer. Wir müssen eine für beide Seiten akzeptable Lösung finden, falls diese Situation nicht vertraglich klar geregelt wurde. Gelingt das nicht, können Forderungen auch schon mal zu Rechtsstreitigkeiten führen.

Gerichtliche Auseinandersetzungen sollte man aber aus meiner Sicht vermeiden. Ein Rechtstreit zieht sich in Deutschland erfahrungsgemäß ewig hin – der daraus entstehende Schaden steht dann selten im Verhältnis zum Claim-Schaden. Es sollte somit immer für beide Parteien klar sein, eine Einigung außerhalb des Gerichtssaals zu treffen.

Mario: Du deutest in Deinem Szenario ja schon an, das jetzt jeder versucht, das Vertragswerk zu seinen Gunsten auszulegen. Da wird eine Änderung im Projektablauf nicht formal bestätigt, es kommt zu Missverständnissen hinsichtlich der bereitgestellten Qualität – und schon ist es passiert. Der Ärger ist doch vorprogrammiert! – Wenn jetzt mit harten Bandagen gekämpft wird, ist es doch sicherlich nicht ungewöhnlich, wenn versucht wird, den Projektpartner zu benachteiligen. Wie schützt Du Dich als Projektleiter vor Claims?

Frank: Zunächst brauche ich eine gute Grundlage: Am Anfang meiner Lieferantenbeziehung mit dem Fensterbauer steht die Vertragsgestaltung. Hierbei ist es aus meiner Sicht unabdingbar, dass alle Rahmenparameter fixiert werden – ich habe ja schon auf die Bedeutung des Konfigurationsmanagements hingewiesen.

Parallel zu den Gesprächen mit dem Geschäftspartner bereite ich mich als Projektleiter auf das Claim Management bewusst vor.  Hierbei bediene ich mich meiner jahrelangen Erfahrung und auch der Abstimmung in meinem Team. Ich arbeite wie ein „Lückenleser“ und versuche die Lücken in den Unterlagen zu finden, um später hieraus zu claimen. Ich  betrachte die Risiken und entwickele Szenarien dafür. Welche Ansprüche könnten Kunden gegenüber dem Projekt einfordern? Wie sollte das Projekt gegenüber dem Lieferanten Ansprüche geltend machen? Welche Claim-Strategie verfolge ich? Ziel meiner Vorbereitung ist es – in Abstimmung mit dem Einkauf und der Rechtsabteilung – die Verträge „wasserdicht“ zu bekommen.

Der nächste wichtige Meilenstein ist die Abnahme des Liefergegenstandes. Aus rechtlicher Sicht handelt es sich um einen entscheidenden Meilenstein. Denn unter anderem erfolgt mit der Abnahme der Gefahrenübergang vom Auftragnehmer zum Auftraggeber, also vom Fensterbauer zum Kunden, und die Gewährleistungsfrist beginnt. Ab diesem Zeitpunkt muss ich dem Fensterbauer Mängel nachweisen, falls etwas nicht in Ordnung ist.

Wenn jetzt, wie in unserem Szenario, einige Fenster nicht passen und sich deswegen der Innenausbau verzögert, muss ich den Claim managen. Das beginnt zunächst damit, die vertragliche Situation zu analysieren und den Ansprüchen gegenüberzustellen. Im nächsten Schritt muss ich meine Ansprüche aus rechtlicher, technischer, organisatorischer und betriebswirtschaftlicher Sicht bewerten. Welche Schadenshöhe wäre zu kalkulieren? Welche Auswirkungen haben die Ansprüche auf Zeit und Geld im Projektablauf? Abschließend wären die nächsten Schritte zu planen.

Mario: Welche Claim Management Strategie schlägst Du dann ein?

Frank: Das hängt ein wenig davon ab, welche Ziele ich habe. Auf der einen Seite steht das zurückhaltende, nachgebende Verhalten beim Einfordern von Ansprüchen. Auch hier muss ich zu Projektbeginn mit dem Auftraggeber festgelegen, welche Strategie er einschlagen will, entsprechend werde ich mein Claim Management aufbauen.

Eine zurückhaltende Claim Strategie ist dann wichtig, wenn die kooperative Zusammenarbeit mit dem Projektpartner im Vordergrund steht. Wenn ich mit dem Fensterbauer seit Jahren vertrauensvoll zusammengearbeitet habe, dann werde ich nicht auf meiner eigenen Position beharren, sondern gemeinsam mit ihm nach Lösungen suchen.

Wenn mein Projekt aber ohnehin schon „auf Kante genäht“ ist, werde ich massiv für Ansprüche eintreten, um meine eigenen Interessen durchzusetzen, schließlich will ich durch Mehrkosten nicht in den roten Zahlen kommen. Man sollte aber immer daran denken: Konflikte über einen Anwalt auszutragen, ist eine zeit- und kostspielige Angelegenheit. Es geht also im Claim Management auch darum, geschickt zu verhandeln, um sich über strittige Positionen zu einigen.

Gerade in der Baubranche gehört „claimen“ zum täglichen Geschäft, denn ohne Claims werden die Auftragnehmer selten Projekte mit einer schwarzen Null abschließen. Somit muss jedem klar sein,  dass eine Claim Strategie auch vom Projektumfeld abhängt.

Letztlich werden immer beide Parteien versuchen, ihre Claims durchzusetzen. Nur sollten wir uns – egal wie es ausgeht – hinterher immer noch auf ein Bier treffen können. Claimen heißt: „Hart in der Sache, aber fair im Umgang.“

Mario: Lieber Frank, herzlichen Dank, dass ich bei Dir nachfragen durfte.

Zur Person

Frank Triebler ist Geschäftsführer und Programmleiter bei der HMPG, einer Projektgesellschaft für komplexe IT-, Infrastruktur- und Entwicklungsprojekte. Er übernimmt mit seinen Mitarbeitern die Leitung und Steuerung dieser Projekte. Frank Triebler ist Troubleshooter und Sparringspartner zugleich, wenn er Projektmitarbeitern operativ unter die Arme greift.