Lieben und geliebt werden
Liebe ist das Kernthema der menschlichen Existenz. Alles, was Menschen tun, beruht (bewusst oder unbewusst) immer auf einem Bedürfnis nach Liebe.
Das Kind, das die ganze Zeit Aufmerksamkeit fordert? Will Liebe. Der Typ, der nie genug Geld haben kann? Sucht genauso nach Liebe. Die Paare, die sich dauernd streiten? Da versucht ein Partner verzweifelt, den anderen dazu zu bekommen, dass er ihn liebt. Doch dieses allgegenwärtige Bedürfnis scheint sich oft unendlich schwierig zu erfüllen. Dabei ist das Problem nicht die Liebe an sich, die sich uns verweigern würde, sondern es sind unsere falschen Vorstellungen darüber, wo und wie wir Liebe finden.
Kendra Gettel zeigt uns im Folgenden die drei größten Missverständnisse über die Liebe.
- Liebe ist etwas außerhalb von mir
In unserer Kultur haben wir beigebracht bekommen, dass Liebe etwas außerhalb von uns ist. Von daher suchen wir danach auch im Außen. Logisch. Wenn wir uns nicht geliebt fühlen, wenn wir da dieses Loch im Inneren fühlen, suchen wir zunächst nach Menschen, die uns Liebe geben. Wir möchten von anderen anerkannt, bestätigt und wertgeschätzt werden. Und wünschen uns Liebe von engen Freunden oder Familienmitgliedern und insbesondere Liebe in romantischen Paarbeziehungen.
Der Haken bei der Sache ist jedoch, dass uns etwas Entscheidendes dabei entgeht: Die Liebe ist in uns. Das schöne Gefühl von Geborgenheit, bedingungslosem Angenommensein, Glück und Frieden gehört zur Grundausstattung, die uns die Natur mitgegeben hat. Es ist durch unsere Erziehung und Konditionierung lediglich verdeckt oder vergessen, doch es wartet in jedem von uns darauf entdeckt zu werden. Und solange
wir dieses schöne Gefühl nicht in uns selbst finden, hilft leider auch jede Liebeszufuhr von außen nur temporär. Kein Mensch kann es von außen ausgleichen, wenn wir den Zugang zur Liebe in uns selbst verloren haben. Deshalb ist es zuallerst wichtig, diesen Zugang wieder zu finden. - Ich brauche keinen anderen Menschen
Aus der Erkenntnis, dass die Liebe in uns ist, folgt dann oft das andere Extrem, zu meinen, man brauche keine anderen Menschen und könne sich selbst genügen. Das funktioniert auch nicht. Für ein glückliches Leben brauchen wir beides: Liebe geben und Liebe empfangen.
Wenn wir die Liebe in uns selbst gefunden haben, können wir sie mit anderen authentisch und auf nährende Weise teilen. Und wir sind nicht emotional von bestimmten Menschen abhängig. Wir suchen nicht mehr verzweifelt im Außen. Das ist alles wunderbar.
Wir genießen die Liebe, doch sozusagen in die andere Richtung: Wir genießen das Geben. Was wir bekommen, ist nicht mehr so wichtig. Wir spüren, dass wir von Natur aus Liebe ausdehnen möchten und es daher uns selbst nicht befriedigt, wenn wir keine menschlichen Interaktionen haben, in denen ein Austausch von Liebe stattfindet.
Gleichzeitig können wir immer mehr erkennen, wenn andere uns lieben. Und uns werden die Augen dafür geöffnet, wie geliebt und unterstützt wir sind. Wir bekommen auch von außen mehr Liebe als vorher, doch ohne, dass wir danach gesucht haben.


Foto: Matjaz Slanic auf istockphoto
- Liebe ist schwierig
Nein. Liebe ist der normale Seinszustand des Menschen. Wenn wir nicht in einer Gesellschaft großgeworden wären, in der emotionale und teilweise physische Gewalt zum Standardumgang gehören, und wir nicht ständig destruktives Verhalten vorgelebt bekommen hätten und dies als Kinder als normal übernommen hätten, wäre liebevolles Verhalten unter den Menschen Normalität.
Je mehr wir durch alle alten, erlernten Verhaltensmuster und emotionale Verletzungen hindurch wieder zu uns selbst finden, desto leichter wird es uns fallen, uns selbst und andere zu lieben. Denn wir sind Liebe! Doch erst einmal müssen wir den emotionalen Müll aus dem Weg räumen
Die negative Konditionierungbeginnt ja oft leider schon inden Familien: Wenn ein Kindimmer nur erlebt, wie Mutter und Vater sich streiten, wohersoll es lernen, wie Männer undFrauen liebevoll miteinanderumgehen können?
Wenn dann noch in der Schuledas Motto „Mädchen sinddoof!“ herrscht, macht es dieSache nicht besser. Wenn Kinderin ach so tollen Filmproduktionen für Kinder nur sehen,wie man sich gegenseitig übereinander lustig macht und übervorteilt – und dies automatisch als Verhaltensweisen übernehmen – dann ist es kein Wunder, wenn es ihnen mit diesem Verhalten schwerfällt, Freundschaften zu schließen. Wir sind mit ziemlich viel Müllkonditioniert! (© Kendra Gettel https://endlichbergeversetzen.de/author/admin/)
Liebe als Prozess
Liebe ist nicht einfach ein Gefühl, Liebe ist ein Prozess – so zu handeln, dass die Aktionen im Wohl des geliebten Menschen münden. Das bedeutet jedoch nicht, alles zu tun, was der andere verlangt. Denn das ist nicht immer im besten Interesse und würde ihn zum Tyrannen machen. Zu lieben ist schwierig, weil es immer wieder Entscheidungen verlangt.
David Schnarch, US-amerikanischer Psychologe und Sexualtherapeut
Liebe – Gewissen
Über viele Jahre habe ich mich gefragt: Was ist eigentlich Gewissen? Was ist gewissenhaft und was passiert mit gewissenhaften Menschen? Was richten sie an, Gutes oder Schlimmes?
Ich habe beobachtet, wie das Gewissen wirkt. Es blockiert gegenüber Außenstehenden die Liebe. Das war für mich eine wichtige Erkenntnis: Erst wo ich über das Gewissen hinausgehe, ist tiefe Liebe, Achtung und Respekt auch für Außenstehende möglich.
Hellinger/ ten Hövel 1999, 45
Tiefe Liebe
Als tiefste Liebe wird erlebt, wenn jemand so, wie er ist, anerkannt wird, und zwar als notwendig so. Er kann gar nicht anders sein. So ist er richtig. Obwohl er anders ist als ich und ich anders bin als er, anerkennen wir uns beide als richtig. Das ist die eigentliche Liebe. Nicht, dass ich jemanden umarme oder so. Das wäre sehr vordergründig.
Hellinger/ ten Hövel 1999, 59
Liebe in der Paarbeziehung
Liebe ist eine starke Kraft. Sie möchte fließen. Auch die Liebe in einer Paarbeziehung möchte das. Sie möchte sich erfüllen. Zwei Liebende wollen zusammenbleiben, sich gegenseitig auf den unterschiedlichsten Ebenen befruchten, einen Rahmen schaffen für das gemeinsame Größere, das nur zu zweit möglich wird. Die Liebe möchte sich verströmen und zu Weiterem führen. Kinder sind das natürlichWeiterführende. Auch das, was einer von beiden durch die Unterstützung des anderen vollbringt, führt die Paarbeziehung weiter. Auch die Art und Weise, wie die beiden in der Welt sind, strahlt aus.
Rauscher 2003, 35 f.
Liebe – ein Leidensthema
Liebe ist das große Sehnsuchts-, aber auch Leidensthema. Von allen Seiten stürmen Bilder und Vorstellungen, was und wie die Liebe sei, auf uns ein: Im TV, in den sozialen Medien, in der Literatur und beim Therapeuten, überall wird über Liebe gesprochen. Und doch scheinen wir dieser universellen Kraft nicht näher zu kommen. Liebe zu empfangen, Liebe zu geben, letztlich Liebe zu sein, das gelingt den wenigsten. Vielleicht sind wir deshalb so fixiert auf die Inszenierungen von Liebe, verwechseln wir Liebe häufig mit Abhängigkeit, sehnen uns nach der großen Liebe und fürchten uns gleichzeitig vor dem Verletzt-und Verlassenwerden. Wer jedoch erkannt hat, dass er Liebe ist, erlebt sie als eine innere Kraft, die verbindet und es dem Leben erlaubt, sich durch uns zu entfalten. ap


Mario Neumann
Als Autor und Trainer begleite ich Dich durch die abenteuerliche Welt der Projekte. Dafür wurde ich schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationaler Deutscher Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle meine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.