Führung

Kompetent, aber wirkungslos?

Von am 06.11.2025

Ich stelle Menschen gerne Fragen, weil mich ihre Arbeit, ihre Strategien, ihre Standpunkte oder ihre Thesen interessieren. Für meine Kolumne NACHGEFRAGT habe ich das Gespräch mit Christian Maaß  gesucht. Der Unternehmer, Beirat und Autor ist überzeugt, dass Executive Presence der Schlüssel ist, der den Unterschied ausmachen kann. Ich habe bei Christian nachgefragt, warum Executive Presence mehr ist als nur der erste Eindruck.

Mario: Lieber Christian, in Deinem Buch geht es um Executive Presence. Woran merkst Du, dass jemand Präsenz hat? Was macht eine Führungspersönlichkeit aus?

Christian: Manche Menschen betreten einen Raum – und es wird sofort still. Andere beginnen zu sprechen – und man hört gar nicht erst hin. Woran liegt das? Warum nehmen wir manche Menschen sofort als Führungspersönlichkeit wahr und andere nicht? Die Antwort liegt nicht in Titeln, Fachwissen oder Erfahrung, sondern in ihrer Präsenz. Diese entsteht in der Art, wie sie auftreten, wie sie kommunizieren, welche Gefühle sie dabei in anderen auslösen und was sich dadurch letztendlich verändert. Ich nenne es das Quartett der Executive Presence.

Mario: Du nennst vier Säulen. Welche ist die erste?

Christian: Auftreten: Es sind oft Signale der Körpersprache, wie unsere Haltung, Gesten oder schlichtweg der Augenkontakt, sowie äußere Faktoren (etwa unsere Kleidung), die unser Unterbewusstsein in Sekundenbruchteilen verarbeitet, um zu einer ersten Einschätzung zu gelangen, ob wir es mit einer Person mit Einfluss zu tun haben oder nicht. Psychologische Experimente deuten darauf hin, dass bereits eine kurze Zeit von 100 Millisekunden ausreicht, um auf Vertrauenswürdigkeit, Kompetenz, Sympathie, Aggressivität oder Attraktivität einer Person zu schließen. Dieser flüchtige Moment – kaum länger als der Schlag eines Schmetterlingsflügels – entscheidet den weiteren Verlauf maßgeblich.

Mario: Und die zweite Säule?

Christian: Kommunikation: Während unser Auftreten entscheidet, ob uns Menschen zunächst als Führungspersönlichkeit wahrnehmen, sind es die Kommunikation und der damit verbundene zweite Eindruck, die bestimmen, ob sie uns tatsächlich folgen. Es geht dabei nicht nur darum, was gesagt wird, sondern vor allem darum, wie es gesagt wird. Wann zählen harte Fakten – und wann kommt es auf weichere Elemente wie etwa ein emotionales Storytelling an? Und wie stellt man in beiden Fällen sicher, dass die Botschaften nicht nur gehört, sondern auch verstanden werden und im Anschluss tatsächlich etwas passiert? Die meisten Führungskräfte reden viel, aber kommunizieren wenig.

Mario: Welche Rolle spielt die Wirkung?

Christian: Wirkung: Worum es bei der Wirkung geht, lässt sich einfach beschreiben: Was bleibt und passiert, wenn Sie nicht mehr im Raum sind? Das ist die Wirkung, die Sie als Führungskraft erzielen und die sich im unternehmerischen Kontext im Idealfall in klaren betriebswirtschaftlichen Resultaten niederschlägt: Umsatzwachstum, Kostensenkung sowie eine Steigerung in der Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit.

Dr. Christian Maaß ist Geschäftsführer und CDO bei Thomann, dem größten E-Commerce Händler für Musikinstrumente in Europe sowie Partner bei der Digitalberatung eTribes. Gleichzeitig unterstützt er als Aufsichtsrat Unternehmen bei der Digitalisierung. Zuvor bekleidete er verschiedene Führungspositionen bei Unternehmen wie Bertelsmann, OTTO und Vistaprint. Christian studierte und promovierte in Oxford, Chicago, Paderborn und Hagen und ist Autor mehrerer Fachbücher zu den Themen E-Commerce und Online Produktentwicklung.

Mario: Und das vierte Element?

Christian: Feedback und Reflexion: Der konstruktive Umgang mit Feedback sollte selbstverständlich sein – ist es aber oftmals nicht. Insbesondere aus den Fallstudien wird hervorgehen, dass große Katastrophen niemals aus dem Nichts entstehen, sondern aus der Ignoranz von Feedback oder aus der Unfähigkeit, das eigene Führungs-Verhalten kritisch zu hinterfragen und anzupassen. Bei Feedback auf der Executive-Ebene handelt es sich jedoch in der Regel nicht um klassische Mitarbeitergespräche. Es geht vielmehr darum, subtilere Rückmeldungen wahrzunehmen – etwa in Form von kleinen Sticheleien, Andeutungen – oder einfach nur um das Zusammentragen isolierter Informationen.

Mario: Wie soll man dieses Quartett im Buch nutzen?

Christian: Das hier beschriebene Quartett bildet die Grundlage für den Aufbau des vorliegenden Buchs, den wir im weiteren Verlauf gemeinsam vertiefen und reflektieren werden. Bei allen Überlegungen steht dabei der Anwendungstransfer des Gelesenen in den eigenen Führungsalltag im Fokus. Das Buch wird jedoch keine Schablone mit dem Versprechen an die Hand geben, dass Sie der nächste Steve Jobs oder die nächste Christine Lagarde werden. Vielmehr bietet es einen klaren Rahmen und Anhaltspunkte, mit deren Hilfe Sie Ihre eigene Executive Presence hinterfragen und entwickeln können.

Mario: Gibt es Beispiele für Authentizität statt Nachahmung?

Christian: Executive Presence entsteht nämlich nicht durch das Kopieren anderer, sondern durch das bewusste Entwickeln eines authentischen Führungsstils. Wer versucht, jemand anderes zu sein, wirkt künstlich – und wird damit genau das Gegenteil dessen erreichen, was eine starke Präsenz ausmacht. Erinnern Sie sich noch an Elizabeth Holmes? Sie galt als jüngste Selfmade-Milliardärin der USA und wurde für einige Zeit als eine Art neuer Steve Jobs gehandelt. Äußerlich unterstrich sie vermeintliche Gemeinsamkeiten mit dem legendären Apple-CEO, doch bröckelte diese Fassade, als Kritik an ihrem Unternehmen lauter wurde und sie kritisches Feedback ignorierte.

Mario: Gibt es eine Kernbotschaft, die man in Deinem Buch erwarten kann?

Christian: Executive Presence entsteht nicht aus Titeln oder Technik, sondern aus dem bewussten Zusammenspiel von authentischem Auftreten, klarer Kommunikation und nachhaltiger Wirkung in Verbindung mit Feedback – ein Quartett, das Sie selbst aktiv gestalten können.

Mario: Fleiß wird belohnt und Bildung ist der Schlüssel zum Aufstieg – diese Vorstellung war lange Teil der westlichen Arbeitskultur, insbesondere in Deutschland. Warum reicht harte Arbeit heute nicht mehr aus?

Christian: In der heutigen Arbeitswelt gilt diese Gleichung nicht mehr uneingeschränkt. Fleiß ist eine Voraussetzung, aber kein Garant. Der Erfolg hängt nicht nur von Leistung oder Wissen ab, sondern auch davon, wie man sein Wissen wirksam einsetzt, kommuniziert und andere überzeugt. Kurz: Fachliche Exzellenz bringt nichts, wenn man sie nicht verständlich, überzeugend und wirkungsvoll vermittelt. Viele Experten unterschätzen diesen Punkt: Entscheidungen werden oft nicht rein rational getroffen, sondern auch durch subjektive Wahrnehmung, Vertrauen und Kontext; Menschen erinnern sich eher an Geschichten, klare Botschaften und Auftritte als an nackte Zahlen; kluge Menschen, die schlecht kommunizieren, werden oft von überzeugenden, weniger kompetenten Persönlichkeiten überholt, weil wahrgenommene Kompetenz oft entscheidender ist als tatsächliche.

Mario: Wandelt sich damit auch die Bedeutung von Fachwissen?

Christian: Ja. Fachwissen allein ist kein ausreichender Differentiator mehr. Der Zugang zu Wissen ist leichter geworden: Bildungsangebote von Eliteuniversitäten stehen oft kostenlos zur Verfügung. Damit gibt es keine Ausrede mehr, etwas nicht zu wissen, und jeder kann entscheiden, wie er dieses Angebot nutzt – was auch ein Signal sendet. Die Halbwertzeit von Fachwissen sinkt, besonders in der IT; zwei Jahre später gibt es oft schon vergleichbare Endgeräte. Selbst dort, wo Expertenwissen gefragt bleibt, muss man in komplexen Umfeldern auch wissen, wen man fragen kann, um schnelle, passende Informationen zu erhalten. Ein Beispiel ist Christine Lagarde, die aktuelle EZB-Chefin: Kritiker meinten, sie könne nicht auf dem Niveau eines klassischen Zentralbankers diskutieren, doch sie kompensiert fehlende Fachexpertise durch ein starkes Team und ist eine überzeugende Führungspersönlichkeit.

Mario: Welche Rolle spielt Executive Presence in diesem Kontext?

Christian: Executive Presence hilft, die eigene Sichtbarkeit zu erhöhen und zentraler Akteur in einem Netzwerk zu werden – statt im Hintergrund als unauffälliger Spezialist zu agieren. Das bedeutet keineswegs, Spezialisten abzuwerten: Sie retten uns täglich, etwa Netzexperten oder medizinische Fachkräfte; dort ist fachliche Exzellenz unverzichtbar. Allerdings bleibt Kommunikationskompetenz wichtig, besonders im Management. Wer sich ausschließlich auf Fachwissen verlässt, verliert.

Mario: Gibt es konkrete Beispiele, die diese Dynamik veranschaulichen?

Christian: Ohne Zweifel. Rollen im Management zeigen, dass reines Fachwissen allein nicht genügt. Wer sich anpasst und netzwerkt, hat bessere Chancen. Goethes Hadamik – „Sage mir, mit wem du umgehst…“ – gilt noch heute: Netzwerke beeinflussen Karrierechancen wesentlich. In modernen Organisationen sind Lebensläufe auf LinkedIn sichtbar, Netzwerke sichtbar – Personalentscheider achten darauf, mit wem jemand vernetzt ist und mit wem er sich engagiert. Executive Presence schafft Sichtbarkeit und Wirksamkeit, während reiner Fachexpertenstatus oft nur gehört wird, ohne die Welt zu verändern.

Mario: Ist Executive Presence eine universelle Lösung oder gibt es Grenzen?

Christian: Executive Presence ist nicht die ultimative Antwort auf alle Veränderungen der Arbeitswelt und kann Defizite im Grundlagenwissen nicht kompensieren. Sie macht jedoch den entscheidenden Unterschied, ob jemand sichtbar ist und als Führungspersönlichkeit wahrgenommen wird – oder nur als Experte, dessen Meinung man hört, der aber nicht maßgeblich beeinflusst. Wer glaubt, dass „Fleiß + Wissen = Erfolg“ allein nachhaltig wirkt, wird enttäuscht. Fachwissen bringt Sie an den Tisch; Executive Presence entscheidet, ob man Ihnen zuhört.

Mario: Lieber Christian, herzlichen Dank, dass ich bei Dir nachfragen durfte.

Executive Presence – mehr als der erste Eindruck

Executive Presence ist der Schlüssel, der den Unterschied ausmacht: zwischen jemandem, der einfach einen Raum betritt, und jemandem, der ihn verändert. Sie entscheidet darüber, ob Menschen zuhören, folgen und handeln – und ob Führung akzeptiert wird. Dieses Buch unterstützt Führungskräfte dabei, ihre Wirkung in sozialen Interaktionen zu optimieren, Einfluss zu gewinnen und ihre Führungsstärke auszubauen. Es beleuchtet, warum wir manche Menschen als Führungspersönlichkeiten wahrnehmen. Dabei stehen vier zentrale Säulen, die eine starke Präsenz ausmachen, im Fokus: Auftreten, Kommunikation, Wirkung sowie Feedback/Selbstreflexion. Praxiserprobte Methoden, Fallbeispiele und Selbstchecks helfen Ihnen, auch unter Druck oder in schwierigen Situationen souverän aufzutreten und Ihre Führungsstärke gezielt einzusetzen.