Die Dynamik des Wechsels
Gestern noch Kollege, heute Projektleiter: Der Glaube ist weit verbreitet, dass dieser Rollentausch nicht allzu schwer fällt – schließlich kennt man ja die Kollegen. Trotzdem beginnt für den neuen Projektleiter eine schwierige Gratwanderung: Einerseits darf er die Kollegen nicht vor den Kopf zu stoßen, andererseits muss er ihnen aber auch klar machen, dass er jetzt nicht mehr „nur“ Kollege sondern als Projektleiter in der Verantwortung ist.
Typisch der Fall bei einem mittelständischen Maschinenbau-Unternehmen. Dort wird Bernhard Projektleiter für die Restrukturierung im Service. Seine Kollegen waren alle überzeugt, dass mit ihm an der Spitze des Projekts die Dinge vernünftig laufen würden. Eine heile Welt, die tatsächlich eine Zeitlang funktionierte. Bernhard verstand sich als Bindeglied zur Geschäftsführung; er vertrat das Service-Team nach oben. Eines Tages jedoch kam er mit einer unangenehmen Nachricht im Gepäck von der Geschäftsführung zurück: Als nächstes sollten die Arbeitsabläufe standardisiert werden. Dass sich die Begeisterung in Grenzen halten würde, war ihm klar.
Bernhard steckte in einem Dilemma. Auf der einen Seite konnte er die Argumente seiner Kollegen nachvollziehen, auf der anderen Seite verstand er aber auch die Geschäftsleitung. Das Unternehmen stand im Wettbewerb und die Standardisierung der Abläufe war eigentlich längst überfällig – das war schließlich sein Projektauftrag. Damit war klar, dass ihm seine Aufgabe als Projektleiter eine neue Gangart abverlangte: Sein Job würde es sein, die Vorgaben der Geschäftsführung umzusetzen – notfalls auch gegen Widerstände seiner Kollegen.
Die Mitarbeiter verkennen oft, dass der einstige Kollege vorübergehend eine neue Rolle eingenommen hat und von nun an vor allem daran gemessen wird, wie gut er den Projektauftrag durchsetzt.
Zeige als Aufsteiger Führungsqualitäten
Der bisherige Erfolg vieler Projektleiter gründet vor allem auf ihren fachlichen Leistungen – nicht zuletzt diesen Kompetenzen haben sie ihren Aufstieg zum Projektleiter zu verdanken. Die Gefahr besteht, dass sie sich in der neuen Position weiterhin auf fachliche Aufgaben konzentrieren und dadurch ihre Leitungsaufgaben vernachlässigen.
Mit dem Aufstieg in ihre neue Rolle müssen Projektleiter vielmehr beweisen, dass sie fähige und motivierte Kollegen an sich binden und zum gemeinsamen Erfolg führen können. Der Auftraggeber nimmt es sehr wohl zur Kenntnis, ob die Fachleute des Teams den Neuen in seiner Rolle als Projektleiter respektieren.
Das bedeutet nicht, dass man im Fachlichen besser sein muss als die eigenen Teammitglieder. Die Frage ist, ob der Neue über ausreichend „Leadership“ verfügt, um die Kollegen zu Spitzenleistungen zu führen.
Das lässt sich übrigens mit einigen wenigen Fragen klären:
- Arbeiten Deine Leistungsträger gerne für Dich und Dein Projekt?
- Stehen sie voll und ganz hinter den Projektzielen?
- Oder suchen sich die Spitzenleute andere Aufgaben?
Beweise als Aufsteiger Durchsetzungsvermögen
Aufsteiger in die Rolle des Projektleiters müssen beweisen, dass sie sich sowohl im Team als auch gegenüber den Linienvorgesetzten sowie externen Dienstleistern und Lieferanten durchsetzen können. Kein Auftraggeber sieht es gerne, wenn sich der Neue in der Rolle des Projektleiters als Verwalter entpuppt. Er kann zwar die Arbeit an die Mitarbeiter delegieren und kontrollieren, verliert sich auch nicht im Detail, kann sich jedoch nicht durchsetzen, wenn andere sich stur stellen oder verweigern.
Auch das lässt sich mit einigen wenigen Fragen klären:
- Wie sehr bist Du auf die Unterstützung Deines Auftraggebers angewiesen?
- Wie häufig musst Du Dinge eskalieren, weil sich Projektbeteiligte verweigern?
- Appellierst Du an Deinen Auftraggeber, doch mal ein Machtwort zu sprechen?
Zeige, dass Du selbstständig mit Deinem Projekt zum Ziel kommst und nicht pausenlos auf die Unterstützung Deines Auftraggebers angewiesen bist. Je weniger andere mit Deinen projektinternen Problemen zu tun haben, desto besser für Dich. Projektleitung ist mehr als die Verwaltung von Projektplänen!
Denke als Aufsteiger bereichsübergreifend
Bis vor wenigen Jahren befassten sich die Unternehmen vorrangig mit der Frage: Wie können wir die Arbeit in den einzelnen Bereichen verbessern? Heute durchzieht die Informationstechnik das Unternehmen inzwischen wie das Nervensystem den menschlichen Körper. Deshalb wirken sich Veränderungen in einem Bereich stärker auf andere aus als früher.
Mit dem Aufstieg in ihre neue Rolle wird von Projektleitern verlangt, bereichsübergreifend zu arbeiten und nicht nur die Belange des eigenen Bereichs im Blick zu haben. Das ist besonders wichtig, wenn das Projekt die Belange anderer Bereiche berührt und dort vielleicht auf Unverständnis oder gar Widerstand stößt.
Die anderen Linienvorgesetzten mögen sich nur schwer mit Änderungen anfreunden, die sie als Kompetenzeinbußen, als Einmischerei oder überflüssige Neugerungen erleben. Zu leicht ziehen sich der Projektleiter und sein Team dann in eine kuschelige Bunkermentalität zurück: „Wir sind doch die Profis, die von den Idioten aus den anderen Fachbereichen schlecht behandelt werden.“
Wieder lässt sich die Situation mit einigen wenigen Fragen erfassen:
- Wie stark sind die Widerstände aus den anderen Bereichen?
- Wie sehr musst Du neue Technologien oder andere Neuerungen verteidigen?
- Wie stark hintertreiben die Linienvorgesetzten Dein Projektvorhaben?
Schotte Dich mit Deinem Projektteam nicht ab. Meide alles, was zu „Bunkermentalität“ führen oder wie eine feindselige Einstellung gegenüber den Linienvorgesetzten wirken könnte.
Ein Aufsteiger aus den eigenen Reihen neigt dazu, seine neue Leitungsaufgabe als Interessenvertretung für die Mitarbeiter und Kollegen aus seiner Abteilung zu verstehen. Das ist gefährlich, denn nur selten stimmen die Erwartungen der Mitarbeiter mit den Zielvorgaben des Auftraggebers überein. Als Aufsteiger läufst Du Gefahr, zwischen allen Stühlen zu stehen.
Survival-Tipps
- Widerstehe der Versuchung, Dich sofort lustvoll in die Arbeit zu stürzen. Nutze von Anfang an die Chance, Dich als Führungskraft darzustellen.
- Die neue Rolle erfordert von Dir, Dich abzugrenzen und freizuschwimmen – nach dem Motto: „Ich bin nicht mehr nur euer Kollege, ich bin jetzt Projektleiter! “
- Spreche offen mit Deinen Kollegen über Deine neue Rolle. Reduziere schrittweise enge Kontakte zu Kollegen, die Dir nahestehen, und gehe mehr auf die anderen zu.
- Führe Einzelgespräche mit Deinen Projektmitarbeitern. Du entwickelst dadurch nicht nur neue Sichtweisen, sondern etablierst Dich damit auch in Deiner neuen Rolle.
- Erläutere Deine Vorstellungen von der künftigen Zusammenarbeit im Projekt und kläre, welche Erwartungen die Kollegen an Dich als Projektleiter haben.
- Benenne klar und eindeutig, was alles so läuft wie in bisherigen Projekten und was Du in Deinem Projekt gerne anders handhaben möchtest.
Mario Neumann
Als Autor und Trainer begleite ich Dich durch die abenteuerliche Welt der Projekte. Dafür wurde ich schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationaler Deutscher Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle meine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.