Führung

Der schwierige Umgang mit Anerkennung

Von am 21.10.2024

Jeder Projektleiter sollte wissen, dass Lob, Anerkennung und Kritik wichtige Führungsmittel in der täglichen Projektarbeit sind – auch und gerade wenn man über keine Weisungsbefugnis gegenüber den eigenen Mitarbeitern verfügt. Denn: Mitarbeiter, deren Leistungen angemessen gewürdigt werden, sind nachweislich höher motiviert. Doch hinter der Anerkennung verbirgt sich auch ein schwieriger, psychologischer Effekt, den nur die wenigsten Führungskräfte und Projektleiter auf ihrem Radar haben. 

Bernd H. verfährt in seinem Projekt nach der Maxime: „Ned gschompfa isch globt gnuag“. Der bodenständige und fleißige Schwabe geht davon aus, dass seine Projektmitarbeiter auch ohne Lob zur Höchstform auflaufen – schließlich legt er sich ja auch Tag für Tag mächtig ins Zeug, um das Projekt erfolgreich voranzutreiben. Dabei entgeht ihm, dass zwei seiner Mitarbeiter zwar qualitativ gute Ergebnisse abliefern, aber kaum noch vorwärts kommen. Bernd H. reagiert zunehmend genervt, weil er glaubt, die beiden Kollegen ständig „zum Jagen tragen“ zu müssen.

Beim näheren Hinsehen erkennt man, dass das Verhalten der beiden Mitarbeiter von einem starken Bedürfnis nach Anerkennung geprägt ist. Sie haben sich darüber gefreut, dass sie für das Projekt ausgewählt worden sind. Gleichzeitig waren sie auch überrascht, weil sie sich diese Projektaufgabe selbst vielleicht gar nicht zugetraut hätten. Bernd H. hat es schlicht übersehen, dass er hier zwei Mitarbeiter mit einem starken Streben nach Anerkennung vor sich hat, die nicht wirklich an sich glauben und ihre eigenen Fähigkeiten negativer einschätzen, als sie tatsächlich sind.

Menschen mit einem starken Bedürfnis nach »Anerkennung« fühlen sich oft unsicher und haben für gewöhnlich wenig Selbstvertrauen; ihr Selbstbild basiert auf dem Feedback anderer. Wenn sie sich anerkannt fühlen, trauen sie sich etwas zu. Kritik lässt sie schnell an sich zweifeln.

Die Gefahr der Selbstzerstörung

Die beiden Projektmitarbeiter heißen Adriane und Philipp. Beider Verhalten ist von einem starken Bedürfnis nach Anerkennung geprägt. Adriane möchte beispielsweise von Anfang an einen guten Eindruck hinterlassen und hält sich deshalb strikt an die Vorgaben ihres Projektleiters. Da sie auf Kritik sehr sensibel reagiert und sich leicht verunsichern lässt, versucht sie mögliche Kritikpunkte schon zu antizipieren, bevor sie Bernd H. überhaupt erste Ergebnisse vorlegt.

Adrianes Wunsch nach Anerkennung und Wertschätzung führt nicht selten dazu, dass sie gerne „Everybodys Darling“ sein möchte. Sie will es dann allen recht machen. Deshalb fällt es ihr schwer, auch mal „Nein“ zu sagen, wenn sie von Kollegen um Unterstützung gebeten wird – selbst wenn sie längst „Land unter“ ist. Bernd H. ärgert sich, dass Adriane vor lauter Zusatzaufgaben im Projekt nicht mehr wirklich vorwärts kommt.

Philipp ist ein Leistungsträger, der Bernd H. zunächst keine Probleme verursacht. Das Streben nach Anerkennung – und der damit verbundene Perfektionismus – bietet für Philipp einen echten Treiber. Er will seine Aufgaben nicht nur gut machen, sondern besser. Eigentlich sogar am besten! Perfekt eben!

Auf der einen Seite profitiert Bernd H. als Projektleiter natürlich von den immer guten Ergebnissen, die Philipp erzielt – er ist ja auch bereit, alles dafür zu tun, was nötig ist. Auf der anderen Seite raubt dieses Gefühl des „niemals zufrieden sein“ seinem Mitarbeiter auch Kraft. Bei genauerem Hinsehen ist Philipp längst ein Burnout-Kandidat.

Foto: Andri Wyss auf Unsplash

Anerkennung als Teil der Motivation

Der amerikanische Psychologe Prof. Steven Reiss forschte seit Mitte der 90er Jahre über die Motive menschlichen Verhaltens – über das, was wir gemeinhin Motivation nennen. Durch viele tausend Befragungen fand er 16 Lebensmotive, die unser Verhalten bestimmen – darunter das Lebensmotiv „Anerkennung“.

Menschen mit einer hohen Ausprägung im Lebensmotiv „Anerkennung“ sind empfindlich gegenüber Kritik, Zurückweisung oder dem eigenen Versagen. Sie haben gewöhnlich wenig Selbstvertrauen. Ihr Selbstbild basiert auf dem Feedback anderer. Wenn sie gelobt werden und andere Menschen ihre Leistungen anerkennen, dann fühlen sie sich bestärkt und trauen sich auch etwas zu. Bleiben Lob und Anerkennung aus, fühlen sie sich unsicher – von wegen „Nicht geschimpft ist genug gelobt!“

Weil sie dazu neigen, Kritik persönlich zu nehmen, vermeiden sie Situationen, in denen sie schlecht bewertet werden könnten. Sie streben nach Perfektion. Personen mit einem stark ausgeprägten Bedürfnis nach Anerkennung fühlen sich gut, wenn andere hinter ihnen stehen und sie bestätigen.

Die Schwierigkeit motivorientierter Führung

Viele Künstler, Sportler oder Wissenschaftler, die man als Ikonen ihres Fachs bezeichnet, wurden von ihrem Streben nach „Anerkennung“ an die Spitze getrieben. Als Projektleiter schätzen wir den Ehrgeiz von solchen Mitarbeitern. Und selbstverständlich profitieren wir auch von deren Streben nach Perfektion. Adriane will Fehler und damit negative Kritik vermeiden. Philipp will seine Sache besonders gut machen. Was sie allerdings brauchen, ist einen Projektleiter, der rücksichtsvoll mit ihnen umgeht.

Wenn wir um die Schwierigkeit eines hohen Anerkennungsmotivs wissen, dann sprechen wir am besten gleich zu Beginn des Projekts mit den beiden Mitarbeitern über unsere konkreten Erwartungen. Ansonsten gilt: „Philipp, Adriane, das ist Eure Aufgabe. Ich bin mir sicher, dass Ihr das gut hinbekommen werdet. In meinen Augen seid Ihr genau die Richtigen für diese Aufgaben – schließlich kennt Ihr Euch in den Themen wirklich gut aus.“

Mitarbeiter mit einem stark ausgeprägten Anerkennungsmotiv kann man zusätzlich anspornen, wenn man Ihnen deutlich macht, dass es kein Zufall war, warum ausgerechnet sie eine wichtige Aufgabe erledigen sollen. Es bestärkt diese Mitarbeiter, wenn sie das Gefühl haben, dass ihr Projektleiter oder ihre Projektleiterin hinter ihnen steht. Sie selbst sind bei einer neuen Aufgabe oft eher zurückhaltend und würden sich niemals freiwillig melden, weil sie befürchten, sie könnten der Aufgabe nicht gewachsen sein.

Außerdem sollten wir bemüht sein, Adriane und Philipp nicht zu sehr zu kritisieren, weil sie dazu neigen, negatives Feedback persönlich zu nehmen. Es wird daher besser sein, wenn wir sie in solchen Situationen nach ihrer eigenen Einschätzung fragen. Mitarbeiter mit einem starken Streben nach Anerkennung haben in der Regel ein hohes Fehlerbewusstsein und sind sehr selbstkritisch – darauf lässt sich aufbauen!

Die fehlende Sensibilität

Nicht jeder Mensch braucht Anerkennung oder die Bestätigung von außen. Manche Menschen werden sogar sagen: „Weißt Du was!? – Ich sch***e auf die Meinung der anderen.“ Man kann also bei der Ausprägung im Lebensmotiv „Anerkennung“ in die eine, als auch in die andere Richtung tendieren.

Tatsächlich neigt auch Bernd H. dazu, sehr sparsam mit Lob umzugehen. Da Lob für ihn selbst keine zusätzliche Motivation darstellt, kann er sich gar nicht vorstellen, welche positiven Wirkungen Lob auf andere haben kann. In einem Seminar wird Bernd H. auf sein mitunter wenig anerkennendes Verhalten angesprochen. Der Seminarleiter fragt ihn, ob er eher ein Biertrinker oder ein Weinliebhaber ist. Bernd H. schaut ihn fragend an, gibt aber zu, dass er – ganz der Schwabe – ein gutes „Viertele“ jederzeit bevorzugen würde.

„Wenn Du Gäste erwartest“, fragt ihn der Seminarleiter. „Was hast Du dann im Keller? Bier oder Wein?“ „Normalerweise Wein“, gibt Bernd H. zu. Der Seminarleiter gibt zu bedenken, dass die Möglichkeit besteht, dass es unter seinen Gästen ja auch Biertrinker geben könnte. Nur leider: „Wer selbst keine Anerkennung braucht, der hat auch keine im Angebot für seine Mitarbeiter.“ – darüber lohnt es sich einmal nachzudenken.

Survival-Tipps

  • Vertraue Mitarbeitern mit einem hoch ausgeprägten Anerkennungsmotiv. Sie haben den Anspruch an sich selbst, ihre Aufgaben bestmöglich zu erledigen.
  • Lobe diese Mitarbeiter, aber nur, wenn Du es auch wirklich ernst meinst.
  • Ermutige diese Mitarbeiter, wenn Du den Eindruck hast, dass sie bei neuen bzw. schwierigen Aufgaben noch zögern und unsicher sind.
  • Achte auf Deine Worte, denn diese Mitarbeiter lassen sich bei negativer Kritik schnell entmutigen und verfallen in Selbstzweifel.
  • Wenn es Probleme gibt: Sporne diese Mitarbeiter an, es beim nächsten Mal besser zu machen, statt allzu direkt Kritik zu üben.
  • Schütze diese Mitarbeiter vor den Wünschen und Forderungen anderer, denn sie tun sich meist schwer, auch mal „Nein“ zu sagen.

Mario Neumann

Als Autor und Trainer begleite ich Dich durch die abenteuerliche Welt der Projekte. Dafür wurde ich schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationaler Deutscher Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle meine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.