Führung

Das sollte man beherrschen

Von am 20.11.2023

Gestern noch Mitarbeiter und Kollege, heute plötzlich Projektleiter: Die Dimension des Wechsels in die Projektleitung wird häufig unterschätzt. Neben den Fachaufgaben stehen nun gleichzeitig auch Organisations- und Führungsaufgaben an – und erfordern ganz andere Verhaltensweisen. Viele Projektleiter sind auf die neuen Rollen, die sie jetzt ausfüllen müssen, nicht ausreichend vorbereitet.

Karin R. ist eine exzellente Ingenieurin. In der Entwicklungsabteilung eines mittelständischen Anlagenbauers galt sie als exzellente Tüftlerin. Aufgrund ihrer guten Ideen übertrug man ihr die Aufgabe, zusammen mit einem kleinen Team eine neue Baureihe zu entwickeln. Die junge Ingenieurin war sachlich, ihre Sprache hochtechnisch und sie war es gewohnt, Probleme ohne Umschweife zu lösen. Hingegen gehörten Führung, Kommunikation und der Umgang mit zwischenmenschlichen Konflikten nicht zu ihren Stärken.

Da Karin R. fachlich äußerst versiert war, fielen diese Defizite nicht weiter auf. Als die Geschäftsleitung sie aber mit der Leitung eines Großprojekts betraute, verflog ihr Stolz über diesen Karriereschritt binnen weniger Wochen. Karin R. hatte das Gefühl, die Aufgaben würden von allen Seiten auf sie hereinbrechen: Arbeiten delegieren und priorisieren, Teams zusammenstellen, Konflikte bereinigen, Mitarbeiter beurteilen – alles Dinge, die sie nie gelernt hatte und in denen sie sich nie hatte beweisen können. Die junge Projektleiterin verdrängte einen Großteil dieser Aufgaben, tat sie als „Administrivialitäten“ ab.

Der Wechsel in die Projektleitung trifft manche Mitarbeiter/innen unvorbereitet. Unversehens sitzen junge Projektleiter/innen zwischen den Stühlen. In dieser Gemengelage gilt es, den Überblick zu gewinnen, sich zu positionieren und erfolgreich zu agieren. Das ist nur möglich, wenn es gelingt, das richtige Rollenverständnis zu entwickeln.

Die vier Rollen eines Projektleiters

Projektleiter/innen sollten sich selbst treu bleiben und gleichzeitig unterschiedliche Rollen beherrschen. Sie sollten in der Lage sein, sich je nach Situation umzustellen und die jeweils richtige Rolle einzunehmen. Nicht selten treten Projektprobleme dann auf, wenn die Rolle der Projektleitung unklar ist – sei es für die Projektleiter selbst oder für ihre Mitarbeiter.

Um Klarheit in der Rolle zu bekommen, hat es sich bewährt, zwischen vier Hauptrollen eines Projektleiters zu unterscheiden: der Rolle als Fachspezialist, als Manager oder Organisator, als Führungskraft auf Zeit und als Unternehmer. An jede dieser Rollen sind spezifische Erwartungen geknüpft – und je nach Persönlichkeit und Projektauftrag sind diese Rollen unterschiedlich stark ausgeprägt.

Um als Projektleiter/in korrekt zu handeln, hilft es, sich dieser unterschiedlichen Rollen bewusst zu sein. Überlegen Sie hierzu: Welche Aufgabe steht an? Und welche Rolle und welches Verhalten sind da gefragt?

Foto: Erich Westendarp auf Pixabay

Die Rolle als Fachspezialist/in

Viele Projektleiter/innen sind anerkannte Fachexperten. Sie verfügen über Fachkenntnisse, vermitteln Sicherheit und Routine und sorgen für Effizienz und Effektivität. Sie sind es gewohnt, die meisten Entscheidungen auf ihrem Gebiet selbst zu treffen. Ihre Mitarbeiter schätzen ihr Wissen und konsultieren sie. Weil sie der Klassenprimus unter den Kollegen waren, hat man sie zum Projektleiter bestimmt.

In der Rolle als Fachspezialist zeichnen sich Projektleiter/innen durch folgende Eigenschaften aus:

  • Sie beherrschen ihr Fachgebiet beinahe im Schlaf.
  • Sie sind in der Lage, sich mit fachlichen Fragen auseinanderzusetzen.
  • Sie werden von ihren Mitarbeitern als Experte respektiert und konsultiert.
  • Sie treffen die meisten fachlichen Entscheidungen selbst.
  • Sie erkennen schnell fachliche Defizite in ihrem Bereich.

Wie der Fall von Karin R. gezeigt hat, liegt die große Gefahr darin, von der Expertenrolle nicht loszukommen und die anderen drei Führungsrollen zu vernachlässigen. Zwar stellen fachlich versierte Projektleiter/innen die Fachkompetenz ihrer Projekte sicher, achten auch auf das fachliche Niveau der Mitarbeiter und garantieren so einen hohen Qualitätsstandard. Durch die Konzentration auf die Sachaufgaben verlieren sie jedoch leicht die übergeordneten Zusammenhänge aus dem Auge und es gelingt ihnen nicht, den Mitarbeitern den Sinn ihres Tuns zu vermitteln. Auch besteht die Gefahr, dass sie sich weiterhin als die beste Fachkraft des Teams begreifen und sich zu sehr mit operativen Aufgaben befassen. Die Folge: Die anderen Führungsrollen kommen zu kurz.

Die Rolle als Organisator/in

Andere Projektleiter/innen fallen auf, weil sie gute Manager sind. Ihre Stärke liegt im organisatorischen Geschick. Sie begeistern sich für eine gute Organisation, standardisierte Prozesse und routinierte Abläufe – sind aber auch in der Lage, Komplexität zu reduzieren und in den Griff zu bekommen. Sie lösen Probleme, sichern die Qualität, auch das Personal „managen“ sie.

In der Rolle als Organisator zeichnen sich Projektleiter/innen durch folgende Eigenschaften aus:

  • Sie planen und budgetieren.
  • Sie organisieren und managen das Projektteam.
  • Sie kontrollieren und bewerten die Projektarbeit.
  • Sie analysieren Probleme und lösen sie.

Doch auch hier besteht die Gefahr der Einseitigkeit, wenn die übrigen Rollen zu kurz kommen. Gute Organisator/innen leisten zwar Hervorragendes, wenn es darum geht, eine effiziente Organisation sicherzustellen. Das Problem ist jedoch: Hierbei haben sie das Tagesgeschäft im Blick, während sie unternehmerische Entscheidungen eher meiden.

Die Rolle als Führungskraft auf Zeit

In der Rolle als Führungskraft auf Zeit wird von Projektleiter/innen erwartet, dass sie ein Team führen und ihre Projektmitarbeiter begleiten. Zudem sollten sie in der Lage sein, die sich teils widersprechenden Interessen von Kunden, Vorgesetzten, involvierten Abteilungen und den eigenen Projektmitarbeitern zu managen. Die Rolle einer Führungskraft auf Zeit ist für junge Projektleiter/innen eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, die nicht nur Beobachtungsgabe und Urteilsvermögen abverlangt, sondern auch gute kommunikative Fähigkeiten.

In der Rolle als Führungskraft auf Zeit zeichnen sich Projektleiter/innen durch folgende Eigenschaften aus:

  • Sie begleiten die individuelle Entwicklung ihrer Projektmitarbeiter.
  • Sie fördern Motivation und Team-Spirit, damit ihr Projektteam zur Höchstform auflaufen kann.
  • Sie besetzen ihr Projektteam so, dass sich die Fähigkeiten der Mitarbeiter optimal ergänzen.
  • Sie erkennen Konflikte, aus den Probleme erwachsen können.
  • Sie können mit Widerständen von Mitarbeitern umgehen, die von den Auswirkungen des Projekts betroffen sind.

Wieder gilt es, die anderen Rollen nicht aus dem Auge zu verlieren. Projektleiter/innen vertreten in erster Linie die Unternehmensinteressen, daran lässt sich nicht rütteln.

Die Rolle als Unternehmer/in

Unternehmer/innen haben eine klare Vorstellung davon, wohin die Reise geht. Für ihr Team übernehmen sie die Funktion eines Visionärs. Sie geben nicht nur Orientierung, sondern scharen ihre Leute hinter sich und bringen sie dazu, ihnen zu folgen und auf das vorgegebene Ziel hinzuarbeiten. Markenzeichen von Unternehmer/innen sind Persönlichkeit und Ideen. Diese Projektleiter/innen suchen die Herausforderung, sind ehrgeizig und streben nach exzellenter Leistung. Sie wollen ihre Kolleg/innen führen und verstehen sich als Motor, um die Projektziele zu erreichen.

In der Rolle als Unternehmer/innen zeichnen sich Projektleiter/innen durch folgende Eigenschaften aus:

  • Sie kennen ihre Projektziele und können wichtige Stakeholder dafür gewinnen.
  • Sie geben ihren Projektmitarbeitern eine klare Orientierung.
  • Sie mobilisieren und inspirieren ihre Projektmitarbeiter.
  • Sie motivieren Projektmitarbeiter und binden sie in ihre Gedankenwelt ein.
  • Sie sorgen für Schwung im Projekt.

Die positiven Wirkungen von Unternehmer/innen – oft spricht man auch von „charismatischen“ Führungspersönlichkeiten – sind gut erforscht und unbestritten. Durch ihre Führungsweise erreichen sie, dass Projektmitarbeiter ihre Arbeit nicht nur als sachlich notwendig ansehen, sondern auch als bedeutungsvoll erleben. Diese emotionale Bindung steigert Kraft und Ausdauer. Die Projektmitarbeiter denken intensiver mit, engagieren sich stärker und sind auch eher bereit, Verantwortung zu übernehmen. Zudem verstehen es charismatische Projektleiter/innen, die Zuversicht in den Erfolg zu wecken und das Vertrauen der Mitarbeiter in die eigene Kompetenz zu stärken. All das wirkt sich leistungsfördernd aus.

Survival-Tipps

  • Spiele Deinen Mitarbeitern keine Persönlichkeit vor, die Du nicht bist – das macht Dich unglaubwürdig! Wenn Du das Vertrauen der Mitarbeiter gewinnen möchtest, solltest Du authentisch sein.
  • Als Führungskraft bist Du Vorbild. Bemühe Dich deshalb um ein mustergültiges Verhalten. Das macht Dich unangreifbarer, lässt den Respekt wachsen und verleiht Dir zusätzliche Autorität.
  • Über Verantwortung redet man nicht, man übernimmt sie. Lerne immer wieder aufs Neue, Verantwortung zu übernehmen und diesem Anspruch auch gerecht zu werden.
  • Delegiere Aufgaben und Verantwortung an Deine Mitarbeiter. Achte dabei auf die Stärken der Mitarbeiter – und befähige sie dazu, selbständig und verantwortlich zu arbeiten.
  • Spare nicht mit Lob und Anerkennung, wenn ein Mitarbeiter Engagement zeigt und ein gutes Ergebnis erzielt hat. Ein Lob an der richtigen Stelle motiviert und spornt an, sofern es ehrlich gemeint ist.

Mario Neumann

Als Autor und Trainer begleite ich Dich durch die abenteuerliche Welt der Projekte. Dafür wurde ich schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationaler Deutscher Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle meine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.