Achtung Gegenwind!
Tagelang sitzt Andrea H. an einem neuen Sicherheitskonzept für ihr Projekt und platzt fast vor Stolz, als es endlich fertig ist. Und es ist natürlich rundum gelungen – das findet zumindest Andrea H. Ihr Chef sieht das jedoch ganz anders. Immer wieder hat er etwas auszusetzen und kritisiert, wo er nur kann. Und Andrea H. macht genau das, was man in einer solchen Situation nicht machen sollte – sie geht in die Abwehrhaltung. Sie verteidigt sich und beginnt mit ihrem Chef zu diskutieren. Schnell gibt ein Wort das andere.
Im Grunde reißen sich die meisten von uns nicht darum, Kritik von anderen zu hören. Kaum jemand steckt negatives Feedback so einfach weg. Aber jeder Projektleiter spürt instinktiv, ob der Auftraggeber, Linienmanager oder Kunde damit einfach nur Dampf ablassen will. Oder ob die Kritik – so schmerzlich sie auch ist – im Kern berechtigt ist und zielführend gemeint ist. Trotzdem besteht die Gefahr, allzu leicht in die Defensive zu geraten.
Auch wenn destruktive Kritik praktisch immer auch eine persönliche Attacke ist, sollte man sie nicht persönlich nehmen. Das fällt schwer, tut weh und ärgert – das ist klar. Aber genau deshalb sollte man nicht noch Öl ins Feuer gießen.
Ob im Meeting unter Kollegen, in einer Präsentation vor Kunden oder in der Verhandlung mit Linienmanagern – Einwände und Kritik gehören zum Berufsbild eines Projektleiters. Warum aber sind Einwände und Kritik gerade im Projektumfeld so unangenehm? Das hat vor allem zwei Ursachen: Sie sorgen für Unsicherheit und gleichzeitig setzen sie den Projektleiter unter Druck.
Bringen die Beteiligten Einwände vor, stellt das nicht selten auch das Projekt in Frage. Es kommen Zweifel auf, ob man auf dem richtigen Weg ist, ob alles so läuft, wie man sich das vorgestellt hat und ob man als Projektleiter noch den nötigen Rückhalt genießt – insbesondere wenn es von allen Seiten Kritik hagelt. Wer derart unter Druck gerät, setzt sich schnell zur Wehr, was die Sache aber oft nur noch schlimmer macht.
Kritik wirklich ernst nehmen
Die erste spontane Reaktion auf eine kritische Äußerung gegenüber der eigenen Person oder der eigenen Arbeit ist in den meisten Fällen die Abwehrhaltung. Das jedoch wäre die denkbar schlechteste Idee. Wir sollten unbedingt darauf verzichten, uns selbst zu verteidigen oder uns in endlosen Diskussionen aufzureiben.
Besser wäre es, die Kritik wirklich ernst zu nehmen: Mal angenommen, unser Gegenüber hat wirklich Recht … Diese Annahme kann uns helfen, jede Kritik ernst zu nehmen und darüber nachzudenken, ob sie berechtigt ist und wie man das Problem aus der Welt schaffen könnte. Das gelingt aber nur, wenn wir unseren Kritikern aufmerksam zuhören. Wer sich in Abwehrhaltung bereits hinter seinem eigenen Standpunkt verschanzt hat, wird die Argumente und Sichtweisen des Kritikers kaum nachvollziehen können. Besser wäre es, den Gegenüber ausreden und seinen Standpunkt erläutern zu lassen. Allein das Gefühl, ernst genommen zu werden und an seiner Meinung interessiert zu sein, macht Kritiker empfänglicher für unsere Gegenargumente.
Immer einen Schritt voraus sein
In Projekten sollten wir eigentlich immer mit Einwänden rechnen, schließlich greifen wir mit unseren Projektideen nicht selten in bestehende Prozesse und Strukturen ein. Wenn wir auf diese Kritik nicht vorbereitet sind, können wir auf dem falschen Fuß erwischt werden. Die Folge: Wir sind überrascht und wissen nicht, wie wir darauf reagieren sollen. Oder wir lassen uns zu unüberlegten Aussagen verleiten, die wir später bitter bereuen.
Wenn wir kritisch mit uns selbst und unserer Arbeit sind, werden wir auch mit Kritik von Auftraggebern, Linienmanagern und Kunden deutlich besser umgehen können. Dazu müssen wir unsere Vorschläge, Lösungen und Vorgehensweisen immer wieder hinterfragen: Was daran könnte nicht funktionieren? Was ließe sich dagegen einwenden? Nur so sind wir unseren Kritikern immer einen Schritt voraus.
Nichts unbeantwortet lassen
Wenn wir während einer Diskussion mit unseren Vorschlägen auf Widerstand stoßen oder Einwände gegen unsere Vorgehensweise vorgebracht werden, sollten wir uns in jedem Fall Notizen dazu machen. Auf diese Weise können wir sicher gehen, dass wir später auf alle genannten Einwände eingehen und kein Argument unbeantwortet bleibt. Wir können uns natürlich auch schon Gegenargumente notieren, wenn uns spontan welche einfallen.
Kritik sollten wir aber nicht nur einfach hinnehmen und dokumentieren. Besser wäre es, die Kritik zu hinterfragen: Was genau ist das Problem? An welchen konkreten Beispielen macht er seine Kritik fest? Was können wir beim nächsten Mal besser machen? Wenn wir Antworten auf diese Fragen erhalten, wissen wir genau, worauf sich die Kritik stützt und wie wir diese Kritik entkräften können.
Nicht aus der Ruhe bringen lassen
Es heißt zwar, Angriff sei die beste Verteidigung. Aber diese Floskel taugt nur, um sich den eigenen Angriff als Verteidigungsmaßnahme schön zu reden. Viel besser wäre es, sich von der Kritik und den Einwänden des Gegenübers erst gar nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Auch, wenn unser Standpunkt angegriffen wird und wir vielleicht sogar persönlich angegriffen werden, sollten wir uns nicht auf das Niveau unseres Kontrahenten begeben. In einer beruflichen Diskussion haben persönliche Angriffe ohnehin nichts verloren. Ihr Gegenüber disqualifiziert sich letztlich nur selbst.
Aber: In Projekten richtet sich Kritik in dem meisten Fällen überhaupt nicht gegen uns persönlich, sondern sie bezieht sich vielmehr auf unsere Arbeitsergebnisse bzw. die „Nebenwirkungen“ unserer Projektarbeit. Sich klar vor Augen zu führen, dass Projekte Veränderung bedeuten – was zwangsläufig Ängste und Widerstände auslöst – kann uns helfen, die Dinge mit der nötigen emotionalen Distanz zu betrachten. Selbst wenn wir uns persönlich angegriffen fühlen, sollten wir die Kritik nicht einfach abtun, sondern versuchen, die Argumente der Gegenseite nachzuvollziehen.
Stets selbstbewusst auftreten
Selbstverständlich ist es nie angenehm, von Anderen kritisiert zu werden und die eigenen Fehler präsentiert zu bekommen. Trotzdem gibt es keinen Grund, nicht erhobenen Hauptes den eigenen Standpunkt zu vertreten. Natürlich gibt es unterschiedliche Meinungen, aber genau darin liegt ja die Chance eines konstruktiven Gesprächs. Trotzdem müssen wir durch ein selbstbewusstes Auftreten versuchen, unseren Gegenüber zu überzeugen. Auch in einer Diskussion mit unserem Chef oder anderen Linienmanagern brauchen wir uns nicht unnötig klein machen. Stattdessen sollten wir durch unser Selbstvertrauen zeigen, dass wir hinter unserem Standpunkt stehen – und zwar aus guten Gründen.
Survival-Tipps
- Nimm Kritik nicht persönlich, sondern versuche, die Argumente mit einer gewissen emotionalen Distanz nachzuvollziehen.
- Lass‘ Dir nicht alles gefallen. Fordere Deinen Gegenüber auf, sich an die Spielregeln zu halten, wenn sich der Kritiker im Ton vergriffen hat.
- Beende das Gespräch und führe es zu einem späteren Zeitpunkt fort, wenn die Gemüter allzu sehr erhitzt sind.
- Tappe nicht in die Rechtfertigungsfalle – das wäre fatal – schließlich will der Kritiker Dich genau dort haben. Drehe stattdessen den Spieß herum und fordere Deinen Gegenüber auf, erst einmal seinen Standpunkt zu belegen.
- Zeige durch Dein selbstbewusstes Auftreten, dass Du hinter Deinem Standpunkt stehst, und zwar aus nachvollziehbaren Gründen.
Mario Neumann
Als Autor und Trainer begleite ich Dich durch die abenteuerliche Welt der Projekte. Dafür wurde ich schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationaler Deutscher Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle meine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.