Kommunikation

Rechtzeitig Grenzen setzen

Von am 05.06.2023

Viele Menschen und damit auch viele Projektleiter neigen dazu, Ja statt Nein zu sagen. Die Folgen können verheerend sein: Wer in einem Projekt bei Anfragen und Änderungswünschen immer nur nachgibt, verzettelt sich, handelt fremdbestimmt und gefährdet letztlich die Projektziele. Im Umkehrschluss bedeutet das: Wer im Projekt erfolgreich sein will, muss auch Nein sagen können.

Dirk D. wurde für ein Rollout-Projekt eingekauft. Lange Laufzeit, guter Tagessatz – eigentlich ein tolles Projekt. Doch bereits nach einer Woche hadert der Projektleiter mit sich. Ihm dämmert, dass er sich auf zu viel eingelassen hat: Der Rollout sollte parallel auf mehreren Kontinenten stattfinden, zudem hatte er sich die Steuerung der lokalen Dienstleister aufs Auge drücken lassen… Wie soll das funktionieren? Doch bei dem Tagessatz, hätte er da  wirklich Nein sagen können?

Spötter behaupten, das wichtigste und zugleich am seltensten genutzte Wort im Leben eines Projektleiters sei das Wörtchen „Nein“. Klar, hin und wieder ist es wichtig, die Stakeholder im Projekt bei Laune zu halten. Aber irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem es nötig ist, eine Grenze zu ziehen – um sich selbst, aber auch das Projekt zu schützen. Wer zu häufig Ja sagt, gefährdet den Projekterfolg: Er lädt sich mehr Aufgaben auf, als er mit seinem Team im Rahmen des Projekts bewältigen kann.

Zu den wichtigen Fähigkeiten eines Projektleiters zählt es, in entscheidenden Momenten Nein sagen zu können. Lass Dich als Projektleiter nicht vor jeden Karren spannen!

Willkommen im Teufelskreis

Mitunter ist die Versuchung groß, einem Konflikt auszuweichen, indem man kurzerhand Ja sagt und hofft, das Thema würde sich damit erledigen. Hat man jedoch erst einmal den Ruf eines Ja-Sagers erworben, wird man ihn kaum mehr los. Dann wird es immer schwerer, klare Kante zu zeigen und einem Ansinnen eine ebenso klare Absage zu erteilen. Ein Teufelskreis kommt in Gang – und das Projektteam steht bald vor einem Aufgabenberg, den es nicht mehr abarbeiten kann.

Quelle: "Projekt-Kompass"

Die Angst ist der Gegner

In uns Menschen steckt noch immer der Urwunsch, von anderen gemocht zu werden. Für den Neandertaler war es überlebenswichtig, von seiner Herde akzeptiert zu werden. Und auch in uns steckt noch der Instinkt, die Gunst anderer Menschen zu brauchen wie die Luft zum Atmen.

Natürlich wissen wir mittlerweile, dass es hier nicht mehr ums Überleben geht. Dennoch existiert dieser limitierende Glaubenssatz noch heute, er hat sich bloß gewandelt: Die „moderne“ Version lautet nun, dass es wichtig ist, was andere über uns denken. Wir haben Angst vor den Konsequenzen, vor möglichen Konflikten – uns plagt ein schlechtes Gewissen. Wenn daher der eigene Chef oder andere wichtige Stakeholder eine Bitte äußern, ist der erste Reflex eine Zusage.

Viele Varianten, Nein zu sagen

Sicher, in der Theorie ist ein klares Nein einfacher als in der Praxis. Dennoch gibt es Verhaltensweisen, die es erleichtern, im richtigen Moment hart zu bleiben. Bewährt hat sich hier der Verweis auf äußere Umstände und Autoritäten: „Wir würden Ihnen wirklich gerne helfen, allerdings wissen Sie ja, dass die Deadline für die nächste Projektphase vor der Tür steht. Das hat für uns momentan Priorität.“

Oder Du entgegnest ganz einfach: „Jetzt ist kein guter Zeitpunkt.“ Probiere diese Antwort, wenn Du Anfragen erhältst und in Deinem Projekt bereits Land unter herrscht. So signalisierst Du grundsätzliche Hilfsbereitschaft, machst aber zugleich deutlich, dass Du und Dein Team jetzt einfach nicht die Zeit dazu haben.

Widerstehe dem Impuls, unbedacht Ja zu sagen. Bitte um Bedenkzeit, wenn Du nicht sicher bist, ob Du zustimmen willst: „Geben Sie mir etwas Bedenkzeit, ich melde mich dann bei Ihnen.“ Der Aufschub hilft Dir, Deine eigenen Prioritäten zu klären und gegebenenfalls das Nein vorzubereiten.

Inhaltliche Anfragen, bei denen Du als Experte konsultiert wirst, lassen sich häufig auch delegieren. Verweise einfach auf einen Kollegen, der sich in dem Gebiet ebenfalls auskennt: „Da ich gerade zeitlich sehr ausgelastet bin, könnten Sie vielleicht Herrn Mustermann um Hilfe bitten. Der kennt sich in dem Bereich sogar noch etwas besser aus als ich.“

Ein Nein lange zu erklären birgt das Risiko, sich in endlose Diskussionen zu verwickeln. Auch besteht die Gefahr, einen Eindruck der Schwäche zu hinterlassen – den Eindruck, sich entschuldigen oder rechtfertigen zu müssen. Trotzdem ist eine Absage mit einer kurzen Begründung einfach höflicher als ein nacktes Nein. „Ich würde es gerne tun, allerdings …“

Im Falle eines Kundenprojekts kann ein Gegenangebot manchmal eine gute Option sein. Du lehnst den Wunsch zwar ab, bietest aber gleichzeitig etwas anderes an. Lehnt der Kunde das Gegenangebot ab, bist Du in einer guten Position. Ein klares Nein fällt nun leicht – schließlich hast Du eine Lösung angeboten, die Dein Gegenüber abgelehnt hat.

Hartnäckigkeit mit Klartext kontern

Bedrängt Dich ein Zeitgenosse besonders hartnäckig, ist ein klares Wort angebracht. Sprich ihn auf sein offensichtliches Ansinnen direkt an: „Anscheinend möchten Sie mich mit allen Mitteln dazu bringen, dass ich diese Aufgabe für Sie übernehme? Es tut mir leid, aber das werde ich nicht tun.“

Survival-Tipps

  • Finde heraus, warum es Dir in bestimmten Situationen schwer fällt, Nein zu sagen. Die Diagnose ist entscheidend für die anschließende Therapie.
  • Setze Prioritäten. Nur wenn Du weißt, was Dir wichtig ist, kannst Du klare Kante zeigen. Weißt Du hingegen nicht, was Dir wichtig ist, lautet die Antwort oft viel zu schnell „Ja“.
  • Verschaffe Dir Bedenkzeit, wenn Du nicht sicher bist, ob Du eine Aufgabe übernehmen oder der Bitte um einen Gefallen folgen willst: „Lassen Sie mich darüber nachdenken …“
  • Durchschaue die Manipulationsversuche. Hilflosigkeit, Druck, Schmeicheleien oder Schuldgefühle lassen sich bewusst dazu einsetzen, um jemanden zu einem Ja zu bewegen.
  • Mache Dir klar, welchen Preis Du im konkreten Fall für das Ja bezahlst. Wenn die Konsequenzen auf dem Tisch liegen, fällt es oft wesentlich leichter, einen Wunsch abzulehnen.
  • Trainiere, auf charmante Weise Nein zu sagen. Bleibe dabei höflich, locker und selbstbewusst.

Mario Neumann

Als Autor und Trainer begleite ich Dich durch die abenteuerliche Welt der Projekte. Dafür wurde ich schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationaler Deutscher Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle meine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.