Agilität

Und das soll agil sein?

Von am 19.02.2024

In einer schnelllebigen Wirtschaftswelt mit hohem Konkurrenzdruck bieten agile Strukturen das Potential für eine bessere Reaktionsfähigkeit und nachhaltige Lösungen. Verständlich also, dass in immer mehr Unternehmen der Wunsch nach Agilität laut wird. Ein agiles Mindset kann helfen auf dem Weg der agilen Transformation. Allein der Begriff hilft jedoch nicht. Was kann man also tun, um ein agiles Mindset zu erlangen?

Fassungslos höre ich mir an, wie mir eine Führungskraft stolz über die agilen Errungenschaften in ihrem Unternehmen berichtet: »Die Geschäftsführung hat „Agilität“ bei uns im Unternehmen auf breiter Front eingeführt. Wir Teamleiter übernehmen seither zusätzlich die Funktion eines Product Owners. Okay, unsere „Dailies“ finden nicht täglich statt – uns reicht einmal pro Woche. Aber unsere Projektleiter arbeiten jetzt als Scrum Master. Das ist auch einfacher für uns Teamleiter. Früher gab es ständig Diskussionen, heute verteilen wir die Aufgaben im Projekt …« »Aha, und das soll jetzt agil sein?«, denke ich so bei mir.

In der Softwareentwicklung wirbt mittlerweile jedes Unternehmen mit dem Schlagwort „Agilität“ und ich muss leider immer noch feststellen, dass es nur ganz wenige gibt, die wirklich verstanden haben, um was es hier wirklich geht und auch die entsprechenden Veränderungen im Unternehmen vorgenommen haben. Gerade in größeren Unternehmen wird allzu oft versucht, herkömmliche Vorgehensweisen in den Deckmantel der Agilität zu packen. Agilität ist nicht damit getan, dass man einen Tischkicker aufbaut, After Work Parties veranstaltet und sich hin- und wieder zu „Dailies“ trifft. Aber wie etabliert man in einem Unternehmen neue Ideen und Vorgehensweisen? Der pragmatische Ansatz des „Irgendwie“ endet leider genau wie oben beschrieben. Man ist agil – irgendwie.

Eine agile Transformation umfasst weit mehr als die Implementierung von einigen Tools und Methoden. Sie erfordert ein Umdenken auf allen Ebenen des Unternehmens. Weil das oft fehlt, bleiben agile Veränderungen meist schon im Ansatz stecken.

Ist ein agiles Mindset sinnvoll?

»Wir werden jetzt agil.«  – Ein frommer Wunsch. Er mag zwar gut gemeint sein. Er reicht aber nicht aus, die Vorteile einer agilen Arbeitsweise für das gesamte Unternehmen wirksam werden zu lassen. Ich will auch gar nicht behaupten, ich wüsste es besser, oder wüsste wie man einen Konzern in dieser Hinsicht umstrukturiert. Eine erfolgreiche agile Transformation erfordert allerdings mehr als nur gute Vorsätze. Es geht darum, die Strukturen, Arbeitsweisen und Kultur eines Unternehmens zu verändern, um besser auf aktuelle und zukünftige Herausforderungen reagieren zu können. Unternehmen, die dies schaffen, sind nachweislich schneller in der Marktanpassung, bieten Produkte und Dienstleistungen mit einem höheren Kundennutzen an, verbessern die Zusammenarbeit und schaffen ein motivierendes Arbeitsumfeld.

Mit der Implementierung von ein paar agilen Methoden und Tools ist es da nicht getan. Es erfordert ein Umdenken auf allen Ebenen der Organisation, vom Management bis zu den Teams und Mitarbeitenden. Nur wer traditionelle, hierarchische und starre Unternehmensstrukturen überwindet und durch flexible und kollaborative Strukturen ersetzt, wird langfristig erfolgreich sein. Da taucht schnell der Begriff des „richtigen Mindsets“ auf, um eine Abgrenzung zu erreichen. Eine Abgrenzung zwischen denjenigen, die „es wirklich geblickt haben“ und denen, die mit der Agilität eine neue „Sau durchs Dorf treiben“, ohne recht zu wissen, was es eigentlich bedeutet.

Foto: Tippapatt auf istockphoto

Falsche Einstellung zu Veränderungen

Wenn ein Unternehmen beschließt, agil zu arbeiten, sollte es dafür auch einen sinnvollen Grund geben. Agilität darf nicht als Selbstzweck betrachtet werden, sondern sollte durch klare Zielsetzungen motiviert sein. Wenn Führungskräfte ohne klaren Grund entscheiden, mit Scrum zu arbeiten, wird keine intrinsische Motivation entstehen und kein agiles Mindset entwickelt werden – weder bei den Mitarbeitern noch bei den Führungskräften. Agilität ist keine Patentlösung für alles, die spezifische Unternehmensumgebung und die Zielsetzung müssen passen.

Wo agile Prozesse in Unternehmen nicht einfach angeordnet, sondern mit Hilfe einer professionellen Moderation zusammen mit den Mitarbeitern entwickelt werden, lassen sich erstaunliche Veränderungen beobachten. So berichten Führungskräfte von gestärktem Vertrauen in den agilen Ansatz sowie in die Kompetenzen des Projektteams. Mitarbeiter in agilen Strukturen schätzen die erhöhte Handlungsfreiheit und Eigenverantwortlichkeit, die es ermöglicht, neue innovative Produkte zu entwickeln.

Mangelnde Unterstützung von Führungskräften

Führungskräfte versäumen es oft, agilen Teams die Werkzeuge, die Technologie, das Budget und andere wichtige Ressourcen zur Verfügung zu stellen, die sie für ihren Erfolg benötigen. Weil nichts wirklich vorwärts geht, werden konventionelle Richtlinien und Prozesse mit einem oberflächlichen agilen Anstrich versehen. So werden beispielsweise klassische Projektphasen kurzerhand zu „Sprints“ deklariert, Team-Meetings als Stand-up-Meetings bezeichnet und stinknormale Tabellen heißen plötzlich „Boards“.

Wenn Führungskräfte nicht hinter dem agilen Ansatz stehen und keine Ressourcen oder Unterstützung bereitstellen, erschwert dies die Umsetzung von agilen Strukturen und Herangehensweisen. Die Schlüsselbotschaft lautet: Agiles Projektmanagement ist nicht einfach nur ein konventionelles Projektmanagement mit agilem Flair. Es ist eine völlig andere Art, dem Kunden einen Mehrwert zu bieten und seine Ziele zu erreichen.

Die Angst vor Kontrollverlust

Agilität ist keine Technik, die sich durch Befehl von oben einführen lässt. Im Gegenteil: Die Vorgesetzten müssen zurückstecken. Denn Agilität als unternehmerisches Prinzip legt das Vertrauen in die Mitarbeiter und ihre Fähigkeiten, um die gewünschte Schlagkraft und Schnelligkeit zu etablieren. Entscheidungen fallen weniger dort, wo sich die hierarchische Macht konzentriert, sondern dort, wo das fachliche Know-how liegt.

Wer Agilität will, muss Kontrollverlust ertragen. Sie braucht flache Hierarchien, die sich durch Transparenz und eine offene Fehlerkultur auszeichnen. Nur dann ist es möglich, Lösungen zügig zu entwickeln und im Sinne der Kunden kontinuierlich zu optimieren. Agile Prozesse werden durch interdisziplinäre Teams in Gang gesetzt, vorangetrieben und zum Abschluss gebracht. Chefs werden weniger wichtig. Dieser Ansatz setzt dem Selbstverständnis vieler Führungskräfte zu. Ihre Aufgabe sehen sie ja darin, zu prüfen, ob ihre Mitarbeiter ihre Aufgaben auch ordentlich erledigen. Und vor allem darin, letztlich die Entscheidungen zu treffen.

Starre Organisationsstrukturen

Wenn die Organisation starre Hierarchien und Prozesse hat, kann dies die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit eines agilen Teams gewaltig einschränken. Häufig wird Agilität zwar für einzelne Projektteams gefordert, jedoch nicht auf alle Unternehmensstrukturen übertragen. So ist oft schon in der ersten Management-Ebene von Agilität nichts mehr zu spüren. Wer Unternehmen agil umgestalten will, braucht deshalb die Bereitschaft, weitreichende Konsequenzen für alle Unternehmensbereiche zu ziehen.

Fazit

Grundsätzlich ist es auch sinnvoll, dass Agilität zunehmend in den Fokus rückt. Da Projekte in einer immer komplexer werdenden und sich stetig verändernden Welt umgesetzt werden, ist Agilität nicht nur hilfreich, sondern meist das erforderliche Mittel, um erfolgreich zu sein. Dies gilt umso mehr, je größer die Projekte werden.

Es ist wichtig zu erkennen, dass Agilität mehr als nur die Anwendung bestimmter Techniken oder Tools ist – es geht vielmehr um eine Veränderung der Denkweise und Kultur in einer Organisation. Pseudo-Agilität kann zu Enttäuschungen führen und den eigentlichen Nutzen agiler Methoden zunichtemachen. Daher ist es wichtig, echte Agilität zu fördern und sicherzustellen, dass die zugrunde liegenden Prinzipien und Werte verstanden und gelebt werden.

Survival-Tipps

  • Bedenke, dass Agilität mehr ist als ein Prozess oder eine Arbeitsmethode. Vielmehr muss sie als ein Mindset verstanden werden, das die Haltung aller Beteiligten im Unternehmen prägt.
  • Direkte Führungskräfte behindern oft agile Fortschritte. Das Problem kannst Du nur beheben, wenn Du klar und deutlich erklärst, was agil ist und welche Art von Unterstützung Du brauchst.
  • Werde nicht müde, Führungskräfte und Mitarbeiter über die Grundprinzipien der Agilität zu informieren, um ein besseres Verständnis für die Umsetzung agiler Methoden zu entwickeln.
  • Achte darauf, dass die agilen Prozesse in Deinem Umfeld mit den Unternehmenszielen und -werten in Einklang stehen.
  • Verhandele mit Führungskräften, dass Dein agiles Team über die notwendigen Ressourcen wie Technologie, Budgets und Werkzeuge verfügt.
  • Überprüfe Deine agilen Prozesse, um sicherzustellen, dass die Agilität nicht oberflächlich bleibt, sondern tatsächlich einen Mehrwert für das Unternehmen schafft.

Mario Neumann

Als Autor und Trainer begleite ich Dich durch die abenteuerliche Welt der Projekte. Dafür wurde ich schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationaler Deutscher Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle meine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf  marioneumann.com.