Agilität

Nachgefragt – bei Wolfram Müller

Von am 21.04.2023

Ich stelle Menschen gerne Fragen, weil mich ihre Arbeit, ihre Strategien, ihre Standpunkte oder ihre Thesen interessieren. Für meine Kolumne NACHGEFRAGT habe ich das Gespräch mit Wolfram Müller gesucht. Er ist überzeugt, dass Agile mehr ist als Methodenreiten und es durchaus Punkte gibt, die Entscheider und Führungskräfte berücksichtigen können, um geeignete agile Methoden und Berater zu prüfen. Ich habe bei Wolfram Müller nachgefragt, wie Unternehmen es vermeiden können, auf dem Weg zu mehr Agilität Schiffbruch zu erleiden.

Mario: Projektmanager sehen sich immer öfter dem gleichen Ruf ausgesetzt: „Wir müssen agiler werden!“ Mal kommen die Forderungen von „oben“, verbunden mit dem Druck, schneller, flexibler oder effizienter (ab)liefern zu können. Mal ist es die Basis, die nach neuen, agileren Arbeitsweisen verlangt. Im besten oder schlimmsten Fall gehen damit konkrete Forderungen nach DER einen agilen Methode einher: Lass uns SAFe/LeSS/Scrum/… machen! Was tun, wenn Berater uns in solch einem Moment das Blaue vom Himmel versprechen?

Wolfram Müller: Wer sich mit Projektmanagement beschäftigt und die Fühler nach agilen Methoden ausstreckt, kann ein Lied davon singen. „Das ist DIE Methode! Damit funktioniert alles – einfach, schnell, agil!“, „Doppelter Output in der halben Zeit!“ Schier erschlagend! Unternehmen oder Führungskräfte können leider oft weder abschätzen, ob DIE eine Methode auch wirklich die bestmögliche für das Vorhaben ist, noch, ob die Versprechen der Berater realistisch sind.

Mario: Was also tun? Einfach probieren? Viel Mühe, Geld und Zeit investieren, um letztlich womöglich Schiffbruch zu erleiden? Die eigene Karriere und Vision aufs Spiel setzen?

Wolfram Müller: Auf werblicher Ebene und Kundenfang läuft leider vieles nach dem Prinzip „schneller – höher – weiter“. Und wer am lautesten schreit, hat … oftmals eben nicht Recht. Fakt ist: Führungskräften, die ihre Organisationen agilisieren wollen oder müssen, bläst jede Menge heiße (Berater-)Luft entgegen. Umso unangenehmer für diejenigen, die sich guten Gewissens ködern lassen und letztlich tatsächlich Schiffbruch erleiden. Davon nimmt neben der eigenen Karriere mindestens ein Team oder eine Abteilung, oft sogar eine gesamte Organisation Schaden. Führungskräfte und Entscheidungsträger sind verunsichert, alles beim Alten belassen oder dem nachrennen, was alle machen. Beides kann nicht die Lösung sein!

Bild: Wolfram Müller

Mario: Die unbequeme Wahrheit ist: Schwarze Schafe gibt es in jeder Branche. Nach dem Credo „Darum prüfe, wer sich agil bindet“ empfiehlst du, Berater und ihre Methodik auf Herz und Nieren zu prüfen. Wie geht des konkret?

Wolfram Müller:  Die meisten Agilisten und Manager reden über konkrete Methoden oder Frameworks. Natürlich mit dem Anspruch, dass es genau diese eine Maßnahme ist, die am besten wirkt. Grundsätzlich ist es auch gar nicht verkehrt, über Methoden und Frameworks zu sprechen. Leider fehlt selbst den vermeintlichen Experten allzu oft die Erkenntnis, welche Effekte sie mit dem blinden Einsatz solcher Dinge erzeugen. Woran es mangelt, ist das Verständnis der zugrundeliegenden Gesetze, die das Wirken von Agile und Flow definieren. Wer diese nicht versteht, wird immer wieder überrascht sein, was passiert, wenn man Methoden anwendet! Das gilt für die Agile-Experten selbst ebenso wie für Führungskräfte, die eine Organisation agil machen wollen. Was beide unterscheidet: Die Führungskraft läuft sozusagen von einer Problemwelt in die nächste, während der „Experte“ im schlimmsten Fall mit gefüllter Berater-Brieftasche das sinkende Schiff verlässt. Berater, die mehr als heiße Luft können, gehen gerne die Challenge ein. Zumindest sollten sie, und zwar bevor es ans Eingemachte, also das Projektteam und/oder die ganze Organisation geht, folgende drei Fragen beantworten: Führt die Methode dazu, dass alle Mitarbeiter freie Kapazitäten haben? Führt sie dazu, dass jeder Mitarbeiter zu jeder Zeit weiß, welche Initiative beeinträchtigt ist und darf dieser helfen? Führt die Methode dazu, dass tagesaktuell Verbesserungen angegangen werden?

Mario: Kannst du das für uns bitte noch etwas genauer erläutern?

Wolfram Müller: Natürlich, sehr gerne! Grundsätzlich ist Agile weit mehr als das blinde oder sture Anwenden einer Methode beziehungsweise eines Frameworks. Und Wirkung kann sich nur dann entfalten, wenn das Ganze a) zu den Bedürfnissen der Organisation passt und b) alle Beteiligten bejahend an einem Strang ziehen. Wobei wir wieder beim Ursprungsproblem wären: Wie kann ich als Entscheidungsträger bewerten, welche Methode zu meiner Organisation passt? Wie erkenne ich den Anteil der „heißen Luft“? Ja, das Feld agiler Methoden ist ebenso umfangreich wie komplex, dennoch gibt es ein paar grundsätzliche Überlegungen, die helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Oder zumindest leere Versprechungen zu entlarven. Wenn das Ziel lautet (Anmerkung: und so lautet es im Regelfall), mehr Output mit bestehenden Ressourcen zu erzeugen oder schneller, pünktlicher, qualitativ besser zu werden, dann muss jede Lösung, die ein Berater vorschlägt, folgende drei Punkte erfüllen, damit sie wirksam ist:

  1. Die Methode muss sicherstellen, dass die Organisation (zumindest planerisch) in Unterlast gefahren wird – und zwar nicht nur im Mittel, sondern mit allen Ressourcen und allen voran im Engpass.
  2. Die Methode muss helfen, operativ Entscheidungen zu treffen, die sowohl dem Einzelnen als auch dem gesamten Unternehmen zugutekommen. Dazu braucht es ein klares und sinnvolles Signal, das aus den laufenden Projekten, Epics und Stories stammt und die Dringlichkeit des Fortschritts sowie des Pufferverbrauchs zeigt. Es sollte unabhängig von individuellen Personen und für alle täglich verfügbar sein.
  3. Das Signal muss verwendet werden, um systematische team- und abteilungsübergreifende Prozess-/Technologiefehler identifizieren zu können, um diese tagesaktuell zu beseitigen und dauerhaft den mittleren Aufwand (vor allem im Engpass) zu verringern – nur so steigt letztendlich der Output.

Für Führungskräfte ist es grundlegend, einordnen zu können, wann eine Methode überhaupt anwendbar ist oder ob sie das gewünschte Ergebnis liefern kann. Agieren wir unsicher und desorientiert, steuert das System uns und nicht umgekehrt. Der gefürchtete Schiffbruch ist dann die logische Folge. Ein vermeidbares Szenario. Für jeden persönlich und die Organisation als Ganzes. Deshalb: Augen auf – bei der Methoden- UND Beraterwahl!

Mario: Lieber Wolfram, herzlichen Dank, dass ich bei Dir nachfragen durfte.

Zur Person

Wolfram Müller ist Experte für agiles Multiprojektmanagement sowie Gründer von BlueDolphin. Seine Passion: selbstorganisierte Veränderungen und Engpassmanagement. Sein Ziel beim Kunden: deutlich mehr Projekte mit gleichen Ressourcen sowie eine Verkürzung der Projektlaufzeiten innerhalb weniger Wochen. Über 40 Unternehmen, vom Start-up über den Mittelständler bis hin zu Konzernen, in allen Branchen haben bisher davon profitiert.