Nachgefragt – bei Petra Motte
Ich stelle Menschen gerne Fragen, weil mich ihre Arbeit, ihre Strategien, ihre Standpunkte oder ihre Thesen interessieren. Für meine Kolumne NACHGEFRAGT habe ich das Gespräch mit Petra Motte gesucht. Sie weiß um die Problematik, dass Projektleiter ein neues Projekt mit neuen Leuten oft rein virtuell starten müssen. Ich habe bei Petra Motte nachgefragt, wie man bei einem solchen Projekt-Kick-off im virtuellen Miteinander sofort ein starkes Wir-Gefühl erzeugen kann.
Mario: In vielen Projektteams ist und bleibt die virtuelle Verbindung die einzig mögliche Form der Kommunikation. Virtuelle Kompetenz ist der Schlüssel, um dieses Miteinander so positiv und empathisch wie möglich zu gestalten, um die Effizienz der Teams und die damit verbundenen Projekt(teil)ergebnisse zu begünstigen. Stellt sich nur die Frage: Wie schaffen es Projektleiter, diese virtuellen Begegnungen möglichst spannend zu moderieren und kreativ zu gestalten?
Petra Motte: Für mich bedeutet virtuelle Kompetenz zunächst einmal die grundlegende Fähigkeit, in einem digitalen Arbeitsraum mit seinem Gegenüber in einer Qualität zu kommunizieren, die einer persönlichen Begegnung nahekommt. Jemand, der zur richtigen Zeit die richtigen Knöpfe drücken kann, hat zumindest einen Teil der virtuellen Kompetenz gut gemeistert. Ein wesentlich wichtigerer Teil besteht allerdings darin, mit jeder auf dem Bildschirm zweidimensional abgebildeten Person so zu kommunizieren, als säße man sich tatsächlich gegenüber. Virtuelle Kompetenz ist also eine neue Form der Empathie. Dafür müssen wir uns auf ein kleines Feld auf unserem Bildschirm einlassen, um dort Menschen möglichst so in allen Facetten lesen zu können, als würde man sich in einem realen Gespräch befinden.
Anderes Beispiel: Du steckst in einer harten Verhandlung, weil Du mit Deinem Kunden Leistungen nachverhandeln musst. Dein neuer Verhandlungspartner aus dem Einkauf entpuppt sich im Videochat als „schwierig“: Er setzt Dich unter Druck, unterbricht ständig und spricht Dir durch Formulierungen wie „Wie lange sind Sie eigentlich schon Projektleiter?“ unterschwellig die Kompetenz ab. In der entscheidenden Phase der Verhandlung konfrontiert er Dich plötzlich mit Gegenforderungen. Die Zahlen, die er dabei nennt, sind vermutlich „fingiert“.
Mario: Dabei ist es für viele Projektmitarbeiter immer noch eine Überwindung, überhaupt die Kamera einzuschalten!
Petra Motte: Absolut richtig, dabei wäre das schon einmal der erste wichtige Punkt! Für den Projektleiter geben Reaktionen im Gesichtsfeld der Anwesenden wichtige Hinweise darauf, ob den Inhalten Folge geleistet werden kann, das Sprechtempo angemessen erscheint oder ungeklärte Fragen noch beantwortet werden sollten. Grundsätzlich ist „auf das Unvorhersehbare vorbereitet sein“ eine grundlegende Haltung, die viel Gelassenheit in den virtuellen Raum bringt – und notwendig ist, um einer neuen Form der Kreativität freien Lauf zu lassen. Auch der Einsatz der Körpersprache wird im virtuellen Raum häufig unterschätzt. Dabei ist es gerade die Beobachtung der Gestik und Mimik, die Menschen miteinander verbindet. Über die Spiegelneuronen stellen wir uns auf das Gegenüber ein und richten unsere Reaktionen dementsprechend aus. Jemandem, der mürrisch und schlecht gelaunt am Bildschirm erscheint, können wir selbst nur schwerlich die beste Laune entgegenbringen. Hingegen werden wir eine gewisse Leichtigkeit empfinden, sobald die Gesprächspartner im virtuellen Raum gut gelaunt und motivierend in die Begegnung einsteigen. Man lässt sich selbst dann gerne davon einladen und kommt schnell in eine entsprechende Motivationslage.
Mario: Und das alles ist auch virtuell möglich?
Petra Motte: Ja, niemand wundert sich heute mehr darüber, dass es „das Unternehmen“ (mit seinen früher bekannten Büros in einem Gebäude) oft gar nicht mehr gibt, sondern lediglich im digitalen Raum etwas passiert, das man „Arbeiten“ nennt. Mittlerweile gehört die virtuelle Teamarbeit auch im Projektalltag zur Normalität. Dabei bedarf es dennoch jeden Tag aufs Neue ein hohes Maß an Selbstdisziplin. Zum einen, um trotz flexibler Arbeitszeiten und selbst gestalteter Zeitfenster aus dem Remote-Bereich heraus an einem digitalen Miteinander teilzunehmen. Und zum anderen dabei auch noch einen Teamgedanken zu spüren, als säße man mit eben diesen Kolleginnen oder Kollegen in einem real existierenden Raum.
Mario: Haben Sie konkrete Tipps für uns bzw. ein starkes Wir-Gefühl?
Petra Motte: Als besonders wirksam und sehr motivierend haben sich einige Ideen etabliert, die sich sehr einfach an verschiedene Rahmenbedingungen und Ausgangssituationen anpassen lassen. Ist ein Projektteam über mehrere Standorte verteilt, gibt es ein tolles Wir-Gefühl, wenn beim Projekt-Kick-off jeder im virtuellen Raum etwas Typisches aus dem Ort/der Region/dem Land mitbringt, via Kamera zeigt und etwas dazu erklärt. Dabei kann es sich um etwas Essbares handeln, eine Pflanze, ein persönliches Foto oder einen anderen Gegenstand. Dies kann durchaus für humorvolle Momente sorgen, da jeder bei der Aufgabenstellung eine andere Vorstellung hat. Umso spannender sind diese oft sehr persönlichen Erlebnisse und individuellen Einblicke. Alternativ kann der Projektleiter/die Projektleiterin beim ersten Meeting etwas aus der eigenen Heimat mitbringen oder einen besonderen Gegenstand, der zum Thema passt. Etwas Haptisches, etwas Handfestes, etwas Analoges, so dass sich die Anwesenden wieder etwas mehr mit der Realität verbunden fühlen. Bei jedem Meeting präsentiert nun ein anderes Teammitglied etwas Besonderes. Aufhänger für sehr schöne Team-Effekte im virtuellen Raum sind beispielsweise regionale Feiertage. Eine Person aus dieser Region kann kurz dazu referieren, während sich der Rest des Projektteams in einer passenden Farbe kleidet, oder sich etwas Individuelles zum Thema einfallen lässt. Besonders im internationalen Kontext reagieren Kolleginnen und Kollegen oft sehr erstaunt, weil es doch so viele wunderbare Ereignisse gibt, von denen wir im eigenen Umfeld nur sehr wenig mitbekommen. Neben den Effekten für ein positives virtuelles Miteinander, lernt man zusätzlich etwas über landestypische Gepflogenheiten und geht gleich mehrfach bereichert aus solch einer Begegnung heraus.
Mario: Wir haben inzwischen gelernt, dass in virtuellen Meetings regelmäßige Pausen sehr wichtig sind. Sollte dabei wirklich der Aus-Knopf gedrückt werden, oder haben Sie dafür ebenfalls eine kreative Idee?
Petra Motte: Es stimmt schon, im virtuellen Umfeld reihen sich Kalendereinträge, Besprechungen, Meetings oder Schulungen oft wie in einer Filmrolle aneinander. Pausen werden nur selten ausreichend berücksichtigt. Die Suche nach vielen kleinen Bewegungs- und Dehnungsfugen ist und wird also immer wichtiger. Es spricht absolut nichts dagegen, gemeinsam regelmäßig kurze Übungen und aktive Sequenzen einzubauen. Dabei reicht es schon, zusammen bewusst den Kopf zu kreisen, die Schultern lang nach hinten zu ziehen oder mit den Augen nach und nach die Ecken des Bildschirms zu erfassen. Eine kurze Ansage dazu von einer Person aus dem Teilnehmerkreis, und die spontane Übung bei eingeschalteter Kamera wird zu einem sehr humorvollen Aspekt in den sonst oft von ernsten fachlichen Themen geprägten virtuellen Projektmeetings. Eine sehr einfache Möglichkeit des virtuell wertschätzenden Miteinanders ist es, bei einer längeren Mittagspause nicht einfach auf den Aus-Knopf zu drücken, sondern diese Pause bewusst zusammen zu verbringen. Verzehrt man zu Mittag vielleicht virtuell getrennt, aber doch gemeinsam etwas Rotes/Gelbes/Grünes (natürlich nach vorheriger Ankündigung) geht der Austausch mit vielen Informationen zu lokalen Produkten einher und führt zu einem intensiven Wahrnehmen der Zusammenarbeit als feste Gruppe, angereichert durch persönliche Anekdoten und Situationen. Natürlich bietet es sich in längeren Pausen an, Bild und Ton auch einmal ganz bewusst abzuschalten. Um weiterhin mit der Gruppe in Verbindung zu bleiben, eignen sich kleine Aufgaben, über die in der Pausenzeit nachgedacht wird: „Wenn unser Projekt ein Fahrzeug wäre, wie würde es aussehen?“, oder „Mit welchem Werkzeug lässt sich unsere Arbeit am ehesten beschreiben?“. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Bei der Überlegung der Fragestellung ist nur wichtig, dass das Thema zu der Zielgruppe passt. Ansonsten fühlt sich die Gruppe nicht ernst genommen und reagiert mitunter verspannt – wodurch eher der gegenteilige Effekt erreicht wird. Für die Erzeugung intensiver Momente für die Mitarbeitenden sind natürlich besonders die Projektleitungen angesprochen. Ist ein besonderer Projekt-Meilenstein erreicht, kann das Unternehmen beispielsweise kleine Goodie-Bags nach Hause oder an den jeweiligen Arbeitsort schicken (über spezielle Anbieter liefern lassen), das dann zeitgleich geöffnet wird. Derartige Aktionen sind zwar mit Kosten verbunden, führen auf lange Sicht jedoch zu unbezahlbaren Effekten. Vor allem, weil der ideelle (Mehr-)Wert solcher Maßnahmen weitaus größer ist als der finanzielle Aufwand.
Mario: Liebe Petra, herzlichen Dank, dass ich bei Ihnen nachfragen durfte.
Zur Person
Petra Motte arbeitet seit vielen Jahren als Trainerin, Beraterin, Coach und Mediatorin. In Südostasien sammelte sie über 10 Jahre lang internationale Erfahrungen, die sie inzwischen auf Konzern- und Unternehmensebene einbringt. Prozessoptimierung, ganzheitliches Change-Management, virtuelle Entwicklung oder interkulturelle Fragen – die große Leidenschaft von Petra Motte sind immer die Menschen, die hinter den Zahlen stecken.