Kriterien der Rangfolge im Team
In Teams und produktiven sozialen Systemen gibt es im wesentlichen neun Ordnungen, die sich überlagern und zusammenwirken. Dabei ist jedes Ordnungskriterium für sich gar kein Problem. Probleme entstehen erst dadurch, dass es mehrere Ordnungen gibt, die Gültigkeit beanspruchen. Missgunst, Rangelei und Statuskämpfe entstehen immer dann, wenn für jemanden die Ordnung nach dem einen Kriterium einen Vorrang bedeutet, die Ordnung nach dem anderen Kriterium aber einen Nachrang.
1. Hierarchische Ordnung
Sie wirkt gemäß der Hierarchie der Aufgabenbereiche, für die die Einzelnen eingeteilt und verantwortlich sind. Wer arbeitet in wessen Bereich? Der Leiter des größeren, übergeordneten Bereichs rangiert in der Position vor dem Leiter des kleineren, untergeordneten Bereichs. Die leitende Arbeit rangiert vor der ausführenden Arbeit.
2. Ordnung gemäß dem Dienstalter (Anciennität)
Sie gibt unter Teammitgliedern demjenigen einen Vorrang, der schon länger Mitglied des Teams ist. Die früheren haben den späteren Teammitgliedern den Platz geschaffen, den Einstieg und die Mitgliedschaft ermöglicht. Die früheren Mitglieder haben in der informellen Organisation das stärkere Beziehungsnetz. Dies wird wahrgenommen, gehört gewürdigt und kommt in der Rangfolge zum Ausdruck.
3. Ordnung gemäß dem Lebensalter
Die Älteren haben Vorrang vor den Jüngeren, denn die Älteren haben es den Jüngeren ermöglicht, zu wachsen und aufzuwachsen. „Alter geht vor Schönheit“, heißt es. Wissen und Erfahrung entstehen mit der Zeit und häufen sich mit dem Älterwerden. Die Jüngeren haben die Kultur und die Strukturen von den Älteren übernommen.


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4. Ordnung gemäß der Kompetenz
Sie gibt bei der sachlichen und fachlichen Arbeit demjenigen das größere Gewicht, der jeweils die größere Kompetenz hat. Diese Ordnung wirkt darauf hin, dass jeder entsprechend seinen Fähigkeiten mitgestalten kann. Auch der Chef dient einem Mitarbeiter, der eine spezielle Kompetenz
hat, und arbeitet ihm in der Sache zu, selbst wenn er in der Verantwortungshierarchie einen höheren Rang einnimmt.
5. Ordnung gemäß dem Einsatz
Wer sich mehr einbringt, wer mehr beiträgt, mehr Zeit, mehr Energie, mehr Wissen, mehr Können oder mehr Kreativität einsetzt, hat Vorrang vor dem, der weniger investiert. Einsatz muss sich für jeden lohnen und sich auch im Rang widerspiegeln – ein ganz natürlicher Mechanismus,
ohne den jedes Team ausbluten würde.
6. Ordnung gemäß der Leistung
In produktiven Systemen kommt es auf die Leistung des Einzelnen an. Nicht bloß wie jemand sich eingesetzt hat, sondern was letzten Endes dabei herausgekommen ist, ist entscheidend. Leistungsstärkere Kollegen sehen die leistungsschwächeren als Trittbrettfahrer. Diese haben es schwerer, sich durchzusetzen, und sie können ihre Ideen nur bedingt einbringen.
7. Ordnung gemäß dem Eigentum
Wer für ein Unternehmen oder eine Organisation das Eigentum – zum Beispiel Kapital – zur Verfügung stellt, hat daran das umfassendste und absolute dingliche Verfügungsrecht. Weil er mit seinem Eigentum nach Belieben verfahren und im Prinzip andere von jeder Einwirkung ausschließen kann, verschafft ihm dieses Recht einen besonderen Rang. Er kann sogar den Experten auf den Platz verweisen.
8. Ordnung gemäß familiärer Herkunft
Oft verleiht eine gewisse familiäre Herkunft inoffiziell einen höheren Rang. Dies geschieht zum Beispiel, wenn Nachkommen im Familienbetrieb mit anderen Angestellten in einer vergleichbaren Stellung arbeiten („Sohn des Chefs“). Auch ein Adelstitel oder ein Name mit hoher Berühmtheit („ein Kennedy“) können bei der Reihen- und Rangfolge von Bedeutung sein.
9. Ordnung gemäß ethnischer Zugehörigkeit
Zugehörigkeit zum großen heimischen System (Land, Kultur, Religion) birgt eine Verbundenheit, die dem dazugehörigen Teammitglied beim Kampf um den Rang von vornherein einen Vorteil einräumt. Wer das gewohnte landläufige Verhalten zeigt, etwa die gleiche Ess-und Trinkkultur hochhält oder die religiösen Werte teilt, ist berechenbarer und fähiger, sich anzuschließen. Wer als Deutscher in einem deutschen Team arbeitet, wird es in der Regel leichter haben aufzusteigen, als ein Ausländer mit den gleichen beruflichen Fähigkeiten und Voraussetzungen. Entsprechendes gilt in einem bayrischen Betrieb für einen Bayern gegenüber einem Norddeutschen. Der Alteingesessene
bekommt oft Vorrang vor dem Zugereisten – unabhängig davon, wie gerecht man das empfindet und wie „politisch korrekt“ das ist.
Ein gutes Arbeitsklima entsteht im System, wenn jedes Teammitglied alle diese Rangfolgen im Bewusstsein hat und erkennt.
Die Überkreuzdominanz
Von zwei Teammitgliedern hat der eine den höheren Dienstgrad (also mehr Verantwortung), der andere das höhere Dienstalter (mehr Erfahrungen). Beide leiten aus den Kriterien, die sie erfüllen und als vorrangig betrachten, einen Dominanzanspruch ab. Sie liegen miteinander über Kreuz. Wir sprechen hier von einer Überkreuzdominanz, weil zwei Kriterien – in diesem Beispiel Erfahrung und Verantwortung – sich gegenseitig durchkreuzen. Beide Kriterien begründen einen Dominanzanspruch:
Meinungsverschiedenheiten können die beiden besser ausgleichen, wenn sie die Potenziale des anderen anerkennen und beiden Rangordnungen Respekt erweisen. Sonst ist der eine beleidigt, weil er in der verantwortlichen Position keinen Respekt bekommt, und der andere eingeschnappt, weil seine Erfahrungen keine Wertschätzung erhalten. Im übertragenen Sinne müssten sich beide voreinander verbeugen, um dann in gegenseitiger Achtung zu kooperieren. Jede Ordnung verlangt Beachtung – und der Vorgeordnete die entsprechende Achtung.
Ebenso kann eine Überkreuzdominanz entstehen, wenn ein Organisator und ein Moderator zusammen einen Workshop veranstalten. Der Organisator gibt den Rahmen, der Moderator den Inhalt. Grundsätzlich eine gute Aufgabenteilung. Aber:
Darf der Inhalt den Rahmen sprengen?
Wann und wie darf der Rahmen den Inhalt beschränken oder beschneiden?
Diese Überkreuzdominanz verlangt eine sensible Balance, damit sich keiner der beiden dominiert fühlt. Ein anderer Fall: Das eine Mitglied ist älter, das andere in einer bestimmten Hinsicht kompetenter. In patriarchalisch geprägten Kulturen, bekommt der Ältere unangefochten Vorrang, auch bei Planungen und Entscheidungen. Aber damit kann das innovative Potenzial des Jüngeren – aber Kompetenteren – nicht zum
Tragen kommen. So wäre es das Beste, wenn der Jüngere durch sein Verhalten dem Älteren die Ehre gibt, der Ältere sich aber bewusst ist, dass die Kompetenz des Jüngeren beim Anpacken der Aufgabe Vorrang bekommt.


Mario Neumann
Als Autor und Trainer begleite ich Dich durch die abenteuerliche Welt der Projekte. Dafür wurde ich schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationaler Deutscher Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle meine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.