Strategie

Kampf ums Überleben

Von am 24.06.2024

Der Koordinierungsbedarf ist enorm, wenn ein Unternehmen viele kleinere oder mehrere große, komplexe Projekte gleichzeitig durchführt. Wer in einer Umgebung tätig ist, in der eine Vielzahl von Projekten durchgeführt werden, der kennt die Herausforderung: Sie besteht darin, dass alle Projekte um die gleichen Ressourcen buhlen bzw. kämpfen.

Thomas R. leitet seit kurzem die Entwicklungsabteilung eines international tätigen Maschinenbauers. Er braucht nur wenige Tage, um zu erkennen, dass sein neuer Bereich auf die übergreifende Steuerung von Projekten nicht wirklich vorbereitet ist. Es gibt zu viele Projekte, die gleichzeitig realisiert werden. Eine Priorisierung gibt es nicht – alles hat höchste Priorität. Die Projekte sind weder inhaltlich noch zeitlich aufeinander abgestimmt. Über den Fortschritt der einzelnen Projekte bekommt er nur auf Nachfrage eine Auskunft – und selbst die fällt bisweilen äußerst dürftig aus.

Während es bei einem großen Projekt schon schwierig genug ist, den Überblick zu behalten, erhöht sich die Intransparenz, wenn es um mehrere Projekte geht – und jedes Unternehmen bearbeitet viele Projekte gleichzeitig! Meistens kann das Management nicht einmal sagen, wozu die Projekte gestartet wurden, welchen Stand die Projekte erreicht haben und ob die Ergebnisse reif sind für den Einsatz. Trotz dieser offensichtlichen Probleme werden immer neue Projekte begonnen, obwohl sie die Ressourcen aus laufenden Projekten abziehen..

In einer Multiprojekt-Organisation sind die Ressourcen immer knapp; der Work in Progress ist hoch; die Projektmitarbeiter haben oft mehr zu tun als sie leisten können. Zwangsläufig konkurrieren die Projekte um die knappen Ressourcen in der Organisation.

Gift Nr. 1 – Ständige Ressourcenkämpfe

Die Projektleiter in einer Multiprojekt-Organisation erhalten die erforderlichen Ressourcen oft genug nur in der Theorie. In der Praxis müssen sie ständig (gegen andere Projekte) um die Ressourcen kämpfen. Das zwingt Thomas R. in seiner Rolle als Bereichsleiter immer wieder, Prioritätsentscheidungen zu treffen zwischen Projekten, die vermeintlich alle wichtig sind. Und schon steckt ein Projekt, das gestern noch gut vorankam, plötzlich fest, weil Schlüsselressourcen an anderer Stelle benötigt werden. Viel zu viel Zeit und Energie geht verloren, nur weil seine Organisation nicht in der Lage ist, sich selbst zu steuern und die notwendigen Prioritäten zu setzen. Kein Ressourcen- und kein Projektmanager kann diese Verantwortung übernehmen. Sie können nur versuchen, den Schaden zu begrenzen und schaffen dabei oft genug neue Probleme.

Foto: Johnnyb auf Pixelio

Gift Nr. 2 – Multitasking im Projekt

Wenn ein Manager – wie Thomas R. – viele Baustellen gleichzeitig im Blick hat und betreut, dann gilt er als guter Manager. Für ihn mag der Begriff „Multitasking“ positiv besetzt sein. Im Alltag seiner Projektleiter kann Multitasking dagegen zu einer echten Katastrophe werden. Die erleben Multitasking in der schädlichen Variante: eine Aufgabe A wird zugunsten einer Aufgabe B unterbrochen, weil B gerade wichtiger/dringender ist. Bevor Aufgabe B jedoch fertig ist, wird auch B unterbrochen – zugunsten von C. Und dann wird plötzlich doch wieder Aufgabe A wichtig, weil man feststellt, dass man A doch nicht so einfach liegen lassen kann. Wo Multitasking gängige Praxis ist, sind Projekte teurer als sie müssten und dauern vor allem viel länger als sie müssten. Für Thomas R. und seinen neuen Bereich wirkt Multitasking daher wie ein tödliches Gift.

Gift Nr. 3 – Der Fokus auf Einzelprojekte

Eine der größten Sünden in einer Multiprojekt-Organisation besteht darin, ein Projekt so zu managen, als wäre es ein Einzelprojekt. Dabei wird häufig übersehen, dass nahezu jede Entscheidung innerhalb eines Projektes gleichzeitig Auswirkungen auf andere Projekte hat. Was für das eigene Projekt gut und richtig sein mag, kann negative Auswirkungen auf andere Projekte haben. Trotzdem werden die Projektleiter ausschließlich daran gemessen, wie erfolgreich ihr eigenes Projekt läuft. Welche Auswirkungen das auf den Rest der Organisation hat, wird bestenfalls nachrangig berücksichtigt. So schneidet sich die Multiprojekt-Organisation schnell ins eigene Fleisch.

Gift Nr. 4 – Unnötige Administrivialitäten

Tom DeMarco beschreibt in seinem Buch „Der Termin“ vier Grundsätze guten Managements: Ein Projektleiter müsse erstens die richtigen Leute auswählen, zweitens die richtigen Mitarbeiter mit den richtigen Aufgaben betrauen, drittens die Mitarbeiter motivieren und viertens dem Team dazu verhelfen, durchzustarten und abzuheben. Alles andere seien »Administrivialitäten«.

Richtig! Das Problem ist nur: Diese Administrivialitäten können den Projektleitern im Projektalltag ganz schön zusetzen. Wenn sie die administrativen Vorgänge nicht in den Griff bekommen, können hieraus Schwierigkeiten erwachsen, die alles andere als trivial sind. Gerade in einer Multiprojekt-Organisation können überbordende Meetings, komplizierte Abstimmungen und endlose Freigabeprozesse die Projektarbeit lähmen. Die Gefahr ist groß, dass die Projektleiter in diesen nichtproduktiven Tätigkeiten regelrecht ertrinken.

Gift Nr. 5 – Ein ausuferndes Berichtswesen

Multiprojekt-Organisationen neigen einem groß angelegten Berichtswesen, geboren aus der Angst, womöglich den Überblick zu verlieren. Das erweist sich schnell als Bumerang: die Zeit, die ein Projektmanager benötigt, um Berichte für das Management zu produzieren, fehlt ihm für seine eigentliche Aufgabe, nämlich sein Projekt zu managen. Je größer das Unternehmen, desto ausufernder ist oft das Berichtswesen – und trotzdem fehlt dem Management am Ende genau die Information, die es tatsächlich benötigt. Ein ausuferndes Berichtswesen ist einer der größten Performancekiller im Projektgeschäft.

Gift Nr. 6 – Taktisch geprägte Rückmeldungen

Gleichzeitig zwingt ein groß angelegtes Berichtswesen die Projektleiter dazu, taktisch zu agieren und „politisch“ zu berichten. Um ja nicht in den Fokus des eigenen Managements zu geraten, neigen Projektleiter dazu, ihr Projekt möglichst lange als „grün“ zu bezeichnen. In Wirklichkeit sind die Projekte längst „melonengrün“ – je tiefer man bohrt, umso roter werden sie.

Das hat zur Folge, dass das Management den Wahrheitsgehalt der Berichte anzweifelt. Aus diesem Grund fordern sie immer neue und detailliertere Projekte, und mit jedem Bericht wieder eine Besprechung, in der ein Bericht diskutiert wird – ein Teufelskreis!

Survival-Tipps

  • Identifiziere alle notwendigen Arbeitspakete. Stimme diese Arbeitspakete mit allen Beteiligten ab und organisiere auf dieser Basis die Arbeit in Deinem Team.
  • Ermittele die logischen Abhängigkeiten der einzelnen Arbeitspakete und lege eine sachlich und zeitlich korrekte Reihenfolge der Arbeitspakete fest.
  • Schätze für jedes Arbeitspaket die Dauer und den anfallenden Arbeitsaufwand und trage die Daten in die Tabelle für das Balkendiagramm ein.
  • Visualisiere die Ablaufstruktur des Projektes in einem Balkenplan, hänge diesen über Deinen Schreibtisch und nutze ihn für die Steuerung Deines Projektes.
  • Mache Dir klar, dass die Planung keine Vorhersage ist, denn ein Projektablauf lässt sich nicht vorausberechnen. Die Planung ist vielmehr Dein wichtigstes Werkzeug.
  • Der größte Fehler für eine gute Projektplanung liegt weniger darin, nicht sorgfältig genug zu planen. Viel gravierender dürfte es sein, einen Plan zu erstellen und ihn dann als erledigt und abgeschlossen zu betrachten.

Mario Neumann

Als Autor und Trainer begleite ich Dich durch die abenteuerliche Welt der Projekte. Dafür wurde ich schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationaler Deutscher Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle meine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.