Strategie

Anders arbeiten – Mehr leben

Von am 04.11.2022

Ich stelle Menschen gerne Fragen, weil mich ihre Arbeit, ihre Strategien, ihre Standpunkte oder ihre Thesen interessieren. In meinem Online-Magazin möchte ich die Antworten meiner Interviewpartner gerne mit Euch teilen. Heute habe ich meine FÜNF FRAGEN an Martin Geiger gestellt.

Mario: Wir alle kennen das: „Wenn ich das Projekt abgeschlossen habe, mache ich …“ Oder: „Wenn ich ihm Ruhestand bin, habe ich endlich Zeit für …“ Und so weiter und so fort. Sieht so ein selbstbestimmtes Leben aus?

Martin: Die erschreckende Wahrheit lautet: Der Moment, an dem wir tatsächlich mehr Zeit haben werden, ist nichts als ein frommer Wunsch. Er kommt nie, wenn wir nicht selbst aktiv werden, vor allem nicht, wenn wir nichts anders machen als bisher. Oft gleicht unsere Zeitnutzung einem Trauerspiel! Obwohl wir eigentlich konzentriert arbeiten möchten, werden wir fortwährend von irgendetwas abgelenkt. Geduld und Aufmerksamkeit sind zur Mangelware verkommen. Ständig blinkt und blitzt es, außerhalb unseres Kopfes ebenso wie innen. Getreu dem Motto: „Ich kam, sah … und vergaß, was ich wollte“, scheinen wir Störungen regelrecht zu brauchen. Hier ein blinkendes Banner, dort ein Link. Schnell ist eine Stunde vergangen, in der wir unserem Ziel, ob das eine konkrete Aufgabe oder ein erfülltes Leben ist, nicht nähergekommen sind, sondern in der wir uns immer weiter davon entfernt haben. Um tatsächlich zu leben – heute und selbstbestimmt – und uns unsere Träume möglichst jetzt zu erfüllen, sollten wir uns folgende zwei Fragen stellen: „Wie viel meiner kostbaren Zeit möchte ich mit belanglosen Dingen verschwenden?“ und „Wie kann ich meine Zeit stattdessen bestmöglich investieren?“

Mario: Sind wir also einfach nur zu beschäftigt, um an den wirklich wichtigen Aufgaben zu arbeiten?

Martin: Ja und Nein! Wenn wir uns 90 Prozent unserer Zeit mit Dingen auseinandersetzen, die im Grunde zu deren Verschwendung beitragen, vergessen wir dabei eine weit gravierendere Zahl: In 100 Prozent der Fälle haben wir am Ende unseres Tages keine Zeit mehr übrig. Und dieses Problem begegnet uns nicht nur am Ende unseres Tages, sondern auch am Ende unseres Lebens. Dann jedoch unwiderruflich ohne die Gelegenheit, es morgen besser zu machen. Trotzdem verhalten wir uns häufig so, als hätten wir unendlich viel Zeit und für den Notfall ein Ersatzleben im Kofferraum. Dabei ist der richtige Zeitpunkt, um etwas in die Tat umzusetzen, ist immer JETZT! Eines ist dabei entscheidend: Auf keinen Fall sollten wir versuchen, durch Aktionismus vor unseren Mitmenschen oder uns selbst als fleißig beziehungsweise aktiv dastehen zu wollen. Ohne Prioritäten ist irgendwie alles dringend oder wichtig! Die Lösung ist keinesfalls, mit noch mehr Bällen zu jonglieren, sprich mehr zu tun. Viel wichtiger ist die Frage: „Tue ich jetzt in diesem Augenblick genau das, was mich meinem wichtigsten Ziel am nächsten bringt?“ Das Problem dabei ist, dass diese Frage nicht ohne Weiteres von jedem beantwortet werden kann. Weil nicht jeder weiß, was sein wichtigstes Ziel ist. Oder wenigstens irgendein Ziel. Ohne diesen klaren Fokus passiert es leicht, dass wir wieder allen möglichen Ablenkungen erliegen. Ist uns erst einmal klar geworden, wie wertvoll unsere Zeit ist, werden wir anders mit ihr umgehen. Wir müssen dafür sorgen, dass uns keine Minute unseres restlichen Lebens gestohlen wird!

Foto: Martin Geiger

Mario: Deutliche Worte! Aber manchmal braucht es wahrscheinlich genau diese, um endlich aufzuwachen und sein Leben anders zu gestalten. Aber warum sind wir letztendlich dann doch wieder inkonsequent und fallen in alte Muster zurück?

Martin: Es ist der ständige Kampf mit sich selbst. Und der Anfang vom Ende lautet dabei: Einmal ist keinmal! Unser internes Ausreden-Schema will uns glauben machen, dass „große Gründe“ Ausnahmen rechtfertigen und „kleine Gründe“ nicht so tragisch sind. „Ab morgen“ ist ein beliebtes Argument. Viele versuchen sich selbst zu beruhigen mit „Wenigstens haben wir mal angefangen“. Doch das ist nicht einmal die halbe Miete! Anzufangen, um an irgendeinem Punkt wieder die Segel zu streichen, hat weit verhängnisvollere Folgen, als gar nicht erst zu starten. Fakt ist: Ob und bei was im Leben wir konsequent sind, entscheidet jeder selbst. Aus diesem Grund scheuen sich viele Menschen davor, sich öffentlich festzulegen, denn damit würde die eigene Inkonsequenz sichtbar. So kommt es, dass es sich für Meister der Selbsttäuschung – vordergründig – sogar besser anfühlt, sich erst gar kein Ziel zu setzen, als sich im Anschluss eingestehen zu müssen, nicht danach zu handeln.

Mario: Das gilt ja sowohl für kleine Dinge, also unsere täglichen Aufgaben, also auch das große Ganze. Hast du da eigene Erfahrungen? 

Martin: Ich selbst habe sehr lange nach der Maxime gelebt: „Genieße den Moment!” und ein Leben auf der Überholspur geführt. Bis ich an einen Wendepunkt kam, an dem mir die Diagnose einer unheilbaren Krankheit schmerzlich bewusst machte: Mein Leben ist nicht unendlich! Dieser persönliche Weckruf hat mich gelehrt: „Carpe diem‘ ist Bullshit! Ja, möglicherweise leben wir nur einmal. Deshalb greift das Credo „Lebe heute!“ zu kurz. Kämen wir mit einem gedruckten Verfallsdatum zur Welt, würden viele von uns die Zeit davor weitaus besser nutzen. Plötzlich bekäme der Begriff ‚Deadline‘ eine ganz andere Bedeutung. Kaum jemand wird sich am Ende seines Lebens wünschen, als 80 % Version seiner selbst über die Ziellinie zu gehen. Daher sollten wir unser Potential bestmöglich ausschöpfen. Mit dem Ziel, heute ein erfülltes Leben zu führen, an dessen Ende wir nichts bereuen müssen.

Mario: Und wie geht man das nun ganz konkret an – vor allem, wenn uns der stressige Alltag dazwischenkommt, der uns mit seinen unzähligen kleinen Aufgaben in Trab hält?

Martin: Da helfen zwei Dinge: Erstens eine Not-to-do-Liste! Bei all den zeitlichen Überlastungen, bei dem ständigen Zuviel an Arbeit, sollten wir uns im Zweifel besser einmal dafür entscheiden, etwas bewusst nicht zu tun. Ich bin immer wieder überrascht, wie viele meiner Verpflichtungen mich kein bisschen voranbringen und dass die Erde sich weiterdreht, wenn ich mal etwas ignoriere oder zumindest hintenanstelle. Apropos Not-to-do … Viele wissen überhaupt nicht, was ihnen die meiste Zeit raubt! Deshalb macht es Sinn, gleich jetzt einmal die zehn schlimmsten Störenfriede und Zeitdiebe zu identifizieren. Bei den Punkten sollte es sich um Dinge handeln, die du bewusst nicht mehr tun willst, weil sie dir keinen Nutzen bringen, weil sie dir Energie rauben und weil du damit dein Leben verschwendest. Häufig finden sich eine ganze Reihe unproduktiver Gewohnheiten. Genau diese weisen umgekehrt auch das größte Zeiteinsparpotenzial auf.

Mein zweiter Tipp lautet: Triff Entscheidungen, sonst tun es andere für dich! Du tust dich schwer damit, Entscheidungen zu treffen? Keine Sorge, damit bist du nicht alleine. Viele Menschen treffen keine Entscheidung, weil sie Angst vor einer „falschen“ Entscheidung haben. Dabei solltest du eines berücksichtigen: Es kostet dich weit mehr Lebenszeit und -qualität, keine Entscheidung zu treffen, als die Falsche. Denn im Grunde gibt es die gar nicht! Was bedeutet Erfolg? Er-folg ist die Folge richtiger Entscheidungen. Worauf basieren diese? Richtige Entscheidungen sind die Folge unserer Erfahrungen. Und worauf basieren wiederum diese Erfahrungen? Sie sind in der Regel die Folge von (falschen) Entscheidungen. Somit bringt dich auch jeder falsche Entschluss dem Erfolg ein gutes Stück näher. Grund genug, sich voller Zuversicht festzulegen. Denn auch wenn du dich nicht entscheidest, hast du das bereits getan: Du hast dann gewählt, dass alles exakt so bleibt wie bisher. Oder du hast die Unentschlossenheit gewählt. Dieser Zustand kostet allerdings enorm viel Energie. Er belastet. Du bist nicht frei. Du verplemperst dein Leben!

Mario: Danke für das Interview.

Zur Person

Martin Geiger hat eine Mission: Menschen dabei zu helfen, ihr wahres Potential zu entfalten und so ihre Lebenszeit bestmöglich zu nutzen. Als Effizientertainer® hilft er seinen Kunden konkret dabei, anders zu arbeiten und mehr zu leben. https://martingeiger.com Im Rahmen seiner coach2call Academy unterstützt er Coaches und Coachinnen dabei, ihre Berufung zu finden und erfolgreich sowie verkaufsstark ins eigene Business zu starten. www.life-coach-werden.de

Mario Neumann

Als Autor und Trainer begleite ich Dich durch die abenteuerliche Welt der Projekte. Dafür wurde ich schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationaler Deutscher Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle meine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.