Gruppendynamik? Oder doch Teamdynamik?
Gruppendynamik und Teamdynamik
Vergleicht man die beiden Methoden systematisch nach verschiedenen Gesichtspunkten, so stellt man einige wesentliche Unterschiede und unterschiedliche Akzente fest. Dabei gibt es auch wesentliche Ähnlichkeiten. Die Tabelle bietet eine differenzierte Gegenüberstellung, kann aber die lebendige Vielfalt und die unterschiedliche Trainingsatmosphäre nicht hinreichend wiedergeben.
Entstehung:
Gruppendynamisches Training: 1940er Jahre, im Research Center of Group Dynamics, University of Iowa/ USA
Team-dynamisches Training: 1990er Jahre, in wissenschaftlichen Projekten an der Hochschule Fulda
Begründer:
Gruppendynamisches Training: Kurt Lewin (1890 – 1947), Sozialpsychologe
Team-dynamisches Training: Armin Poggendorf (* 1943), Betriebswirt und Pädagoge
Setting:
Gruppendynamisches Training: Beliebige Form, die von der Gruppe bestimmt wird; 7 – 15 Teilnehmer und zwei Trainer (einer für die Intervention, der andere für die Beobachtung)
Team-dynamisches Training: Grundform: team-dynamischer Kreis, exakt runder Stuhlkreis mit 10 – 15 Teilnehmern, einem Trainer und einem Co-Trainer. Die Plätze im Kreis symbolisieren die Ebenbürtigkeit und Geschlossenheit aller Anwesenden.
Zielgruppen:
Gruppendynamisches Training: Offene Gruppen, deren Mitglieder sich zu Beginn kaum oder nur wenig kennen
Team-dynamisches Training: Offene Trainingsteams für Teilnehmer, die sich individuell anmelden, aber auch geschlossene Teams wie Arbeitsteams, Abteilungen oder Belegschaften
Dauer des Trainings
Gruppendynamisches Training: Trainings dauern mindestens vier bis fünf Tage, da sich der gruppendynamische Prozess erst langsam entfaltet und intensiviert. Die Teilnehmer brauchen Zeit, um die Entwicklung einer Gruppe, den ganzen Lebenszyklus vom ersten Zusammentreffen über die Entwicklung von Regeln und Strukturen, persönliche Identitäten, funktionelle und dysfunktionelle Rollen und die Kommunikationsmuster bis hin zu ihrem Auseinandergehen beobachten und erleben zu können.
Team-dynamisches Training: Möglich sind Kurzworkshops von zwei Stunden über halb- und eintägige bis hin zu dreitägigen Workshops. Die team-dynamischen Interaktionsformen sind sofort wirksam und beschleunigen die Integration in jedem sozialen System ab der ersten Stunde.
Sollen sich sozio-emotionale Lernprozesse und individuelle Problemlösungen entfalten, so sind zwei- oder dreitägige Workshops das Optimum.
Leitung
Gruppendynamisches Training: Zwei speziell ausgebildete „Trainer für Gruppendynamik“. Sie schaffen absichtlich nur so viel Ordnung und geben nur so viel Struktur, wie unbedingt erforderlich ist. Sie lassen den Teilnehmern möglichst viel Raum für freies Handeln und Ausprobieren. Die Teilnehmer werden beraten und unterstützt, nicht angeleitet.
Team-dynamisches Training: Zwei speziell ausgebildete Teamdynamiker, zertifiziert als „Teamtrainer und Moderatoren für team-dynamische Prozesse“. Die Teamdynamiker moderieren das Team nach systemischen und proxemischen Gesichtspunkten; ihnen steht eine Vielzahl von Interaktionsformen und methodischen Übungen zur Verfügung.


Foto: Matjaz Slanic auf istockphoto
Lernziele
Gruppendynamisches Training: Die Teilnehmer sollen sich in einer Gruppe intensiv erleben und erkennen, dass sie als eine Anzahl von Teilnehmern erst durch eine gemeinsame Aufgabe, durch ein gemeinsames oder individuelles Ziel zu einer Gruppe mit funktionierender Rollenverteilung und Rangdynamik werden. Dabei sollen sie erfahren, dass die Intention ihrer Handlung häufig nicht die erwünschte, manchmal sogar eine gegenteilige Wirkung hat.
Team-dynamisches Training: Die Teilnehmer sollen den systemischen Zusammenhang erkennen: Um ein effizientes Team aufzubauen, muss man auf jeden Einzelnen schauen, ihn einbinden und qualifizieren; um den Einzelnen effizient zu fördern, braucht man ein qualifiziertes Team. – Jeder Teilnehmer soll sich am Austausch, dem gegenseitigen Geben und Nehmen beteiligen. Für alles, was er sich herausnimmt, muss er etwas hineingeben.
Strukturierung des Ablaufs
Gruppendynamisches Training: Die Trainer geben wenig Struktur in Form von Anweisungen oder Übungen vor. Das ist zunächst für die Teilnehmer sehr verunsichernd, ermöglicht aber deren Selbstbeobachtung und Selbstfindung. Daher wird eine längere Anfangsphase benötigt.
Team-dynamisches Training: Durch die angesagten Übungen strukturieren die Trainer den team-dynamischen Prozess sehr bewusst und für die Teilnehmer transparent. Die Teilnehmer sollen stets wissen, in welcher Übungsphase sie sich befinden.
Phasen der Gruppenentwicklung
Gruppendynamisches Training: Phasenmodelle, zum Beispiel: Forming, Storming, Norming, Performing, Re-forming
Team-dynamisches Training: Kontinuierlicher Integrationsprozess ohne abgegrenzte Phasen. Entwicklung vom Ich-Gefühl zum Wir-Gefühl.
Prozess
Gruppendynamisches Training: Es soll keinen Leiter oder keinen Plan geben, der der Gruppe den Weg ihrer Entwicklung vorgibt. Diesen Weg soll die Gruppe selbst finden – ein Prozess, der nicht von oben oder außen gesteuert wird.
Team-dynamisches Training: Der Trainer moderiert die Interaktion spontan und aufgrund seiner Erfahrungen und Eingebungen. Ein nicht vorhersehbarer, vielschichtiger Prozess der Entwicklung und Kompetenzerweiterung entfaltet sich. Die individuellen emotionalen Prozesse finden im Rahmen des kollektiven Prozesses statt. Es gibt kein Programm, das eingehalten werden soll.
Aufgabe
Gruppendynamisches Training: In der Regel wird von den Trainern keine Aufgabe gestellt. Die Gruppe soll sich selbst erforschen, sie soll den Lernprozess selber gestalten und erkennen, dass sie sich nur durch eine gemeinsame Aufgabe entwickelt und qualifiziert. Die Trainer können der Gruppe aber Aufgabe geben. Diese dienen dann als Katalysator, um gruppendynamische Effekte (Konflikte, Vorherrschaft, Rollenverteilung, destruktive Beiträge etc.) zu beobachten und nachher zu besprechen.
Team-dynamisches Training: Die Aufgabe für das Trainingsteam besteht in der Herstellung und Aufrechterhaltung einer Atmosphäre, in der jeder einzelne sich als Individuum erfahren und weiterentwickeln kann. Firmen- und Arbeitsteams sollen ihre interne Kommunikation und Kooperation behandeln und verbessern. Es geht nicht um das Ich, es geht nicht um das Wir, es geht um das Ich im Wir.
Methodische Elemente
Gruppendynamisches Training: Zentrale Techniken und Arbeitsmethoden: Feedback-Prinzip, Situationsanalyse, Konfliktbearbeitung, Prozessanalyse, Soziometrie, Tandem (eine Gruppe beobachtet die andere), Theorie-Input
Team-dynamisches Training: Einteilung in vier Methodenbündel: (1) Kreis und Mitte, (2) Platz und Position, (3) Systemische Inszenierungen,
(4) Integrative Übungen
Übungen
Gruppendynamisches Training: Mit einer Reihe von spezifischen Übungen können typische Gruppen-Situationen geschaffen werden: Kontrollierter Dialog, Dienstwagen, NASA-Weltraumspiel, Turmbau etc. Die Gruppenarbeit wird beobachtet und reflektiert.
Team-dynamisches Training: Was wird geübt, gelernt, erfahren, erforscht? Die Inhalte werden stets kombiniert mit passenden Interaktionsformen: Nutzung der Kreismitte als sozialen Fokus und als Aktionsfeld, Kreisbögen, Auftritt vor dem Halbkreis, Seitengespräche, Reihenbegegnungen, Einreihung in eine Skala, Bühne mit Zuschauern etc.
Rollen
Gruppendynamisches Training: Rollen sind selbstgewählt und haben mit den Persönlichkeiten der Teilnehmer (Aussehen, Handeln, Sprache, Körpersprache) zu tun, z.B. „Star“, „Klassenkasper“, „Meckerer“, „Intrigant“.
Team-dynamisches Training: Die Teilnehmer sollen lernen, in verschiedenen Situationen unterschiedliche adäquate Rollen einzunehmen. Die Rollenkompetenz soll durch spezielle spielerische Übungen erweitert werden.
Rangdynamik
Gruppendynamisches Training: Die Rangdynamik zeigt die Verteilung der Macht. Es gibt bestimmte Positionen, um die immer wieder gerungen wird: Alpha (Anführer), Beta (Experte), Gamma (einfaches Gruppenmitglied), Omega (Gegenposition zu Alpha). Positionen werden nicht eingenommen, sondern durch die Akzeptanz der anderen verliehen. Nicht alle Positionen sind zu aller Zeit besetzt. Die Rangdynamik läuft zunächst implizit, bis erste Situationen auftreten, an denen Konkurrenz deutlich wird. Die Spannungen werden bestenfalls von den Trainern befeuert, so dass die Rangkämpfe dann explizit werden.
Team-dynamisches Training: Rang und Reihenfolge können durch spezielle Strukturübungen zu einem zentralen Thema werden. Die Rangordnung ist dann jeweiliges Ergebnis eines Wahlverfahrens. Jeder Teilnehmer bekommt einen Rangplatz, der nur für ein Kriterium und nur für die gegenwärtige Übungssequenz gilt. Ziel ist eine Sensibilisierung für die Flussrichtung des sozialen Potenzials (Wissen, Information, Motivation, Energie, Empathie). Dadurch wird klargestellt, wer jeweils der Gebende und wer der Nehmende ist. Dies ist unverzichtbar, denn ein Team ist ein produktives soziales System, und für die effektive Kooperation ist Austausch von zentraler Bedeutung.
Diskussionen
Gruppendynamisches Training: Es gibt viele Diskussionen, sie sind das Medium der Auseinandersetzung. Zu den Verhaltensnormen (wie z.B. Ich-Botschaften, Deutlichkeit, zuhören und ausreden lassen) muss die Gruppe selber finden.
Team-dynamisches Training: Diskussionen sind nicht vorgesehen. Wer etwas beitragen oder thematisieren möchte oder ein Anliegen hat, geht dafür in die Mitte des Kreises. Individueller Austausch in anberaumten Seiten- und Reihengesprächen.


Mario Neumann
Als Autor und Trainer begleite ich Dich durch die abenteuerliche Welt der Projekte. Dafür wurde ich schon mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Internationaler Deutscher Trainingspreis und dem Weiterbildungs-Innovationspreis. Alle meine Bücher, Seminare und Vorträge findest Du auf marioneumann.com.